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CD ARNOLD SCHÖNBERG: GURRE-LIEDER – CHRISTIAN THIELEMANN dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden, das Gustav Mahler Jugendorchester, den Sächsischen Staatsopernchor Dresden und den MDR-Rundfunkchor; hänssler  

11.11.2020 | cd

CD ARNOLD SCHÖNBERG: GURRE-LIEDER – CHRISTIAN THIELEMANN dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden, das Gustav Mahler Jugendorchester, den Sächsischen Staatsopernchor Dresden und den MDR-Rundfunkchor; hänssler

 

Edition Staatskapelle Dresden Vol. 50 -Live Mitschnitt aus der Semperoper Dresden vom 10. März 2020

 

Eine in vieler Hinsicht bemerkenswerte Aufnahme. Den Hörer erwartet mit diesem Mitschnitt die Erinnerung an ein grandioses, rauschhaft intensives und wunderbar musiziertes Konzert am „Vorabend“ des ersten vollständigen Lockdowns: Schönbergs monumentales spätromantisches Meisterwerk „Gurre-Lieder“. Dabei sollte die in Dresden erstellten Bänder vorerst nur ,dokumentarischen Zwecken‘ dienen….

 

Schon die Besetzung der Gurre-Lieder dokumentiert wie nur noch die Achte Symphonie Gustav Mahlers den Ausnahmerang des Kunstwerks: An diesem 10. März versammelten sich 305 Mitwirkende auf der Bühne des berühmten sächsischen Opernhauses: Sechs Solisten, 150 Choristen und 148 Orchestermusiker. Die drei Konzerte markierten nicht nur die erst zweite Befassung des Orchesters mit diesem Stück in seiner Geschichte (Giuseppe Sinopoli hatte die Gurre-Lieder im August 1995 als erster in die Semperoper gebracht), sondern kurz darauf mussten alle künstlerischen Veranstaltungen Corona-bedingt schweigen. Die geplante Aufführungsserie im Rahmen der Osterfestspiel Salzburg 2020 fand nicht mehr statt.

 

Die herrliche, ganz im Fahrwasser von Wagners „Tristan und Isolde“ sowie „Parsifal“ kunstvoll gedachte Musik rankt im ersten Teil um die verbotene Liebe König Waldemars zu dem schönen jungen Bauernmädchen Tove. Er atmet in ihr, ihr Herz schlägt in ihm. Sie umsingen ihre Liebe als „Sehnsucht und in Ungeduld, als Erwartung und in Vorfreude, als Begehren, Verklären und Erfüllung.“ Wie Waltraute in der Götterdämmerung kündet die reine Waldtaube in einem gewaltigen inneren Monolog vom Tod und Begräbnis der Tove vom Rachegeist Hedwigs, vom „bitteren, verzweifelten letzten Gang Waldemars. Leider mit gutem Grund: Waldemars Frau Königin Hedwig hat Tove umbringen lassen.  

 

Der Star der Aufführung zum ersten das Orchester. Ursprünglich wollte Schönberg aus der Poesie Jens Peter Jacobsens aus Anlass eines Wettbewerbs des Wiener Tonkünstler-Vereins einen Liederzyklus für Sopran, Tenor und Klavier gestalten. Was für ein Glück, dass er nicht rechtzeitig fertig wurde und an dem Begonnenen weiter arbeitete. Schönberg verband die einzelnen Lieder durch orchestrale Überleitungen, rahmte sie mit Vorspiel und Nachspiel. Habakuk Traber charakterisiert in den äußerst informativen Texten im Booklet das Ergebnis so: „So wurde aus einer Folge von Liedern schließlich eine symphonische Dichtung, die sich auch liedartiger Formen und Diktionen bedient. Gesang und Text sind nun quasi die Schaumkronen am Meer einer vielschichtigen Erzählung, welche die Musik bietet – in der Art, wie sie ihre Motive wandelt, entwickelt und so miteinander verschlingt, dass über weite Strecken der komplexe Gesamteindruck, nicht die vielen Details das bestimmende Moment bleibt.“

 

Im zweiten Teil gibt es einen fünf Minuten langen Auftritt des Waldemar, eine Abrechnung mit Gott, dem er sich als Hofnarr andient. Der dritte Teil mit Waldemars Mannen, die zur Geisterstund Menschen und Tiere schrecken, erweitert das Bühnenpersonal um den Bauern und Klaus-Narr. Ein Sprecher hält Einzug in dieses „Oratorium der Tausend.“ Des sommerlichen Windes wilde Jagd beginnt. Am Schluss erwachen die Blumen zur Wonne und der Chor bejubelt der Sonne Strahlenlocken-Pracht. 

 

Was Christian Thielemann mit den Instrumentalisten, also den beiden hier fusionierten Klangkörpern „Sächsische Staatskapelle Dresden“ und „Gustav Mahler Jugendorchester“ aus dieser Partitur an dunklem Glanz, an transzendenter Sinnlichkeit, an ekstatischem Sich-Verlieren, an visionärem Liebeszauber, einem Füllhorn an Naturstimmen und hymnischer Überhöhung herausholt, ist umwerfend. 

 

Stephen Gould ist ein heldischer Waldemar, der um die steilen Klippen der Tessitura nicht fürchten muss. Sein baritonal gefärbter dramatischer Tenor passt auch vom schon herbstlichen Timbre her sehr gut für diese düstere, vom Schicksal hart geprüfte Figur. Im dritten Teil gerät Gould zwar konditionell an seine Grenzen, die Gesamtleistung ist nichtsdestotrotz bewundernswert. 

 

Seine Tove singt Camilla Nylund, eine jugendlich Dramatische mit Durchschlagskraft, silberner Höhe und auch hinreichend Emphase für ihre vier Soli. Das letzte endet Isolden-ähnlich mit den Worten: „So lass uns die goldenen Schale leeren ihm, dem mächtig verschönenden Tod: Denn wir gehn zu Grab wie ein Lächeln ersterbend im seligen Kuss.“ Eine Vorgeschmack auf eine künftige Repertoireerweiterung der Sängerin? Den zweiten Akt hat sie ja schon mit Jonas Kaufmann konzertant in Boston 2018 gesungen.

 

Christa Mayer gurrt und raunt als Waldtaube den bewegenden Toten- und Trauergesang mit ihrem schlanken luxuriös gefärbten Mezzo. Helwigs Falke war‘s ja, der grausam Gurres Taube zerriss!

 

Für den Klaus-Narr von Farnum hat Thielemann den besten Charaktertenor der Welt, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, engagiert. Mit schlank hellem, ungemein jugendlich klingenden Tenor, stets vorbildlicher Diktion und heldischem Leuchten in den Spitzentönen  wird sein erratisch in das Werk gestellter Monolog mit sarkastisch formulierten Einsichten zum Höhepunkt des dritten Teils. Aal, Pferd und Eule, fabuliert der Narr vom höchst brutalen König, der selber Hofnarr war bei jener großen Herrschaft übern Monde. „Wer gab der nackten Wahrheit Kleider? Wer war dafür geprügelt leider?“ 

 

Markus Marquart reserviert ängstlich gebrochene Töne für den Bauer, der sich vor der nächtlichen Mahr von Waldemars Mannen, Elfenschuss und Trolls Gefahr fürchtet.

 

Franz Grundheber als Sprecher mangelt es an Textverständlichkeit, dafür kann er im melodramatischen Schluss noch immer mit einigen beeindruckenden Sangestönen aufwarten, wenn er des Waldes Vogelschar auf die erwachende Sonne einstimmt. 

 

Die vereinigten Profi-Chöre aus Dresden und Leipzig mobilisieren nicht nur beeindruckende Kraftreserven für den finalen Sonnen-Hymnus, sondern sind auch für die Balance in den Stimmen, die imponierende Klangschönheit und ihre dramatische Intensität zu loben.

 

Fazit: Grandios, wärmstens zu empfehlen!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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