CD BERNARDO PASQUINI „L’IDALMA ovvero Chi dura la vince“ – Live Mitschnitt von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2021, cpo
Alessandro de Marchi und ein hochkarätiges Spezialistenensemble atmen dieser Commedia per musica des 17. Jahrhunderts tropenheiße Anima ein
Eine Art Don Giovanni-Vorläufer ist er, dieser Lindoro, unser männlicher Antiheld der Oper und damit Gegenstück zur treuen Idalma. Flatterhaft und unbeständig wechselt er rastlos zwischen seiner römischen Geliebten Irene und der heimlich in Neapel gegen den Willen ihres Vaters geheirateten Idalma. Kaum ist er bei der einen, will er die andere. Natürlich ist Lindoro sauer, als er hört, dass Irene, dieses Hin und Hers überdrüssig, seinen Freund Celindo geheiratet hat. Das schreckt ihn aber nicht wirklich davon ab, sich wieder an Irene heranzumachen. Als aber auch Celindos Bruder Almiro um Idalma wirbt, droht die ganze erotische Reigen endgültig abzustürzen. Was er auch tut, denn Idalma bekommt am Ende ihren Lindoro zurück und der Hallodri kommt noch einmal – zumindest in der Geschichte der Oper – um die gnadenlose, an Teufels eisernem Arm hängende Höllenfahrt in den glühenden Orkus herum. Auf jeden Fall steht „L’Idalma“ in der Tradition der spanischen Komödien des siglo de oro.
Wie dem auch sei mit unstet lüsternen Schürzenjägern aller Art: Was sich der Autor des Librettos Giuseppe Domenico de Totis an die Groteske streifenden Aktionen, wie heimlicher Lauscherei, ihr eigenkeckes Spiel treibender Dienerschaft – Dorillo für Idalma (von einem Sopran gesungen) und Pantano für Lindoro – falscher Verdächtigungen, Eifersuchts- und Racheorgien samt allerlei Mordpläne ausgedacht hat, ist genauso stringent-logisch wie der Lauf eines Hasen auf der Flucht. Die unglaublichsten Konstellationen und Verwechslungen bieten aber dem Komponisten ungeahnte Möglichkeiten, von einem Affekt in den gegenteiligen zu springen, in einer Minute auf die andere von der Seria zur Commedia zu wechseln und so das ganze Geschehen auch musikalisch abwechslungsreich und kurzweilig zu gestalten. Was in Anbetracht der Nettospielzeit von über drei Stunden nicht ganz nebensächlich scheint.
Dieser aus der nördlichen Toscana stammende Bernardo Pasquini erarbeite sich in der politischen Seilschaft des Papstes Alexander VII. und später als Kammerdiener bei Giovan Battista Borghese und als Organist in der Familienkapelle der Borgheses in Santa Maria Maggiore ein festes Standbein in der römischen Musikszene. Die Borgheses vermittelten ihren begabten Schützling auch an andere vermögende aristokratische Auftraggeber wie die Kardinäle Benedetto Pamphili, Flavio Chigi und Pietro Ottoboni sowie die Königin Christina von Schweden es waren. Das Resultat war ein reichhaltiges Oeuvre an Kantaten für die Palastkapelle der Borghese bzw. Kantaten, Oratorien und Opern, die an Festtagen, nach Jagdausflügen in den Palästen der Auftraggeber oder in römischen Theatern mit Pomp aufgeführt wurden. Die Uraufführung von Pasquinis „L’Idalma ovvero Chi dura la vince“ fand im römischen Teatro Capranica während des Karnevals am 6. Februar 1680 statt.
Der für seine spektakulären Ausgrabungen bekannte Alessandro de Marchi stützte sich bei der Aufführung in Innsbruck auf die von ihm mit redigierte Neuedition der Oper von Giovanna Barbati auf Basis einer in der der Bibliothèque nationale de France befindlichen Handschrift. Das Unterfangen ist gelungen. Dank einer tollen Instrumentierung (Sreicher plus Lirone, Theorbe, Erzlaute, Diskantlaute, Colascione, Barockgitarre, bis hin zu Barberini-Harfe und Schnarrhakenharfe) hinterlassen die flotten und bruchlosen Wechsel zwischen Rezitativ, Ariosa und kurzen Arien das Gefühl eines brokat-barocken Klangkaleidoskops in der Art eines unendlich durchkomponierten Stücks. Die geschickt gewählte, grosso modo durchwegs flotte Temporegie, die rasanten Koloraturen und Skalen der Solisten, ihre Wortdeutlichkeit und szenenbezogene, bis zur Überhitzung getriebene Charakterisierungskunst lassen über dieses genialische Opernkunstwerk des 17. Jahrhundeerst nur staunen.
Ebenso überrascht, wie selbstverständlich die frechforsche Dienerschaft sich mit eigener Meinung und korrupt in Gang gesetzten Intrigen in das Geschehen mischt als wären wir schon mitten in der Aufklärung hundert Jahre später. Daher verwundert auch nicht, dass die in wortmächtige Beschimpfungstiraden ausartenden Duette von Dorillo und Pantano (CD 2, Track 15, CD 3, Track 3) zum Amüsantesten gehören, was an barock musikalischer Verhohnepipelung existiert.
Über die Sängerbesetzung kann nur das Beste berichtet werden. Neben der hinreißenden Arianne Venditelli in der Titelrolle der sich bis auf die Spitze der Selbstverleugnung als treu gebarenden Idalma und der magentasamt timbrierten Kontraaltistin Margherita Maria Sala als nicht minder standhafte Irene ist es vor allem der Bariton Morgan Pearse, der mit seiner großen Koloraturarie (CD 2, Track 11) begeistert. Mit einem sämig kernigen Timbre und einem immensen Tonumfang à la Samuel Ramey ausgestattet, ist der australische Sänger in der Rolle des Almiro die ganz große stimmliche Entdeckung der Produktion. Aber auch der bewegliche lyrische Sopran der entzückenden Anita Rosati in der Hosenrolle des Dorillio und ihr bissig sarkastisches Pendant, der süditalienische Bass Rocco Cavaluzzi als Pantano, begeistern mit ihren temporeichen Wortgefechten. Der Tenor Juan Sancho als Celindo agiert rollendeckend.
Das international zusammengesetzte Innsbrucker Festwochenorchester beweist einmal mehr seinen Rang als Wundertüten-Klangkörper der Alten Musik. Schließlich ist es das Orchester und die vielen als Continuo eingesetzten Instrumente, die unter der Leitung von Alessandro de Marchi der Aufführung ihre Würze und Prosecco-blubberndes Moussieren garantieren.
Dr. Ingobert Waltenberger