CD “BASEVI CODEX“ – MUSIK AM HOF DER MARGARETE VON ÖSTERREICH – DOROTHEE MIELDS und das BOREAS QUARTETT BREMEN; Audite
Renaissancemusik für Sopran und Flötenquartett
Der „Basevi Codex“, nach dem letzten privaten Besitzer Abramo Basevi getauft, ist in der Biblioteca del Conservatorio in Florenz erhalten. Da es leistbare Faksimiledrucke davon gibt, haben belgische Veranstalter sie dem Boreas Quartett Bremen als Dankesgruß nach einem Konzert überreicht. Nicht schwer zu erraten, dass die vier glorreichen Solistinnen des Bremer Blockflötenconsorts (Jin-Ju Baek, Elisabeth Champollion, Julia Fritz und Luise Manske) die Gelegenheit beim Schopf packten und sich zu dieser CD inspirieren ließen.
Der Codex selber gehört zu den raren Sammlungen franko-flämischer Musik des frühen 16. Jahrhunderts. Er wurde zwischen 1506-1514 in einem flämischen Skriptorium in Brüssel und Mechelen vom Notenkopisten und -händler Peter Imhoff alias Petrus Alamire von Hand geschrieben. Gelegentlich soll das Multitalent diplomatische Missionen (war es gar Spionage?) erfüllt haben. Komponist war dieser noch dazu zeichentalentierte Pfiffikus auch noch. Der Foliant enthält an die neunzig, überwiegend weltliche Werke damaliger Musikerstars in französischer, niederländischer, lateinischer und italienischer Sprache. Zu Beginn findet sich einer Segnung gleich die fünfstimmige geistliche Motette „Ave Maria“.
Texte wurden im Codex nur kursorisch und fragmentarisch zugefügt. Offenbar kannten diejenigen, denen das Buch als Anleitung dienen sollte, die populären Hits der Zeit auswendig. Viele der im Codex abgebildeten Chansons und Chanson-Motetten (mehrsprachige Lieder über einen Cantus firmus) können dem Hofe der privat unglücklichen, aber umso tüchtigeren und kunstverständigen Regentin der burgundischen Niederlande Margarete von Österreich zugeordnet werden. Die drei Ehemänner dieser einzigen Tochter des Habsburgerherzogs und späteren Kaisers Maximilian I. verließen sie entweder oder starben früh.
Die Musik und die schönen Künste waren da schon treuere Begleiter der klugen Herrscherin/Statthalterin, Büchernärrin, Mäzenin und Musikliebhaberin am Hof von Mechelen. Dort spielte auch die burgundische Hofkapelle bei den täglichen Gottesdiensten, wenn sie nicht mit dem Herrscher auf Reisen unterwegs war. Zur Unterhaltung gab es bei Margarete abends Hausmusik, wo sich Berufsmusiker und talentierte Adelige gleichermaßen austoben konnten.
Das vorliegende Album, das zweite einer mehrteiligen Audite-Reihe mit der Blockflötistin Julia Fritz und das Debüt des Boreas Quartetts Bremen, konnte aber nicht so mir nichts dir nichts von der Handschrift aus produziert werden. Die Künstlerinnen hatten bei der Besetzung und Stimmenverteilung die Freiheit, zwischen einer rein vokalen oder instrumentalen Wiedergabe bzw. einer gemischten Besetzung zu wählen. Außerdem konnten Verzierungen und Improvisationen zum knapp, bisweilen unvollständig Notierten ersonnen werden. Gesagt, getan. Und weil das Gute – manchmal sogar das Beste – stets naheliegt, hat sich das Quartett dafür entschieden, die in Bremen unterrichtende Sopranistin Dorothee Mields zu engagieren. Mields, längst eine Größe in Fachkreisen Alter Musik, setzt ihren glockenhellen, instrumental geführten Sopran mit stupender Leuchtkraft ein. Da die Instrumental-Solistinnen auf der anderen Seite versuchen, unter Einsatz verschiedener Flöten so erzählerisch und rhetorisch zu spielen wie möglich, ergeben sich faszinierende Momente zwischen spiritueller Introspektion und tänzerischer Ausgelassenheit. Als Beispiel für letztere mag die „Scaramella fala galle“ von Loyset Compère dienen: Scaramella geht auf ein Fest und singt voller Zuversicht den Nonsens Vers ,la zombero bero berombetta la zombero berombetta“, umrankt von lautmalerisch imitiertem Vogelgezwitscher, bevor er in Strophe zwei in den Krieg zieht, begleitet von rhythmisch geflötetem Schlachtengetümmel.
Die Mehrzahl der Kompositionen u.a. von Johannes Ghiselin, Jacob Obrecht, Pierre de la Rue, Heinrich Isaac oder Johannes Ockeghem strahlt eine enorme Ruhe, sanfte Einkehr und meditative Einfachheit aus. Tauchen Sie ein in diese durch Musik erzeugte Stille, die weiter weg vom Alltag entführt und tiefer entspannt als dies fünf Ärzte mit all ihrer Wissenschaft zu bewirken vermögen.
Dr. Ingobert Waltenberger