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CD „ATLANTIC CROSSINGS“ – Vokales und Instrumentales von GUSTAV MAHLER, SIGMUND ROMBERG und KURT WEILL; Gramola

25.01.2023 | cd

CD „ATLANTIC CROSSINGS“ – Vokales und Instrumentales von GUSTAV MAHLER, SIGMUND ROMBERG und KURT WEILL; Gramola

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Am 9.12.1907 trat Mahler in Cherbourg seine erste Atlantiküberfahrt nach New York an. Er wollte dort nach einer gewissen Amtsmüdigkeit in Wien seine Karriere neu befeuern, was ihm als Chef der Met und Chefdirigent des New York Philharmonic auch gelang. New York zählte damals 5 Millionen Einwohner, 500.000 davon kamen aus Deutschland oder Österreich. Später gibt es dieses berührende Foto von Gustav Mahlers letzter Überfahrt nach New York vom November 1910. Der Komponist an der Reling mit müden Gesichtszügen. Über die allerletzte Reise, wo Gustav Mahler auf der Amerika nach seinem letzten Konzert in New York todkrank zurück nach Wien kehrt, wo er am 18.11.1911 stirbt, hat Seethaler seinen kurzen Roman „Der letzte Satz“ geschrieben. Auch das Bild von Gustav Klimts Portrait Adele Bloch-Bauer trat nach einem Restitutionsverfahren die Reise über den Atlantik an, und zwar im Februar 2006, fast genau 100 Jahre nach Mahler. Es ging in einer Auktion für 135 Millionen US$ an Ronald Lauder und ist heute in der Neuen Galerie in Manhattan zu sehen. Das Album steht nach der Widmung der Programmverantwortlichen ganz im Zeichen des Schicksals dieses goldenen Bildes, das auch das Cover der CD ziert.

Den tieferen Hintergrund für das Programm der CD „Atlantic Crossings“ bildet das Schicksal dreier Emigranten in die USA. Österreichische und deutsche Komponisten waren es, die aus wirtschaftlichen, künstlerischen oder politischen Gründen nach New York gingen und dort auf den großen Konzertbühnen, an der Metropolitan Opera wie am Broadway einen Teil ihrer immensen Erfolge einfuhren: Gustav Mahler, Sigmund Romberg und Kurt Weill.

Der Wahl-New Yorker Gustav Mahler ist mit „Blumine“, als zweiter=Andante-Satz der fünfsätzigen Erstfassung der 1. Symphonie entworfen (später wurde der einfache Satz nach Reduzierung der Symphonie auf vier Sätze weggelassen), den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ und Mahlers Bearbeitung des Zwischenspiels nach dem ersten Akt von Carl Maria von Webers scherzhafter Oper in drei Aufzügen „Die drei Pintos“ vertreten. Mahler hat seinen ersten Liederzyklus „Lieder eines fahrenden Gesellen“ 1885 während seiner Zeit in Kassel geschrieben. Der Zyklus diente mit den Wunderhorn-Motiven auch als Anregung zur ersten Symphonie. Natürlich passen die instrumental teils hochdramatisch auftrumpfenden Lieder über das Schicksal eines unglücklich liebenden jungen Mannes gut zum bunten Kosmos der Emigranten und dem Gefühl des Ausgesetzt-Seins. Mahler musste so empfunden haben, als er als 24-Jähriger mit der angebeteten Johanna Richter, Sopranistin am Kassler Hoftheater, einen katastrophalen Silvesterabend (1884) verbrachte, unfähig seine Emotionen mitzuteilen und sich zu offenbaren. Der Ozeankreuzer mag auch als Metapher für einen „Übergangsraum stehen, für einen Korridor der ein altes Leben mit einem neuen verbindet.“

Künstlerische Sublimierung durch Musik: Erinnerung, Wut und Resignation im Abschied sind die Ingredienzien der Gefühlslage des Gesellen. Der österreichische Bariton Daniel Schmutzhard legt gemeinsam mit dem von Wolfgang Doerner dirigierten, äußerst eloquenten Orchestre Pasdeloup, mit dem ihm spürbar eine 30-jährige harmonische Zusammenarbeit verbindet, ein anschauliches al fresco Seelenportrait des Burschen vor. Ländliche Primärfarben, Erstaunen und Schlichtheit im Vortrag überwiegen in dieser bodenständigen Lesart vor hochartifizieller Ausleuchtung aller dynamischen Valeurs, wie wir das von Fischer-Dieskau oder Thomas Hampson kennen. Beide Annäherungen sind legitim, beide werden ihre Anhänger finden.

Zusätzlich ist noch das Sopransolo aus Mahlers vierter Symphonie des letzten Satzes „Das himmlische Leben“, versüßt durch Brahim-Djellouls glockenschimmernden Gesang, zu hören. Wie sie da von den brotbackenden Engeln, Schüsseln voll Spargel und Fisolen, Äpfel, Birn‘ und Trauben, elftausend tanzenden Jungfrauen zwitschert, ist voller Witz und kecker Anmut. Denn wir wissen ja: „Cäcilia mit ihren Musikanten sind treffliche Hofmusikanten. Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen, dass alles für Freuden erwacht.“

Das Hauptinteresse des Albums machen aber aufgrund der auch im „leichteren“ Fach zum Unterschied von anderen Opernsängerinnen exzeptionell reüssierenden, stilistisch in allen Fahrwassern sattelfesten Sopranistin Amel Brahim-Djelloul, der Song ‚Lover, come back to me‘ von Sigmund Romberg aus dessen Operette „The new Moon“ und folgende drei Lieder aus der Feder des Kurt Weill aus: „Berlin im Licht“, „Je ne t’aime pas“ und „That‘s him“ aus dem Musical „One Touch of Venus“ 1943. Das Stück wurde am Broadway 567-mal aufgeführt.

Sigmund Romberg kam 1909 in New York an und konnte bald am Broadway Fuß fassen. Sein Lied „Lover come back to me“ wurde später von Barbara Streisand aufgenommen und weltberühmt. https://www.youtube.com/watch?v=wY7TDUiQae4

Kurt Weill musste Europa 1935 als vom NS-Regime verfolgter Komponist den Rücken kehren. In den 1940er Jahren war er am Broadway in New York ein Star, 1943 nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Seine hier aufgenommenen Songs stammen aus ganz unterschiedlichen Schaffensperioden. Besonders unterhaltsam und frech ist das 1928 entstandene Lied „Berlin im Licht“, das der damals so fortschrittlichen elektrischen Straßenbeleuchtung ein musikalisches Denkmal setzt. Dieses „Na wat denn, na wat denn, was ist das für ‚ne Stadt denn?“ ist ein Slowfox, der im Auftrag der Berliner Festwochen entstanden ist. Während der Pariser Jahre 1933 bis 1935 war Weill vom französischen Chanson fasziniert. Erstaunlich, wie pariserisch verführerisch ihm sein von Stimmungsschwankungen und verletzter Resignation durchsetztes Liebeslied „Je ne t’aime pas“ von der Hand geht.

Berlin-Paris-New York: Die sensationellen Jazz-Arrangements der Hits von Romberg und Weill stammen von Franck Tortiller, Jean Gobinet und Angelo Petronio. Das um das Orchestre Jazz Franck Tortiller verstärkte Orchestre Pasdeloup fetzt stimmungsgeladen durch die Großstadtrhythmen, erzählt uns vom „American Dream“, auch wenn es um Berliner Straßenlicht oder Pariser Liebeskummer geht. Die vom Timbre und der Art der Phrasierung her an eine der besten lyrischen Stimmen aller Zeiten, nämlich Lucia Popp erinnernde Amel Brahim-Djelloul geht ganz in der vielschichtigen Welt der Exillieder auf. Sie beherrscht alle drei Sprachen aus dem Effeff und ist in ihrer musikalischen Neugier und Stimmpracht – sie singt u.a. auch Musik aus dem arabisch-andalusischen Raum – genau die Richtige, um dem Album den einzigartigen Pepp zu geben, der das Gediegene zum Außergewöhnlichen adelt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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