CD “BEETHOVEN‘S WORLD”: Instrumentalmusik von ANTONIO SALIERI, JOHANN NEPOMUK HUMMEL und JAN VACLAV HUGO VORISEK; SONY
Endlich was wirklich Neues zum Beethoven-Jahr
Einige neuere Publikationen beschäftigen sich dankenswerterweise mit wenig bekannter bis noch nie gespielter Musik aus dem Umfeld des Jubilars Ludwig van Beethoven. Hierzu zählen die großartige Box Beethovens Welt 1799-1851 „Der Revolutionär & seine Rivalen“ des casalQuartetts mit Weltersteinspielungen von Gyrowetz, Hänsel und Czerny. Oder die Serie des von Reinhard Goebel initiierten Aufnahmeprojekts „Beethovens Welt“, das mit dem vorliegenden Album in die dritte Rund geht. Die erste CD war Violinkonzerten von Clement, die zweite Doppelcellokonzerten von Reicha und Romberg gewidmet.
Die nunmehrige Einspielung ist zuvörderst eine Gelegenheit, dem Schaffen Antonio Salieris, aber auch demjenigen zweier anderer Weggefährten von Beethoven ihren wahren Stellenwert zurückzugeben. Die Welt der Klassik gibt sich ja mit nicht weniger als den allergrößten Meisterwerken der rund ein Dutzend Genies zufrieden, die landab landauf immer wieder gespielt oder in Wunschkonzerten nachgefragt werden. Welche Vermessenheit! Die in den letzten 30 Jahren zwar korrigiert, aber noch beileibe nicht überwunden ist. Keine andere Sparte der Kunst hat im Laufe der Jahrhunderte so gnadenlos die rasiermesserscharfe Guillotine auf vieles gerichtet, was nicht Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Wagner, Verdi, Strauss oder Berg&Co war oder danach roch.
Wenn ich lese, dass Herr Gyrowetz 26 Opern und 60 Streichquartette geschrieben hat, und jetzt im Rahmen der Entstehung der Streichquartettbox “Beethovens Welt“ ein allererstes Streichquartett auf CD eingespielt wurde, ahne ich, was noch vor uns liegt. Umso interessanter ist die Begegnung mit Salieris umwerfend schönen “26 Variationen Sull’Aria ‚La Folie di Spagna‘ für Orchester und Solis von Harfe und Violine im Dezember 1815 als Einlage für Händels “Alexanderfest” im Wiener Burgtheater (wo es unter dem Titel “Timotheus” gespielt wurde) komponiert. Das virtuose Stück war als orchestrale Weckmusik für den eingeschlafenen Alexander den Großen gedacht. In diesen Variationen über das spanische Thema “La Follia” aus Francesco Bartolomeo Contis Oper “Don Chisciotte in Sierra Morena” geht es um nichts weniger als um die unendliche Vielfalt der Musik selbst, die sich in prächtigsten Rhythmen, üppigen Klangfarben und anspruchsvoller Dynamik sonnt. Dabei wird der spanische Tanzcharakter in der Betrachtung von Karl Böhmer “mal zum Fandango, mal zum italienischen Saltarello umgedeutet. Auf den barocken Pomp der Tiraden und Triller antworten frühromantische Klänge wie etwa ein Posaunentrio im Stile von Salieris Schüler Franz Schubert.” Schon überzeugt, dieses Wunderwerk hören zu wollen? Nur zu.
Das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung des Alte Musik Gurus Reinhard Goebel spielt so begnadet stilsicher, schwungvoll und unmittelbar berührend, als hätte es niemals etwas anderes auf den Pulten gehabt als Musik des frühen 19. Jahrhunderts. Die einzelnen Instrumentengruppen führen lichtvoll vor, was sie alles an Virtuosität, solistischem Elan und klanglichem Reichtum aufzubieten haben.
Was für eine Freude, Johann Nepomuk Hummels ganz im Stile Mozarts und dennoch völlig unbefangen frisches Doppelkonzert für Violine, Klavier und Orchester Op. 17 (1804) mit Mirijam Contzen (Violine) und Herbert Schuch (Klavier) als Solisten in solch vollendeter Wiedergabe zu erleben. Der Mozart-Schüler Hummel zitiert in seinem großartigen über 30-minütigen Werk des Öfteren aus Mozarts Schaffen, wie etwa aus dem Klavierkonzert in B-Dur KV 456 oder den Konzerten in D-Dur und G-Dur, KV 451 und 453. Das Konzert klingt so, als ob es von Mozart wäre, falls er noch 10 Jahre länger gelebt hätte.
Von der Gestik her origineller zu geht es im Jan Václav Hugo Voříšeks Symphonie in D-Dur Op. 23 zu. Der nordböhmische Pianist, der in Wien als Hoforganist Karriere machte, schrieb eine einzige Symphonie, die hier nach 20 Jahren nach der letzten Einspielung wieder zu CD-Ehren kommt. Karl Böhmer: “Man kann die Symphonie als unmittelbares Gegenstück zu Schuberts h-Moll Sinfonie aus dem gleichen Jahr ansehen. Wie Schubert erwarb Voříšek mit seiner Sinfonie die Ehrenmitgliedschaft im Steiermärkischen Musikverein in Graz und wie sein Wiener Kollege erlag er viel zu früh im November 1825 einer tückischen Krankheit. Die Sinfonie blieb sein Vermächtnis.”
Mit diesem Album lässt das Beethoven Jahr eine seiner schönsten Blüten aufgehen.
Dr. Ingobert Waltenberger