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CD: BEETHOVEN’S WORLD VOL. 1 – 3 – WDR Sinfonieorchester/Deutsche Radio Philharmonie, Reinhard Goebel

22.06.2020 | cd

CD: BEETHOVEN’S WORLD VOL. 1 – 3 – WDR Sinfonieorchester/Deutsche Radio Philharmonie, Reinhard Goebel

Besuchten Wiener Musikliebhaber im frühen 19. Jahrhundert ein Konzert, konnten sie weit mehr hören, als „nur“ Mozarts Klavierkonzerte oder Beethovens Sinfonien. Das Repertoire war weitaus reicher, als man es im ersten Moment annehmen würde, und so erweist sich die Idee Reinhard Goebels unter dem Titel „Beethoven’s World“ vergessene Werke aus dem Umfeld Beethovens wieder zugänglich zu machen, erweist sich als ein vorzüglicher „Kollateral-Nutzen“ des Beethovenjahres.

Die erste Folge der Reihe wurde am 12. Oktober 2018 live (Konzert Nr. 2) und vom 17. bis 21. Juni (Konzert Nr. 1) im Studio des WDR Funkhaus in Köln aufgezeichnet.

Franz Clement (1782–1842) hatte als Geige spielendes Wunderkind bereits früh Kontakt zu allen grossen Namen der europäischen Musik. Sein heute noch erhaltenes, ihm vom Grafen Seeau geschenktes luxuriös in Leder eingebundenes Stammbuch enthält Widmungen von Haydn, Salomon, Viotti, Nancy Storace, Rauzzini, Bridgetower, Fodor, Neefe, Cramer, Jarnowicz, Baron van Swieten, Constanze Mozart, Salieri, Albrechtsberger, Wranitzky, Kozeluch und Beethoven. Am 7. Juli 1791 spielte er in Oxford bei der Promotion Joseph Haydns (1732–1809) zum Ehrendoktor und am 9. August 1792 vor dem an diesem Tag in Prag zum König von Böhmen gekrönten Franz I. (1768–1835). 1802 wurde Clement als Konzertmeister und Violin-Dirigent an das „Theater an der Wien“ berufen. Unter seiner Leitung wuchs das Ensemble des Hauses innert kürzester Zeit zum führenden Orchester Wiens heran. So versicherte sich Beethoven zur Uraufführung der Eroica der Mitwirkung Clements. Der Misserfolg von Beethovens Dritter Sinfonie und der Erfolg des am gleichen Abend uraufgeführten Ersten Violin-Konzerts von Clement wirkten sich natürlich negativ auf das Verhältnis der beiden Komponisten aus. Clement ist heute noch durch die launige Widmung von Beethovens Violinkonzerts op. 61 „par Clemenza pour Clement“ bekannt, um das Clement Beethoven für seine Akademie am 23. Dezember 1806 gebeten hatte.

Das WDR Sinfonieorchester unter Reinhard Goebel spielt das Konzert Nr. 1 D-Dur für Violine und Orchester (1805) und das Konzert Nr. 2 d-Moll / D-Dur für Violine und Orchester (nach 1806) höchst aufmerksam mit wunderbar lyrischem Klang und gibt so Mirijam Contzen an der Violine die gebührende Bühne für ihre Virtuosität.

Die zweite Folge der Reihe wurde vom 26. bis 30. November 2018 im Grossen Sendesaal des Saarländischen Rundfunks in Saarbrücken aufgezeichnet. Unter Leitung von Reinhard Goebel stellt die Deutsche Radio Philharmonie zwei Konzerte für zwei Violoncelli und ein Stück echte U-Musik der Zeit vor.

Beethoven kannte den Böhmen Antonín Reicha (1770-1836) bereits seit seiner Jugend: An der Universität von Köln, wo Maximilian Franz, jüngstes Kind (1756–1801) des Kaiserpaares Maria Theresia und Franz Stephan, seit 1784 Kurfürst war, inskribierten sich am 14. Mai 1789 Beethoven und Antonín Reicha als Studenten der Philosophie, zwei 1770 geborene Mitglieder der Hofkapelle, die sich unter Max Franzens Einfluss zu einem beachtlichen Ensemble mit vielen wohlklingenden Namen entwickelt hatte. Im Oktober 1794 brach Kur-Köln angesichts der französischen Revolutionstruppen zusammen und sämtliche Musiker waren de facto arbeitslos: wer konnte, verließ das unruhige Rheinland und begab sich in die von der Rheingrenze am weitesten entfernte Stadt des Reiches, in die Reichshauptstadt Wien. Reicha kam nach Erfolgen in Frankreich 1802 nach Wien, wo sich sein Studienfreund Beethoven schon seit aufhielt. Die hier als Weltersteinspielung vorgelegte Sinfonia Concertante e-Moll / e-Dur für zwei Violoncelli und Orchester entstand um 1805. Das Verhältnis zwischen den beiden Studienfreund kühlte rasch ab, denn Reicha hatte geschafft, was Beethoven zeitlebens verwehrt blieb: den Sprung in den Musiksalon der Kaiserin Maria Theresia von Neapel-Sizilien (1772–1807).

1796 trat Beethoven bei einer Akademie des Geigers Andreas Romberg und seines Cousins, des Cellisten Bernhard Romberg, auf. Bernhard Romberg, der für Beethoven beim Wiener Adel zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz zu werden drohte, reiste nach erfolglosen Verhandlungen durch ganz Europa und kam, nach einem kurzen Gastspiel 1807, erst 1821, nun international als „Paganini des Violoncello apostrophiert, nach Wien. Rombergs spätes Concertino op. 72. wurde posthum 1842 ediert.

Das hier ebenfalls als Weltersteinspielung vorgelegte Divertisment für Faschings Dienstag, den 26. Februar 1805, von Josef von Eybler (1765-1846), zwischen 1800 und 1833 ein treuer Diener vieler habsburgischer Majestäten, ist ein Stück Gebrauchsmusik jener Zeit.

In den Konzerten von Reicha und Romberg pflegt die Deutsche Radio Philharmonie einen eher zurückhaltenden Klang, dreht dann bei Eybler aber richtig auf.

Vom 14. bis 21. Juni 2019 hat im WDR-Funkhaus in Köln das WDR Sinfonieorchester unter Reinhard Goebel mit Mirijam Contzen, Violine, und Herbert Schuch, Klavier, die dritte Folge der Reihe mit Werken von Salieri, Hummel und Voríšek aufgenommen.

Antonio Salieris „Variazioni Sull’Aria „La Follia di Spagna” entstanden als Einlage für Aufführungen von Händels Alexanderfest (in einer Wiener Fassung unter dem Titel Timotheus) am 22. und 23. Dezember 1815 im Burgtheater. Eine Notiz im Autograph deutet daraufhin, dass die Variationen nach dem Chaconne-Chor „Brich die Bande seines Schlummers, stürm ihn auf mit lautem Donner“ eingelegt wurden und als orchestrale Weckmusik für den eingeschlafenen Alexander den Großen gedacht waren.

Kurz nach dem Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) am 1. April 1804 den Vertrag als Konzertmeister des Fürsten Esterházy, bei dem nach wie vor Joseph Haydn als Kapellmeister im Sold stand, unterzeichnet hatte, entstand das mit Reminiszenzen an seinen Lehrer Mozart gespickte Doppelkonzert¬ G-Dur op. 17 für Violine, Klavier und Orchester.

Zunehmende Probleme vor allem mit anderen Musikern, aber auch dem Fürsten selbst führten 1811 zur Entlassung Hummels aus Esterhazys Diensten. Um 1815, Eisenstadt und Esterhazy waren längst vergessen, hörte Hummel in den Soiréen des Statistikprofessors Zizius einen jungen Pianisten aus Nordböhmen, der ihn tief beeindruckte: Jan Václav Voríšek (1791-1825). Sofort nahm ihn Hummel unter seine Schüler auf. Voríšeks einzige Sinfonie, die Sinfonie in D-Dur op. 23, entstand im Jahre 1823, zwei Jahre vor seinem frühen Tod.

Das WDR Sinfonieorchester überzeugt auch in dieser Aufnahme mit vollem, sattem Klang und hörbarer Spielfreude.

Ein höchst lobenswertes Projekt, das – nicht nur im Jubiläumsjahr – eine willkommene Ergänzung der Aufnahmen des Jubilars und den Blick auf sein Werk gleichermassen in einen grösseren Zusammenhang stellt wie auch schärft. Gerne mehr!

22.06.2020, Jan Krobot/Zürich

 

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