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CD BÉLA BARTÓK: Sämtliche Streichquartette – QUATUOR DIOTIMA, naïve

18.05.2019 | cd

CD BÉLA BARTÓK: Sämtliche Streichquartette – QUATUOR DIOTIMA, naïve

 

Das renommierte französische 1996 gegründete Kammermusikensemble mit dem schönen deutschen Namen Diotima (wer denkt hier nicht an Hölderlins Roman Hyperion), überwiegend zeitgenössischer Musik verpflichtet und Auftragegeber zahlreicher  Kompositionen, hat eine bemerkenswerte Gesamteinspielung sämtlicher Streichquartette von Béla Bartók vorgelegt. In der Diskographie der Musiker finden sich mit Werken von Reich, Berber, Crumb, Onslow, Srnka, Posadas, Fuentes überwiegend Raritäten, was sie nicht daran hindert, auch Schubert zu ihren Favoriten zu zählen.

 

Bartóks sechs gewichtige Beiträge zur Königsgattung des Streichquartettes sind über einen Zeitraum von 30 Jahren entstanden. Eine Zeit, in der sich die musikalische Sprache Bartóks immens fort entwickelte. War sein erstes Quartett noch von der unerwiderten Liebe zur Geigerin Stefi Geyer inspiriert und der Spätromantik verpflichtet, bezieht sein zweites Quartett ethnomusikalische, insbesondere rumänische und arabische Folklore mit ein. Im dritten und vierten Quartett ist schon der extrem komprimierte Stil mit einer prononcierten Kontrapunkttechnik vorherrschend, Bartók nähert sich hier der Pariser Moderne und der Zweiten Wiener Schule mit neuen Spielarten von Glissando und Vibrato an. Hier ist auch zum ersten Mal das sogenannte „Bartók Pizzicato“ auszumachen, bei dem die gezupfte Saite auf das Griffbrett zurückschnellt. Das fünfte Quartett markiert mit seinem lyrischeren Duktus, harmonisch melodiöseren Atmosphäre vor dem letzten fünf Jahre später entstandenen Streichquartett (1939), das unter dem Trauma der sterbenden Mutter und des Aufkommen von Nationalismus und Faschismus entstand. Das im US-amerikanischen Exil begonnenen siebente Quartett kann der rasch an Leukämie sterbende Komponist nicht mehr vollenden. 

 

Das Quatuor Diotima (Yun-Peng Zhao 1. Violine, Constance Ronzatti 2. Violine, Franck Chevalier Viola, Pierre Morlet Cello) legt bei aller rhythmisch messerscharfen Präzision gewichtige Akzente auf eine vollendete Sanglichkeit  und Sinnlichkeit des Klangs. Nicht die komplexen Strukturen allein fasziniert das homogene Kleeblatt, sondern die vielfältig einander widerstreitenden Emotionen, für die der Komponist solche Gerüste braucht, um nicht an der Uferlosigkeit des Schicksals zu ersticken. Das sechste Quartett bezeichnen die Vier als „großen, verzweifelten nostalgischen Gesang.“ 

 

Höchste Spannung, äußerste Expressivität und eine ganz persönliche musikalische Sprache sind Bartoks Markenzeichen. Das Quartett erklimmt diesen „Mount Everest“ der Streichquartette mit einer Mischung aus verwegener Leichtigkeit und interpretatorischer Geradlinigkeit.  Zwischen musikgeschichtlichem Wissen und dem Respekt diesem klingenden Tagebuch gegenüber scheint alles an seinem logischen Platz zu sein. Die repetitiv perkussiven Elemente sind dem menschlichen Herzschlag näher als dem Synthesizer. Die zutiefst humane Interpretation der Franzosen reiht sich in die Liste der besten Aufnahme  des Komponisten.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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