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CD-Box „LEONARD BERNSTEIN Klavier- und Kammermusik“ – CAvi, WDR

13.11.2018 | cd

CD-Box „LEONARD BERNSTEIN Klavier- und Kammermusik“ – CAvi, WDR

 

Bernstein hat zeitlebens für Klavier solo geschrieben und ebenso andere kammermusikalische Formen mit Erfolg erprobt, wie das jetzt in exzellenten Neuaufnahmen nachzuhören ist. Er war ja nicht nur glamouröser Dirigent, TV-Star und eine amerikanische Society-Größe, sondern auch ein begnadeter Pianist. Wir begegnen in den kurz „Anniversaries“ genannten 29 Stücken der ersten CD einem intimeren, erfindungsreicheren Komponisten als wir ihn von Oper, Musical oder symphonischer Musik her kennen. Die Stücke sind Bernstein künstlerisch oder privat nahen Zeitgenossen wie Helen Coates, Aaron Copland, Sergei Koussevitzky, William Kapell, Paul Bowles, Stephan Sondheim bzw. seiner Tochter Nina oder seiner Frau Felicia gewidmet. Die Zeitspanne dieser in kleinen Zyklen zusammengefassten Miniaturen reicht von 1943 bis 1989, wobei die Inspiration der späteren Klaviergrüße abgenommen zu haben scheint. Bernstein war und ist ein genuin amerikanischer Komponist, die Wurzeln seiner Inspiration liegen im Jazz, im Werk seines Vorbilds Aaron Copland oder im Weiteren der gesamten abendländischen Musiktradition. Mit Vergnügen hat er sich auch eigener Themen immer wieder bedient.

 

Die mit Liebe gezeichneten musikalischen Porträtskizzen, allesamt als schöpferische Aufmerksamkeiten aus Anlass von Geburtstagen oder in memoriam entstanden, berühren in der Mehrzahl durch ihre wahrhaftige Einfachheit, ihre Schnörkellosigkeit und eine  beinahe sprechende Anschaulichkeit. Der deutsche Pianist Benyamin Nuss legt seine ganze Seele in sein Spiel, trifft das impressionistisch Duftige ebenso gut wie die kühne Skizze –  ein wahrer Glücksfall eines ebenso komponierenden Künstlers, der sich die Musik von Leonard Bernstein vollkommen zu Eigen gemacht hat. Neben einer frühen kraftvoll experimentellen Klaviersonate, die der Harvard Student Bernstein 1938 schrieb, ist auf der nur seiner Klaviermusik solo gewidmeten CD noch ein Pflichtstück für den Van-Cliburn-Klavierwettbewerb mit dem Titel „Touches“ zu hören. Es ist in einen Choral, acht Variationen und eine Coda gegliedert. Uneitler und zugewandt persönlicher als auf diesem Album ist Bernstein in keinen anderen Kompositionen zu erleben.

 

Bernstein kammermusikalisches Universum ist auf zwei weiteren CDs zu entdecken. Da gilt es, das überkommene Bernstein-Bild mit überwiegend wenig bekannter, durchaus virtuoser Musik für Klarinette und Klavier („Leonardo‘s Vision“, „Sonate“), Violine und Klavier („Sonate“ 1940), ein Klaviertrio (1937) bzw. Kreationen für Cello und Klavier („Meditations Nr. 1 bis 3 aus „Mass“) zu korrigieren bzw. zu erweitern. Hier erforscht Bernstein auf ureigene Weise die klangliche Topographie der Instrumente mit raschen Stimmungswechseln, viel Witz in überwiegend gedeckten Farben.

 

In den Stücken „Elegien und Walzer für Mippy“ hat Bernstein seinen Hund titularisch verewigt. Der Entstehungsanlass war jedoch ein ganz und gar seriöser, nämlich ein Auftrag der Juillard Musical Foundation, die ihn um einige Stücke für Bläser-Solisten der New Yorker Philharmoniker gebeten hatte. Auch Bima, der Spaniel der Koussevitzkys („Fanfare“ für Bläserquartett) und der Terrier Lifey der Schauspielerin Judy Holliday („Rondo“ für Trompete und Klavier) entgingen nicht Bernsteins musikalischem Allrounderwesen. Die „Dance Suite“ für Bläserquintett aus dem Jahr 1990 mag als musikalisches Vermächtnis, jedenfalls als Hommage an das moderne Ballett gelten. Sie erlebte ihre Premiere erst wenige Monate vor Bernsteins Tod. In Key West hat Bernstein für die Blockflöte spielende Tochter eines Freundes die „Variations on an octatonic scale“ für Flöte und Cello geschrieben. Die dritte CD schließt mit zwei Kompositionen für Klavier zu vier Händen bzw. zwei Klaviere, einer elfteiligen „Brautsuite“ mit jeder Menge an Fremd- und Selbstzitaten (zur Hochzeit seines Librettisten Adolph Green und der Schauspielrein Phyllis Newman) und einer jazzigen Musik für zwei Klaviere (1937) , beide vom Duo Jennifer Micallef und Wayne Marshall mit großer Lebendigkeit vorgetragen. Als weitere Solisten der Box gefallen u.a. Andy Miles (Klarinette), Chad Hopes und Lisa Schumann (Violine), Maria Kliegel (Cello) sowie Maurice Steger (Blockflöte).

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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