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CD: Benjamin Britten THE PRINCE OF THE PAGODES – Hallé Orchestra. Kahchun Wong – musikalische Leitung. HLD 7565

05.11.2024 | cd

Klangwelten zwischen Osten und Westen

Kahchun Wongs Debütaufnahme mit dem Hallé Orchestra und Brittens „Prinz der Pagoden“

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Das Hallé Orchestra in Manchester eröffnet eine neue Ära unter der Leitung seines frisch ernannten Chefdirigenten Kahchun Wong, und dies gleich mit einem ambitionierten Werk: Brittens komplettes Ballett „Der Prinz der Pagoden“. Diese Aufnahme ist nicht nur die erste seit über einem Jahrzehnt, sondern auch ein persönliches Projekt Wongs, das seine Affinität zu asiatischen Musiktraditionen und Brittens faszinierendem Schaffen vereint. Der Hörer wird in ein musikalisches Abenteuer entführt, das Märchenhaftes, Mythisches mit orientalischen Klängen und britischer Kompositionskunst vereint.

Kahchun Wong, in Singapur geboren und seit dem Gewinn des Mahler-Wettbewerbs 2016 ein international geschätzter Dirigent, hat im September 2024 die Leitung des Hallé Orchesters übernommen. Wongs Fähigkeit, westliche und östliche Klangästhetik in seinen Interpretationen zu verbinden, verleiht ihm eine einzigartige musikalische Stimme. Er versteht es ausgezeichnet, Brittens Stil mit einem Hauch asiatischer Klangfarben zu bereichern und wagt es dabei, tradierte musikalische Normen zu überschreiten. Bereits in seinem Antrittskonzert setzte er neue Akzente und zeigte eindrucksvoll, wie er das Orchester auf eine expressive, dynamische Reise mitnimmt. Diese Aufnahme vereint seine akribische Auseinandersetzung mit der Partitur und seine Detailverliebtheit, die durch Studien in der Britten Pears Library und die Zusammenarbeit mit dem Britten-Spezialisten Colin Matthews geschärft wurden.

In dieser Einspielung zeigt das Hallé Orchestra unter Kahchun Wong eine eindrucksvolle Bandbreite und Ausdruckskraft, die Brittens „Prinz der Pagoden“ in all seinen Facetten beleuchtet. Die präzisen Einsätze, die Klarheit in der Stimmführung und die gegenseitige Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Instrumentengruppen schaffen ein Gesamtbild, das über das rein Technische weit hinausgeht und tiefe Emotionen weckt. Die Streichergruppe entfaltet in den lyrischen Passagen eine warme, üppige Klangfülle, die wie geschaffen ist, die zarten, oft geheimnisvollen Farben dieses Balletts zum Ausdruck zu bringen. Ihre Bögen schwingen zwischen schimmerndem Legato und schnellen, präzisen Staccati, wodurch sie sowohl die exotischen als auch die dramatischen Momente der Partitur unterstreichen.

Besonders beeindruckend sind die Holzbläser, deren solistische Momente fernöstliche Anklänge schaffen. Der Oboist zeichnet etwa jene eindringlichen, melancholischen Melodien, die das Wesen der exotischen Märchenwelt Brittens einfangen und dabei mit einer Klarheit spielen, die bis ins letzte Detail durchhörbar ist. Die Flöten und Klarinetten, ebenfalls mit fein differenzierter Dynamik und Präzision geführt, sorgen für Leichtigkeit und Erhabenheit, die Brittens komplexe Harmoniegebilde balancieren. Die Blechbläser und das Schlagwerk bringen kraftvolle Akzente ein, die nicht nur die Dramatik der Handlung verdichten, sondern zugleich der Komposition Wucht und Gewicht verleihen. Wong versteht es hier, die einzelnen Instrumentengruppen so aufeinander abzustimmen, dass Brittens oft verschachtelte Klangarchitektur in einer klaren, fesselnden Form aufblüht.

Kahchun Wong selbst zeigt sich als einfühlsamer, akribischer und zugleich mutiger Gestalter. Er erfasst den reichen Symbolgehalt der Partitur und verleiht ihr sowohl die mystische Atmosphäre als auch die dramatischen Spitzen, die Brittens Musik innewohnen. Die ruhigen, beinahe meditativen Stellen lässt er organisch fließen und ermöglicht den Instrumenten, ihre klanglichen Details auszukosten. Die dynamischen Wechsel und die oft unerwarteten Rhythmusbrüche Britten’scher Komposition setzt er mit energischer Klarheit und Präzision um. Dabei fordert er das Orchester zu Höchstleistungen heraus, was sich in der Ausgewogenheit und dem Zusammenhalt der Musiker niederschlägt – das Hallé Orchestra klingt hier unter seiner Leitung nicht nur homogen, sondern entfaltet zugleich eine schillernde klangliche Vielfalt, die jeden Teil der Komposition lebendig werden lässt.

Die Art und Weise, wie Wong die Struktur des Werks in einzelnen Höhepunkten und in der dramaturgischen Gestaltung betont, zeigt seine tiefgehende Beschäftigung mit der Partitur. Durch seine Arbeit in der Britten Pears Library und die Begegnung mit britischer Musiktradition hat er eine fein nuancierte Lesart entwickelt, die Brittens subtile kulturhistorische Bezüge zum Leben erweckt. Dies verleiht dem Werk eine schwebende Transparenz, die die unterschiedlichen Themen und Motive dynamisch verbindet und den Hörer so durch das gesamte Ballett hindurch trägt.

Mit dieser eindrucksvollen Aufnahme haben Wong und das Hallé Orchestra eine exemplarische Interpretation von Brittens „Prinz der Pagoden“ geschaffen. Wong vereint analytische Schärfe mit interpretatorischem Einfühlungsvermögen und offenbart das Hallé Orchestra als ein Ensemble, das sich nicht nur technisch brillant, sondern auch klanglich raffiniert und erzählerisch überzeugend präsentiert. Diese Aufnahme hinterlässt einen bleibenden Eindruck und weckt Vorfreude auf weitere gemeinsame Projekte.

Dirk Schauß, im November 2024

 

Benjamin Britten

The Prince of the Pagodes

Hallé Orchestra

Kahchun Wong, musikalische Leitung

HLD 7565

 

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