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CD BARBARA STROZZI „LAUSCHT IHR LIEBENDEN!“ – Hörbiografie von Jörg Handstein; BR-Klassik

06.12.2023 | cd

CD BARBARA STROZZI „LAUSCHT IHR LIEBENDEN!“ – Hörbiografie von Jörg Handstein; BR-Klassik

Gelesen von Udo Wachtveitl und Wiebke Puls als „singender Venus“

stroz

Der vierte Dezember ist Barbaratag. Der heiligen Barbara, Gabenbringerin vor Weihnachten, verdanken wir einen schönen Brauch. Zweige von Obstbäumen, seien es Kirsche, Weichsel, Apfel oder Birne, kommen in die Vase. Ihr Aufblühen schafft Freude für den Augenblick und symbolisiert Glück im kommenden Jahr.

Dieser Gedenktag bietet eine gute Gelegenheit für Freunde Alter Musik, sich an eine zu ihrer Zeit besonders erfolgreiche Namensträgerin, genauer an die Musikerin Barbara Strozzi, zu erinnern. Aktuell wird es uns aus mehreren Gründen leicht gemacht, uns näher mit dieser so außergewöhnlichen Frau und Künstlerin zu beschäftigen. Dies deshalb, weil der polnische Countertenor Jakub Józef Orliński auf seinem jüngsten Album „Beyond“ Strozzis wunderbare Arie ‚L’Amante consolato‘ aus den „Cantate, ariette e duetti“ op. 2, mit besonders viel Schmelz und Einfühlung verewigt hat und Barbara Strozzis Musik mittlerweile auf „Youtube“ erstaunlich präsent ist. Eine italienische Komponistin aus der Renaissancezeit als digitaler Star – wer hatte das gedacht? Zudem hat BR-Klassik in der Serie der Hörbiografien mit einem zeitgeschichtlich wie musikalisch faszinierenden Porträt der genialen Komponistin von acht veröffentlichten Sammelwerken und – gemäß Zeitzeugen – Barbara Strozzi als virtuosissima cantatrice ein bleibendes Denkmal gesetzt. Und genau das wollen wir uns jetzt näher ansehen.

Venedig in der Spätrenaissance: Vielleicht konnte dieses große Talent nur inmitten einer wild bewegten, zwischen prunkend polyphoner Kirchenmusik, Karnevalsexzessen, Prostitution, Aufstieg der Gattung Oper, wirtschaftlicher Prosperität, Pest (46.000 Tote alleine in Venedig, was einem Drittel der Bevölkerung entsprach) und sechstem osmanisch-venezianischem Krieg (1645–1669) pendelnden Zeit aufblühen, genauer im freigeistigen Venedig des 17. Jahrhunderts, wo noch dazu favorable Umstände ihrer Biografie die Entwicklung erlaubten.

Adoptivvater Giulio Strozzi, ein aus einem Florentiner Bankiershaus stammender Spross einer reichen Familie, hat die Tochter seiner Haushälterin Isabella Gazzani mit einem „padre incerto“ adoptiert, nicht nur, weil er als großzügiger Mensch galt, sondern weil Barbara höchstwahrscheinlich auch sein eigenes Kind war. Der Gang ins düstere Kloster, die übliche „Laufbahn“ unehelicher Mädchen und Buben, blieb Barbara somit erspart.

  1. Strozzi, der als Poet von Liebeslyrik der Accademia degli Incogniti angehörte, sorgte dafür, dass Barbara schon früh Unterricht bei Francesco Cavalli erhielt. Der lyrikversessene Vater erwies sich als eifriger Mentor, der der jungen Frau Zugang zur höchsten Gesellschaft und Stunden bei den besten Komponisten der Zeit verschaffte. Barbara wiederum nutzte ihre Chance und wurde alsbald wegen ihres betörenden Gesangs vom italienischen Komponisten und Organisten Nicolo Fontei als „zehnte Schwester der Musen“ gepriesen. Bestens und umfassend gebildet, konnte sich Barbara selbst auf der Laute oder Gambe bei ihren Gesangskünsten begleiten, eine Gabe, über die auch exquisite Kurtisanen verfügten.

1637 gründete Strozzi die sog.  Accademia degli unisoni, die sich einem für uns heute bizarr anmutenden „Wettstreit des Gesangs und der Tränen“ widmete. Nicht verwunderlich, dass der Gesang siegreich aus diesem Duell hervorging.

Im selben Jahr wird mit dem Teatro Cassiano das erste kommerzielle Opernhaus eröffnet. Viele im Publikum hielten Kerzen in den Händen, vor allem um die mehr als die Musik begehrten Texte mitlesen zu können. Giulio Strozzi landete mit seinem Librettto zu „La finta pazza“ (Musik Francesco Sacrati), zu deren Titelfigur ihn Barbara inspiriert haben dürfte, einen Riesenerfolg. Ein Werk, deren Handlungsvolten selbst für heutige Begriffe gewagt scheinen: Da täuscht die weibliche Hauptfigur Deidamia in einer Wahnsinnsszene vor, sich als Adler zu fühlen, um Achilles zurückzubekommen, welcher wiederum als Mädchen verkleidet am Hof des Königs Licomede die Freuden des „Geschlechtstausches“ besingt.  Das Theater damals provozierte, wandelte sich in eine antimoralische Anstalt, in ein „Abbild einer nicht unbedingt sinnhaften Welt.“ Barbara Strozzi liebte die Oper, Entscheidendes lernte sie von Claudio Monteverdi, besonders beeindruckte sie die Figur der Ottavia in „L‘Incoronazione di Poppea“

Es war die Zeit, wo sich Frauen erstmals in der Musikgeschichte beruflich ganz als sogenannte Kammersängerinnen verdient machen konnten. Solche Vokalartistinnen brillierten in Palästen des Adels und waren auch an Königshöfen erfolgreich. Barbara selbst war eine starke Frau, die an die Männerwelt aneckte, aber unerschrocken reagierte und – wie Autor Jörg Handstein ihr bescheinigt – „nicht immer zu kuschen gewillt“ war. Nur Sonnenseiten? Nein. Sie selbst war ihren vier Kindern gegenüber, die sie, ebenfalls außerehelich, mit ihrem Mäzen Paolo Giovanni Widmann, hatte, weniger fürsorglich als Giulio Strozzi. Drei davon landeten im Kloster.

War Barbara gar ‚curtisana onesta‘, hat sie in der „Città galante“, der Stadt der Liebesabenteuer, fallweise das Leben einer auf musikalische Darbietungen spezialisierten ehrenwerten Kurtisane geführt? Wir wissen es nicht. Womit Barbara Strozzi ihr Geld verdiente, bleibt offen. Auf jeden Fall korrespondierte sie mit dem Herzog von Mantua, der eine Vorliebe für venezianische Kurtisanen hegte und schrieb für ihn eine Sammlung für Männerstimme, die aber leider verloren ist. Interessant und aufschlussreich ist vielleicht, dass das Gemälde einer Gambenspielerin von Bernardo Strozzi, das wahrscheinlich ein Porträt von Barbara Strozzi darstellt, als „Selbstinszenierung“ (?) eine freizügig bekleidete Frau mit rosigen Wangen zeigt, deren Brust knapp von einem transparenten Spitzenstoff bedeckt ist.  

Barbara Strozzi schrieb keine Opern, die große Form war ihren männlichen Kollegen vorbehalten. Aber ihre theatralischen und emotional auffahrenden Kantaten erlaubten es, „ein Stück Oper in den eigenen Salon zu holen.“ Das erste Buch drei- bis fünfstimmiger Madrigale, eine Art Gesellenstück der damaligen Komponistengarde folgte dem Beispiel der Tonsetzerin Maddalena Casulana Mezari. Hier insinuiert Strozzi ein „bewegliches Spiel mit den Stimmen à la Monteverdi.“ Die Texte ihres Vaters zeichnet Barbara mit feinem Pinsel nach oder sie karikiert sie burleskengleich, wie in „Die Wachtel“ den verliebten Alten.

Ihr wurden „höchste Raffinesse und kunstvolle Grobheit“ attestiert. 25 Jahre ist Barbara Strozzi, als sie ihr Op. 1, eine Sammlung bestehend aus 25 Titeln, publiziert. Als Op. 2 veröffentlicht sie u.a. Werke für Solostimme, Kantaten, Arietten und Duette und widmet ihren Neuling Ferdinand III. von Österreich. 1655 erscheint eine Sammlung geistlicher Solomotetten, ihr Op. 5. 1657 erscheint ihr Op. 6, 1659 ihr Op. 7, 1664 ihr Op. 8. Von Florenz über Mantua bis Wien und Innsbruck ist Barbara bestens vernetzt. Sie ist eine Meisterin der einschmeichelnden Worte, Handstein charakterisiert sie als „sozial intelligent und rhetorisch versiert.

Trotz ihrer acht gedruckten Sammlungen, die bis nach England gelangten, glückte es Barbara Strozzi nicht, eine feste Anstellung an einem Hof zu erlangen. 1677 unterzog sich Barbara Strozzi in Padua einer ärztlichen Untersuchung, kurz darauf erlag sie einer unbekannten Krankheit.

Jörg Handsteins 80-minütige Hörbiografie über Barbara Strozzi ist kurzweilig, hochinteressant und mit vielen Musikbeispielen von Gabrieli über Monteverdi, Fontei, Sacrati, Cavalli bis zu Casulana und natürlich überwiegend von der Meisterin selbst garniert. Als Bonus ist (Live-Aufnahme aus Altdorf vom 7.8.2011) „O Maria“ (per la Madonna) aus den Sacri musicali affetti Op. 5 mit der Sopranistin Emma Kirkby und Jakob Lindberg (Theorbe) zu hören.

Udo Wachtveitl erfreut, wie stets in dieser Serie, mit samtdunklem, bestens verständlichem Vortrag. Ihm zur Seite reüssiert Wiebke Puls als Barbara Strozzi, Thomas Albus, Folkert Dücker, Christoph Jablonka, Jerzy May und Kaja Schild sprechen die zahlreichen Zitate.  

Fazit: Auf jeden Fall ist das Album jede Aufmerksamkeit wert und ein gutes, leistbares Weihnachtsgeschenk nicht nur für diejenigen unter den Melomanen, die schon alles zu haben glauben.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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