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CD Box RICHARD BONYNGE „COMPLETE BALLET RECORDINGS; DECCA

11.12.2020 | cd

CD Box RICHARD BONYNGE „COMPLETE BALLET RECORDINGS; DECCA

Richard Bonynge Ballette Samtliche Aufnahmen(1)

Hommage an Richard Bonynge zum 90. Geburtstag: Aufnahmen aus einem enzyklopädischen, von Neugier und Entdeckergeist geprägten Dirigenten- und Pianistenleben: Umfassende Edition von Ballettmusiken mit den großen Standardwerken, exquisiten Repertoireraritäten und eine CD-Erstveröffentlichung

Das letzte Mal habe ich Richard Bonynge als Dirigent einer frühen Verdi-Oper im Teatro Colon in Buenos Aires erleben dürfen. Die Aufführung war nicht zuletzt wegen seiner gut kapellmeisterlichen, theaterbezogenen und beeindruckenden musikantischen Leistung ein befriedigendes Erlebnis. Richard Bonynge als profunder Stimmenkenner und unermüdlicher Stöberer in Musikarchiven ist Opernaficionados wegen seiner zahlreichen erstklassigen über 50 Operneinspielungen ein Begriff. Bis heute begeistern die Produktionen mit der australischen Superdiva und Ehefrau Joan Sutherland und Tenorissimo Luciano Pavarotti (u.a. von I Puritani, Norma, La Traviata, Lucia di Lammermoor, La fille du régiment, L’Elisir d’amore, La Sonnambula, Maria Stuarda). Dabei ist es gerade das unermüdliche Engagement des Richard Bonynge für junge Sängerinnen und Sänger, die der Opernwelt enorm zugutekam und etwa Mitte der 60-er Jahre einem Tenor wie Luciano Pavarotti zum Start seiner Weltkarriere verhalf.

Stets den genialen Ton-Ingenieuren der DECCA kollegial-freundschaftlich verbunden (mit Kenneth Wilkinson soll jede Aufnahme gebührend im Pub gefeiert worden sein), gehört dieses klingende Vermächtnis von Opern des 19. Jahrhunderts zu den sanglich überzeugendsten und qualitätsvollsten der Schallplattengeschichte. Dazu kommt, dass Universal Music aus Anlass des 90. Geburtstages des Künstlers nun in einer umfassenden Edition gebündelt alle seine Aufnahmen von Kompositionen für Ballett oder von Musik, die wegen ihres Charakters oft zu Tanz anregt, auf den Markt bringt.

Auch bei den Ballettmusiken beschränkt sich der Belcanto-Spezialist Richard Bonynge auf das weite Repertoire des 19. Jahrhunderts. Neben den drei großen Tchaikovsky Schöpfungen „Schwanensee“, „Dornröschen“ und „Der Nussknacker“ ist es vor allem französische Musik, die hier federleicht und mit delikat parfümiertem Schwung dargereicht wird. Erstaunlicherweise mischt sich auch der Regensburger Tonsetzer Friedrich Burgmüller mit „La Peri“ unter die erlauchte Schar. Eigentlich ist er vor allem dafür bekannt, dass er zwei Nummern für „Giselle“ geschrieben hat. Seine charmante „La Péri“ hat Burgmüller 1843 für die Primaballerina Carlotta Grisi geschaffen. Bizet und Tchaikovsky waren mit der Partitur vertraut. Dank der Initiative von Bonynge können wir heute nachhören, womit und wie ein weiterer Deutscher in Paris Mitte des 19. Jahrhunderts reüssierte.

Eine der ältesten Aufnahmen mit dem London Symphony Orchestra stammt aus dem Jahr 1964 und ist Adolphe Adams „Le Diable á quatre“ gewidmet, dem neunten Ballett des Franzosen, das vier Jahre nach „Giselle“ entstand. „Giselle“ das älteste Ballett im ständigen Repertoire vieler Truppen nahm Bonynge zweimal auf. Zuerst mit dem Orchestre National de l’Opéra de Monte Carlo (1967), dann noch einmal komplett mit bislang vergessenen Ausschnitten 1986 mit dem National Philharmonic. Beide Versionen fanden Eingang in die Box. Bonynge war auch der erste Dirigent überhaupt, der das vollständige Adams-Ballett „Le Corsaire“ mit dem English Chamber Orchestra eingespielt hat.

Der legendäre DECCA Produzent John Culshaw soll gesagt haben, dass kein Werk zu unbedeutend war, um nicht Bonynge‘ Neugierde und (ähnlich wie bei Thomas Beecham ansteckenden) Enthusiasmus zu entfachen. Oft sind es ja nur Vorurteile, weshalb eine (verdiente) Ausgrabung so lange auf sich warten lässt. Oder aber anders rum: Wenn Vieles aus der Box „nur“ als gute Gebrauchsmusik gelten darf, so ist dies auch keine Schande und vom Niveau her noch immer auf durchschnittlichem Neujahrskonzert-Niveau.

So ist Daniel Auber„Marco Spada“, ein eigenständiges Ballett nicht zu verwechseln mit der gleichnamigem Opéra-comique in drei Akten, zusammengeflickt aus Ausschnitten vieler früherer Werken des bekannten Frauenhelden. Bonynge hat sich die Partitur 1972 mit dem London Symphony Orchestra vorgenommen. Diese schöne Aufnahme war wie so viele andere der Box, längst vergriffen und ist nun dank der Neuauflage wieder zugänglich.

Bonynge selber arrangierte zwei Klavierstücke von Fréderic Chopin, bestehend aus „Les Sylphides“ sowie die Ballettmusik aus Ambroise Thomas‘ Oper „Hamlet“. Den Puppen- versus Reality Verwechslungs-Dauerbrenner „Coppelia“ von Leo Delibes gibt es zweimal zu hören, wobei der reizvolle Kontrast der beiden Aufnahmen, einmal 1969 mit dem Orchestre de la Suisse Romande (ganz typisch französisch timbriert mit näselndem Holz) und 1986 mit dem aus den besten Musikern aus Londoner Orchestern bestehenden National Philharmonic zu interessanten Vergleichen anregt. Von einem im Vergleich zu Wagner eher harmlosen Bacchanal bis zu einem Pizzicato Hit à la „Pizzicato Polka“ von Johann Strauss II bietet auch das fünf Jahre später entstandene Ballett „Sylvia“ genügend fetzige Melodien, um aufhorchen zu lassen bzw. das auf dem Sofa eingeschlafene Bein bewegen zu wollen. Als Ergänzung gibt es Händel- bzw. Barock-Ouvertüren für Tapfere und Unerschrockene, die jedem Originalklangfanatismus abtrotzen sowie frz. Opern-Ouvertüren von Feinsten.

Ein großer „Massenet-Block“ gemixt aus Raritäten sowie den Balletten „Manon“ (kein Massenet Original, sondern von Leighton Lucas aus Massenet Versatzstücken zusammengewürfelt), „Cigale“ und „Le Carillon“ wird gefolgt von André Messagers „Les deux pigeons“ (basierend auf einer Fabel von La Fontaine; Fassung von 1906) mit dem Orchestra of the Welsh National Opera, aufgenommen in Cardiff 1991. Messager war nicht nur einer der letzten großen frz. Operettenkomponisten, auch ein in Sachen Ballett war er ein äußerst fruchtbarer, mit sprühenden auditiven Reizen kitzelnder Musikschaffender.

Der Österreich- Ungar Ludwig/Léon Minkus ist als Schöpfer des Balletts „Don Quixote“ bekannt, das an der Wiener Staatsoper in der Choreographie von Rudolf Nurejev nach Marius Petipa am 11. November 1977 neu inszeniert worden ist (Eine DVD/Blu-ray der Produktion aus dem Jahr 2016 hat das Label major auf den Markt gebracht). Er war auch Ko-Macher von Stücken wie „La Source“ (gemeinsam mit Leo Delibes) oder „La Bayadère“ (bearbeitet von John Lanchbery). Der Italiener Riccardo Drigo schrieb für das russische Ballett „La Flûte magique“, ebenso von Bonynge als erstem auf Band gebannt.

Die vielleicht bedeutendste Ausgrabung von Richard Bonynge war Jacques Offenbachs einzige Ballett-Pantomime „Le Papillon“, mit dem London Symphony Orchestra 1973 aus der Taufe gehoben. Offenbach hat dieses Stück mit makabrer Aufführungsgeschichte für die Ballerina Emma Livry komponiert. Der Pariser Tanzstar kam während einer Aufführung zu nahe ans Gaslicht an der Rampe der Bühne, das Kostüm fing Flamme und die Arme starb einige Tage später im Spital.

Natürlich darf in solch einem Kompendium nicht das von Johann Strauss II nicht mehr vollendete und von Josef Beyer posthum komplettierte Ballett „Aschenbrödel“ fehlen. Richard Bonynge nahm die charmante und schon lange aus dem Katalog genommene CD 1980 mit dem National Philharmonic Orchestra auf.

Die von Cyrus Meher-Homji zusammen gestellte Sammlung enthält weiters die erste CD-Veröffentlichung der Fledermaus-Ouvertüre aus den Ballettmusik-Arrangements des Richard Bonynge von Johann Strauss, dazu die Cellokonzerte von Jules Massenet, Daniel Auber und des böhmischen Cellisten und Komponisten David Popper mit dem Deutsch-Amerikanischer Jascha Silberstein als Solisten.

Die allen audiophilen Ansprüchen genügende Limited Edition Box umfasst 45 CDs, ein 144-seitiges Booklet mit pointierten Begleittexten, kurzen Inhaltsangaben von Paul Westcott und Mark Pullinger, vielen Fotos sowie für jedes Einzelalbum detailgetreue Reproduktionen der originalen Plattencover. Für viele unbeschwerte und beschwingte Stunden dürfte gesorgt sein.

CD1 ADAM: Le Diable à Quatre, London Symphony Orchestra; LEONI: Prayer & the Sword

CD2-3 ADAM: Giselle, Orchestre National de l’Opera de Monte Carlo

CD4-5 ADAM: Giselle, Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden

CD6-7 ADAM: Le Corsaire, English Chamber Orchestra

CD8 AUBER: Marco Spada, London Symphony Orchestra

CD9 AUBER: Gustave III – Overture & Ballet Music; Cello Concerto, English Chamber Orchestra

CD10 BURGMÜLLER: La Péri, London Symphony Orchestra

CD11 CHOPIN: Les Sylphides; THOMAS: Hamlet – ballet music, The National Philharmonic Orchestra

VERDI: Trovatore ballet music, London Symphony Orchestra

CD12-13 DELIBES: Coppélia + Favourite Overtures of the 18th Century, L’Orchestre de la Suisse Romande

CD14-15 DELIBES: Coppélia + French Opera Overtures, The National Philharmonic Orchestra

CD16-17 DELIBES: Sylvia, The National Philharmonic Orchestra

CD18 MASSENET: Scènes Alsaciennes et Dramatiques; Cendrillon Marche; Fantasy for Cello & Orchestra*

*Jascha Silberstein, The National Philharmonic Orchestra

CD19 MASSENET: Cigale; Valse tres lente; Le Cid, The National Philharmonic Orchestra

CD20-21 MASSENET: Manon, Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden; Le Carillon, The National Philharmonic Orchestra

CD22 MASSENET: Thais Meditation; BERLIOZ: Les Troyens Ballet music; WEBER: L’invitation a la valse; LECOCQ: La Fille de de Madame Angot*; DONIZETTI: La Favorita – ballet music, The National Philharmonic Orchestra

*Nigel Kennedy

CD23 MESSAGER: Les Deux pigeons, Orchestra of the Welsh National Opera

CD24-25 MINKUS/DELIBES: La Source; DRIGO: La Flûte Magique, Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden

CD26-27 MINKUS-LANCHBERY: La Bayadère; GOUNOD: Faust Ballet Music, English Chamber Orchestra

CD28 OFFENBACH: Le Papillon, London Symphony Orchestra; POPPER: Cello Concerto, Jascha Silberstein, L’Orchestre de la Suisse Romande

CD29-30 J STRAUSS II: Aschenbrodel; Ritter Pasman; Le Beau Danube; Bal de Vienne; Overture Die Fledermaus, The National Philharmonic Orchestra

CD31-32 TCHAIKOVSKY: The Nutcracker; HANDEL: Alcina Ballet Act 2; ROSSINI/RESPIGHI: La Boutique fantasque; BRITTEN: Soirées musicales suite; Matinées musicales, The National Philharmonic Orchestra

CD33-34 TCHAIKOVSKY: Swan Lake, The National Philharmonic Orchestra

CD35-37 TCHAIKOVSKY: The Sleeping Beauty, The National Philharmonic Orchestra

CD38-39 Art of the Prima Ballerina, London Symphony Orchestra

CD40-41 Homage to Pavlova, London Symphony Orchestra

CD42 Pas de Deux, London Symphony Orchestra; MEYERBEER: Les Patineur, London Symphony Orchestra

CD43 Ballet Music & Entr’actes from French Opera, London Symphony Orchestra

CD44-45 Ballet Gala, English Chamber Orchestra

Tipp: Wer einen ausführlichen Blick in das Schweizer Domizil von Richard Bonynge (und einst Dame Joan Sutherland) mit all den skurrilen Sammlungen und Devotionalien aus der Welt der Oper werfen will, dem sei der Band ‘Chalet Monet – Inside the home of Dame Joan Sutherland & Richard Bonynge’, Melbourne Books (erschienen am 1. September 2020) mit über 1000 Fotos auf 320 Seiten empfohlen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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