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CD BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE – Gesamtaufnahme mit JAN LISIECKI und der Academy of St. Martin in the Fields, Deutsche Grammophon

Meilenstein in der Beethoven Rezeption

27.09.2019 | cd

CD BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE – Gesamtaufnahme mit JAN LISIECKI und der Academy of St. Martin in the Fields, Deutsche Grammophon

 

Meilenstein in der Beethoven Rezeption

 

Junge Musiker haben die Wahl und die Möglichkeit, ihren persönlichen Stil abseits jeglicher  Interpretationsdogmatik (Stichwort: Originalklangapostel oder deren Verächter) zu entwickeln. Die schon längst in den allgemeinen Ausdruckskanon vieler Dirigenten integrierten Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis erlauben schärfer artikulierte Akzente und eine sehniger muskulösere Binnenspannung auch mit modernen Instrumenten. Zur vertikal verorteten expressiven Klangrede gesellen sich nun wieder vermehrt Exzellenz in der Phrasierung, eine Geschmeidigkeit in der musikalischen Linienführung, eine befreiende Unbeschwertheit im Umgang mit der Musik großer Meister, was uns Hörer fordert und im richtigen Maße das Ohr umschmeichelt. Wer glaubt, nur die metronomische Kante (was ist ein Rubato?) und der Geschwindigkeitsrekord zählen alleine und ohne Sinnlichkeit im Klang geht es auch, gehört heute zum alten Eisen. 

 

Jan Lisiecki, kanadischer Pianist mit polnischen Wurzeln, hat letzten Dezember im Konzerthaus Berlin alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven nicht nur gespielt, sondern auch musikalisch geleitet. Die Mitschnitte der Konzerte sind nun bei der Deutschen Grammophon erschienen. Die auch aufnahmetechnisch hervorragenden Aufnahmen gehören mit zum Schönsten, was es in der Beethoven Diskographie gibt.  Jan Lisiecki lässt die Entwicklung der Kompositionstechniken Beethovens alleine durch seine ungemein differenzierte Anschlagskultur an Plastiziät gewinnen. Hebt der erst 24-jährige Lisiecki bei den ersten beiden Konzerten noch die apollinische Leichtigkeit Mozarts mit perlend duftigen Notengirlanden in den Fokus seiner Lesart, so überwältigen den Hörer beim fünften Konzert in Es-Dur die Wucht, der heroische Gestus, die dramatische Dichte, aber auch die Eleganz und die poetischen Finessen seines Spiels. 

 

Die Academy of St. Martin in the Fields ist Jan Lisiecki ein kongenialer Partner in Sachen Wandlungsfähigkeit, Spontanität, fluider Musizierkunst, traumwandlerischer Homogenität in Dynamik und Phrasierung, hoher Sanglichkeit und transparenter Stimmführung. Das fabelhafte Londoner Kammerorchester erweist sich wie schon bei der legendären Aufnahme aller Klavierkonzerte von Mozart mit Alfred Brendel als ein für diese Repertoire stilistisch nobler und in allen Instrumentengruppen klanglich idealer Klangkörper voll überschäumender Vitalität.

 

Jan  Lisiecki versteht es, als Pianist und Dirigent einen großen Bogen zu spannen vom Jahr 1792, als Beethoven sich mit dem B-Dur Konzert (das zweite, das aber vor dem ersten entstanden ist) zu befassen begann bis  zum Kanonendonner des Jahres 1809, als die Belagerung und Eroberung von Wien durch napoleonische Truppen ausschlaggebend für die besondere Atmosphäre des fünften Konzerts wurde. Der Beschuss der Franzosen soll einen solchen Lärm verursacht haben, dass Beethoven um seine Ohren zu schonen, am 10. Mai 1809 sogar im Keller seines Bruders Zuflucht suchte. 

 

Frappant ist, wie es Jan Lisiecki gelingt, über die disparaten und oftmals exzentrisch formulierten Stilmittel Beethovens von barocken Elementen, kontrapunktischer Strenge,  augenzwinkerndem Humor bis zu aufrauschend heldischer  Attitüde einen leuchtenden Bogen zu spannen. Die hohe Musikalität des Pianisten, sein untadeliges technisches Rüstzeug als auch der zauberhaft lyrisch poetische Ansatz seines Klavierspiels, im Anschlag klar und zum Glück pedalscheu, machen die vorliegenden Neuaufnahmen zu einem großen Ereignis. So muss Chopin Klavier gespielt haben! 

 

Hinweis: Die deutsche Grammophon wird am 1. November ihre komplette Beethoven Edition in neun Bänden zum 250. Geburtstag des Komponisten veröffentlichen. Über 175 Stunden Musik sind das, in enger Abstimmung mit den Beethoven-Haus Bonn kuratiert, darunter Neuaufnahmen und Weltersteinspielungen. Die Edition umfasst 118 CDs, 2 Blu-ray Audio Discs und 2 DVDs. Für nähere Informationen sehen Sie www.beethoven-playon.com oder www.bthvn2020.de.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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