CD BEETHOVEN: SYMPHONIEN – Gesamtaufnahme mit dem DANISH CHAMBER ORCHESTRA unter ÁDÁM FISCHER, NAXOS
Das Beethoven Jahr 2020 – der Geburtstag des Komponisten jährt sich am 17. Dezember zum 250. Mal – ist natürlich ein gefundenes „Fressen“ für die Konzert- und Tonträgerwirtschaft. Das ist auch gut so. Neben Wiederveröffentlichungs-Remasterings werden Aufnahmen ins Haus stehen, die vielleicht neue oder zumindest neu kolorierte Seiten in der Interpretationsgeschichte so bekannter Zyklen wie der Klaviersonaten oder der Symphonien aufschlagen. Und so das Interesse für das immens reiche klassisch-klassische Repertoire wachhalten. Wie oft der Gesamtzyklus bisher insgesamt weltweit auf Tonträger aufgenommen wurde, weiß keiner so genau. Aber es werden geschätzt (Quellen Archiv des Beethoven Hauses Bonn u.a.) schon an die 100 Gesamtaufnahmen sein, die Frage nach der Verfügbarkeit im Katalog bleibt davon unberührt.
Die Neuaufnahme mit Ádám Fischer stützt sich auf das Dänische Kammerorchester. Beethoven oder Brahms-Symphonien mit einem Kammerorchester aufzuführen, ist an sich weder neu noch bedeutet das a priori eine Qualität. Thomas Dausgaard hat es pionierhaft – wie ich meine – mit seinem Swedish Chamber Orchestra in den Jahren 2000-2009 vorgeführt und konnte damit durchaus reüssieren. Ähnlich Giovanni Antonini, der mit dem Kammerorchester Basel ebenfalls gute Kritiken einheimsen konnte. Wie sehr den großen klassischen Symphonien eine kammermusikalische Besetzung passend zu Gesichte stehen kann, hat kürzlich Robin Ticciati mit Brahms und dem Scottish Chamber Orchestra vorgeführt.
Nun ist Ádám Fischer an der Reihe und er überrascht mit einer aus der Haydn-Tradition weitergedachten extrem flott genommenen, das Revolutionäre in glühenden Furor gegossenen Interpretation. Ádám Fischer meint zu Recht, dass es nicht reicht, auf Originalinstrumenten zu spielen und die neuesten historischen Forschungsergebnisse dogmatisch zu berücksichtigen. Jeder Dirigent muss wie ein Regisseur versuchen, das heutige Publikum emotional zu packen, Hörgewohnheiten, Phantasien und Träume inklusive.
Das, was der Pianist Igor Levit in einem Zeit-Interview 2016 sagt (ich freue mich sehr auf die für Herbst angekündigte Neuaufnahme aller Sonaten), kann vielleicht Fischers Verständnis der Symphonien verdeutlichen: „Beethoven ist so ungeheuer frei: Er ist formlos und formvollendet wie kein anderer. Beethoven ist ein Mann der Überraschungen, der Überwältigungen: leise, leise, leise, laut! Und das alles kann so witzig sein, anmutig humorvoll, böse humorvoll, dunkel, hell, schnell, langsam.“
Ádám Fischer weiß stets exzellente Beziehungen zu seinen Musikern herzustellen. Das Danish Chamber Orchestra kennt er als Chef bereits seit 21 Jahren. Ein im Jahr 2014 begonnener Zyklus blieb aufgrund einer finanziell bedingten Umstrukturierung des Orchesters unvollendet. Also alles von vorne. So geht Fischer diesmal von den sanglich und organisch fließenden Interpretationen wie wir das von „seinem“ Mozart kennen, ab. Der Beethoven-Zyklus dringt hochenergetisch, dynamisch kontrastreich, rhythmisch strikt (Rubato war gestern) und bisweilen improvisatorisch anmutend ins Wohnzimmer. Der künstlerische Blick hält nach der klugen Einsicht des Dirigenten lediglich einen (Anm.: wohl zeitgeistig motivierten) Augenblick wie einen Schnappschuss fest, stellt eine Momentaufnahme dar und kann niemals zeitlose Gültigkeit in Anspruch nehmen.
Von der akademisch viel diskutierte Frage nach der strikten Befolgung von Metronomangaben und Tempi hält Fischer nicht viel, vor allem nicht, allen Tempoangaben unkritisch zu folgen. Wichtig sei, dass das Tempo kein Ziel an sich darstelle und nur in Verbindung mit dem Aussagewillen des Komponisten verstanden werden will. Es müsse daher flexibel gedacht sein. Die Wahl der Tempi hängt von einer Vielzahl von Faktoren, u.a. von den Akustikverhältnissen eines Raumes und den involvierten Persönlichkeiten ab und ist keine bürokratisch metronomische Trockenübung. Dabei steht Fischer bei den Tempi Arturo Toscanini nahe und ist daher Schöpfer eines der geschwindesten Beethoven Symphonien-Zyklen der Plattengeschichte. Das Adagio der Neunten nimmt Fischer gar noch flotter als Toscanini, wie dies etwa auch Vasiliy Petrenko kürzlich beim Young Euro Classic Konzert des European Youth Orchestra am 1. August in Berlin vorexerziert hat.
Adam Fischers Beethoven Zyklus ist ein aufgewecktes Kind unserer Zeit. Fischer spürt hinter dem titanischen Aufbäumen immer mal wieder die fugitiven Sehnsüchte nach Harmonie auf, den subkutanen Kanonendonner und ätzenden Pulverdampf der Zeit spachtelt er hastig mit in sein detailreiches Menschheitsfresko. Vom Charakter her fallen eine hoch konzentrierte Rasanz sowie kammermusikalische Ruhepole – einige wie auf leisen Pfoten – auf. Der Pinsel ist trocken, die Pressung noch frisch. Viele werden sich über eine Wiedergabe frisch von der Leine freuen. Wer seinen Radar auf den durch Erfahrung und großen Wissen intuitiv erahnten Sinn der Kompositionen richtet, wird spannende Erlebnisse mitnehmen. Allerdings können bei aller mitreissenden Dynamik die strikte Rhythmisierung und die schnellen Tempi irritieren. Wer seine epochalen Haydn Aufnahmen in Erinnerung hat, muss sich auf ein anderes Hörerlebnis einstellen. Fischer auf Currentzis‘ Spuren sozusagen. Selbstredend ist dies auch ein Teil der Qualität des neuen Zyklus.
Dr. Ingobert Waltenberger