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CD BEETHOVEN: EGMONT OP. 84; REICHA: LENORE – Wiederveröffentlichung erstklassiger Aufnahmen in kluger Gegenüberstellung der zwei Geburtstags-Jubilare, ORFEO  

11.01.2020 | cd

CD BEETHOVEN: EGMONT OP. 84; REICHA: LENORE – Wiederveröffentlichung erstklassiger Aufnahmen in kluger Gegenüberstellung der zwei Geburtstags-Jubilare, ORFEO

 

Und Egmont tritt herein, im Prachtgewande, glänzend steht er da. – So brecht, so reisst den Wall der Tyrannei zusammen!“
aus Goethes „Egmont“

 

Zwei wunderbare, längst vergriffenen Aufnahmen aus dem ORFEO-Katalog feiern – Beethoven- und Reicha-Jahr sei Dank – ihre CD-Auferstehung. Ludwig van Beethovens „Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont! Op. 84, erweitert um die „Leonoren-Ouvertüre“ Nr. 2, Op. 72 und Antonín Reichas dramatische Kantate „Lenore“ nach Gottfried August Bürgers gleichnamiger Ballade.

 

„Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht.“ Beethoven fand entsprechend bewegte Worte für seine Musik zu Johann Wolfgang von Goethes Trauerspiel „Egmont“ für Sopran, Sprecher und Orchester op. 84. Gerd Albrecht nahm das von ihm auch im Konzert gerne und oft präsentierte Werk während seiner Chefdirigententätigkeit mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und einer Traumbesetzung, und zwar mit dem Elisabeth Schwarzkopf Liebling Ruth Ziesak als Clärchen und Ulrich Tukur als Sprecher auf. Die Aufnahme enthält alle Nummern, neben der Ouvertüre sind das vier Zwischenaktmusiken, die Lieder „Die Trommel gerühret“ und „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein“, die „Musik Clärchens Tod bezeichnend“ sowie die „Siegessymphonie“. Das im Auftrag des Wiener Burgtheaters 1810 uraufgeführte Werk ist so wie „Fidelio“ eine Hommage an Freiheitsliebe, ein glühender Appell gegen Tyrannei und autokratische Unterdrückung. Der Konflikt zwischen dem Freiheitskämpfer Grafen Egmont mit dem Herzog Alba, Bösewicht der spanischen Fremdherrschaft in den Niederlanden, endet für Egmont mit der Hinrichtung. 

 

Gerd Albrecht holt aus dieser grandiosen Partitur allen kämpferischen Glanz, das wonnige Leid der Liebe und alle revolutionäre Kraft heraus. Die aufnahmetechnisch ganz erstklassige Einspielung aus der Musikhalle Hamburg 1991 besticht aber auch durch die Qualität des lyrischen Soprans der Ruth Ziesak, ihrer vorbildlichen Textausdeutung und Liebe zum gestalterischen Detail als auch dem pathetisch jugendlich forschen Ton des damals 34-jährigen Ulrich Tukur. Sein Schlussmonolog ist ein einziger lichter Schrei aus tiefster Seele: “Wenn tückische Gestalt Dich niederwirft, im Tode musst Du auferstehn! Dein Name wird deinem Volk voran zur Freiheit leuchten. In blut’ger Feldschlacht hast du oft gesiegt. Den höchsten Sieg erringst du jetzt im Tode. Kein Klagelaut erschalle, wenn der Held glorreich im Tod den Heldenlauf vollbringt: Ihn, den der ew’ge Lorbeer stolz umkränzt, den Sieger soll Triumpfgesang geleiten!” 

 

Als Gegenstück überrascht uns Naxos auf der zweiten CD mit einer kaum bekannten Erstaufnahme von Reichas dramatischer Kantate “Lenore”, fünf Jahre vor Egmont komponiert, mit der blutjungen Camilla Nylund in der Titelpartie, dem Prager Kammerchor, den Virtuosi di Praga unter der bewegten musikalischen Leitung von Frieden Bernius. Das Band entstand im Studio Korunni in Prag im November 2001. Der Salieri und Haydn Schüler Anton Reicha wurde am  27. Februar 1770 bin Prag geboren. Bonn, Hamburg, Wien und Paris bildeten seine musikalische Quadriga. Auch er feiert demnach 2020 seinen 250. Geburtstag.

 

In “Leonore” befinden wir uns in Prag am Ende des siebenjährigen Kriegs. Die 32 Strophen lange Schauerballade Gottfried August Bürgers dreht sich um den gefallenen Soldaten Wilhelm und seine Braut Leonore. Wilhelm reitet als zum geisterhaften Totengerippe mutierender Mann zu seiner Braut und will sie ins Soldatengrab holen. Die Wiederbegegnung der Liebenden, das Ja der Frau zum aberwitzigen Vorhaben und der gruselige Grabritt samt Gespensterballett bilden den Rahmen der Handlung. Ich finde, dass ein ausgeprägter heroischer Beethoven’scher Geist das Werk durchtränkt, mögen auch die Opera Seria, französische Grandezza und Elemente des deutschen Singspiels das Format und die Marke diese opernhaften Kantate prägen. Die Musikwissenschaft attestiert der “Lenore” eine Sandwichposition zwischen „Don Giovanni“ und dem „Freischütz“. Jedenfalls fasziniert eine theaterwirksam rauschende Höllenfahrt als Finale. 

 

Die Aufnahme ist ein echtes Geschenk für alle Melomanen, die hier in üppigster Stimmpracht baden können. Camilla Nylund als Lenore im ungebremsten Höhenrausch, aber auch Pavla Vykopalová als ihre Mutter, der heldische Tenor Corby Welch als Erzähler und Vladímir Chmelo in der Rolle des Wilhelm bieten die ganz große vokale Show. Frieder Bernius beweist einmal mehr, welch ein begnadeter Vollblutmusiker er ist. Er streicht in dem ca. 80 Minuten langen Stück alle dramatischen Facetten plastisch heraus. Das Duett de beiden Frauen “O Mutter, Mutter! Hin ist hin” darf wohl als dramatischer Höhepunkt gelten. Jetzt wissen wir auch, woher sich Smetana seine Inspiration für das Duett der beiden Soprane in der Oper “Dalibor” geholt hat.

 

Das Album ist ein Muss gerade im Jubiläumsjahr Beethoven/Reicha. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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