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CD BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE Nr. 5 und Nr. 0, WoO 4, BORIS GILTBURG mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter VASILY PETRENKO; Naxos

18.04.2022 | cd

CD BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE Nr. 5 und Nr. 0, WoO 4, BORIS GILTBURG mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter VASILY PETRENKO; Naxos

Die Gesamteinspielung geht in die zweite Runde

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Im Dezember 2019, rechtzeitig zum beginnenden „Beethoven-Jahr“, sind die beiden ersten Klavierkonzerte und das Rondo WoO 6 erschienen. Nun folgt das berühmteste und reifste der Beethoven Konzerte, glanzvoll wie die Musik „Kaiser“ betitelt, gekoppelt mit einem Frühwerk des 13-jährigen Beethoven. Das Klavierkonzert Nr. 0 in Es-Dur, WoO 4, vereint gediegenes kompositorisches Handwerk mit selbstbewusster Bravour.

Man kann davon ausgehen, dass Beethovens Frischling aus dem Jahr 1784 nicht auf Mozart, sondern auf den Einfluss der Konzerte des Johann Christian Bach zurückzuführen ist. Das heißt, die galant einschmeichelnden Melodien sind wie die hochgepuscht virtuosen „Schaut doch her, was ich kann“ Verzierungen ganz auf das Klavier konzentriert. Das „Orchester“ (Anm.: in dem im Klavierauszug mit notierten Tutti-Passagen) begleitet einfach, ohne dem Solisten ein gleichwertiger Partner auf Augenhöhe zu sein, wie dies im Fünften Klavierkonzert auf so staunenswerte Weise der Fall ist. Giltburg bescheinigt dem Nullten „mal feingliedrige, mal feurige Passagen, die manchmal schon ans übertrieben Komplexe grenzen. Es ist ein Werk, mit dem man beeindrucken und geradezu angeben kann.“

Da die Notenblätter des Konzerts verschollen sind und nur ein Klavierauszug in Beethovens Handschrift existiert, hat sich Giltburg dazu entschlossen, statt mit einer Rekonstruktion der Orchestrierung zu arbeiten, das Werk als Konzert ohne Orchester aufzunehmen. Vor allem das lichttrunkene finale Rondo glänzt durch humorvollen Schabernack und trickreicher Lausbüberei.  

Wie das frühe „Nullte“, steht das meisterliche Konzert Nr. 5 in Es-Dur. Obwohl ein großer Teil des Materials auf sehr einfachen harmonischen Progressionen besteht, verleiht „diese harmonische Einfachheit dem Konzert ein Gefühl wunderbarere Stabilität und Erdung“. Über dieses Konzert ist bereits alles geschrieben worden. Vielleicht nur am Rande sei erwähnt, dass der 38-jährige Beethoven anlässlich der Leipziger Premiere den Klavierpart wegen stark nachlassendem Gehör nicht mehr übernehmen konnte. Deshalb notierte der Misstrauische alle Verzierungen mit Akribie selbst, und verfügte am Ende des ersten Satzes ein dezidiertes Kadenzverbot.

Der russisch israelische Pianist Boris Giltburg ist – wie schon im ersten Teil der projektierten Gesamtaufnahme – ein Glücksfall an technischer Perfektion und lyrisch gefühlvoller Ausleuchtung der Musik. Ob das zu Herz gehende ‚Adagio un poco moto‘  oder das burschikos strahlende ‚Rondo: Allegro‘, Giltburg stellt seinen federleichten Anschlag in den Dienst einer klassischen, am Notentext orientierten Interpretation. Dabei gehen ihm sowohl die sanft-poetischen Passagen im ersten Satz („Als ob die Wolken am Nachthimmel aufreißen und klares Mondlicht die Szene beleuchtet“) als auch das „heiterste, übermütigste und ansteckend dynamischste Finale Beethovens“ im Op. 73 leicht und locker von der Hand.

Vasily Petrenko ist Giltburg mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra in stupender Verfassung ein verlässlicher Begleiter ohne viel Aufhebens oder Federlesens. Kein Herumgedoktere, kein Experiment, dafür hören wie eine Lesart voller Esprit und leichtgängiger Emphase: Dieses Understatement im besten Sinne des Wortes lässt uns vielleicht Beethoven mehr auf den Grund fühlen als jede exaltierte Verstärkung des schon per se ungemein Kraftvollen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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