CD BEETHOVEN: THE SONATAS FOR PIANO AND VIOLIN – MARLO THINNES, INGOLF TURBAN; telos music
Aufwühlender Beethoven mit Kanten und Ecken
Großes Standardrepertoire auf dem Prüfstand: Wenn Ingolf Turban auf seiner Stradivari aus dem Jahr 1721 im Corona-Jahr 2020 sämtliche Violinsonaten des Jubilars einspielt, darf das Ergebnis alles andere denn beliebig ausfallen. Der Münchner Meistervirtuose, der sich für selten gespielte Werke u.a. der klassischen Moderne stark macht, legt sicher keinen Schongang ein, schon gar nicht in den die Violine in die Auslage stellenden ersten Sonaten. Wenig Vibrato und ein markant charaktervoller Ton sind von Beginn an die Markenzeichen einer extrovertierten, die Expressivität der Musik, aber auch ihrer zarte Verführung und ihren Humor in all ihren Formen bis zum Anschlag ausreizenden Interpretation.
Was der Aufnahme dankenswerterweise abgeht, sind Weichspüler, Faserschmeichler oder sonstige zweifelhafte Zutaten, die die Musik zur Hintergrundtapete degradieren. Ganz der ureigensten Natur Beethovens folgend, was auch klatschende musikalische „Ohrfeigen“ (Zitat Turban über ‚sfiorzati‘ im Op. 23) inkludiert, versucht die Lesart des Duos Thinnes /Turban dem Unerwarteten in der Musik, allen „Gefühlsumschlägen und urplötzlichen Verwandlungen“, final dem Geheimnis des Verhältnisses der beiden Instrumente zueinander auf die Spur zu kommen.
Ein wunderbar anschauliches Bild über den Gemütszustand des Interpreten liefert Marlo Thinnes: Man fühlt sich „wie auf den Schwingen eines in die musikalische Zukunft fliegenden Riesenvogels… jede Landschaft, die überflogen wird, ist anders aufregend, teils gefährlich, aber auch voller Schönheit und Wunder – Inspirationen aus jeder Perspektive.“
Mario Thinnes am Klavier schwingt die Fahne satten Wohllauts, vermag aber im Wettstreit mit der Violine Wunder an Anschlagsvariablen zu vollbringen und energische Konterrede zu formulieren. Ingolf Turban meldet sich bisweilen in aller Schärfe „zu Wort“. Die Skala der von ihm gezauberten Töne reicht von verhangen zart und jahrmarktlaunisch musikantisch bis hin zur dramatisch kämpferischen Geste. Beeindruckend.
Das Klangbild ist schonungslos direkt, natürlich, unverstellt im Tiefenprofil. Es erinnert mich an Friedrich Guldas Aufnahme-Eigenexperimente.
Eine Einspielung wie in Marmor gemeißelt, bei der Wahrhaftigkeit an oberster Stelle steht. Eine Interpretation aus einem Guss für die Ewigkeit. Und damit einer der bedeutendsten Beiträge zum Beethoven-Jahr!
Dr. Ingobert Waltenberger