CD ANTONIO VIVALDI „SOPRANKANTATEN I“ – ARIANNA VENDITELLI und das ABCHORDIS ENSEMBLE; naïve
Vivaldi Edition Vol. 68
Kammerkantaten waren die zielsicheren Allzweckwaffen der italienischen Vokalmusik des 18. Jahrhunderts. Die Solokantate war in aristokratischen Zirkeln ebenso zu finden wie in bürgerlichen Salons. Die mehrsätzigen Kompositionen für eine oder mehrere Solostimmen nach dem Grundmuster Arie-Rezitativ-Arie bzw. bis fünfteilig variabel ausbaubar konnten Kenner ebenso begeistern wie ein breites Publikum ansprechen. Wie beliebt diese Form war, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Alessandro Scarlatti über 600 solcher Kantaten fabrizierte, Nicola Porpora immerhin über 200 und unser schreibfreudiger venezianischer Priester immerhin noch 30, die meisten davon für Sopran solo.
Auf der vorliegenden CD hören wird folgende sechs Kantaten für Sopran: „Allor che lo sguardo“ RV 650, „Aure, voi più non siete“ RV 652, „Tra l‘erbe i zeffiri“ RV 669, „Sorge vermiglia in ciel la bella Aurora“ RV 667, „La farfalletta s‘aggira al lume RV 660 und „Si levi dal pensier“ RV 665.
Die Werke entstanden zwischen 1720 und 1731und beweisen, dass selbst in arkadischen Gefilden die Liebe keine einfache Sache war. Da machen etwa liebestolle Hirten oder grausame Nymphen bzw. vice versa einander das Leben und die Herzen schwer. Imaginierte Liebespein mit einem Schuss masochistischer Lust am Schmerz (Mann stelle sich nur vor, die Geliebte Lucinda könne weg sein) oder doch härtere Gangarten, weil Clymene ihrem Schäfer Daliso tatsächlich den Laufpass gegeben hat, erfüllt Vivaldi mit Melancholie wie mit lautmalerischen Hymnen an die tröstende Natur. Die Bächlein plätschern und die Vögelchen zwitschern natürlich auch zu glücklich erwiderter Liebe, wie das Silvia in ihrer Arie (RV 669) so überschwänglich und überschäumend und im schaukelnden Rhythmus eines bewegten Schifferls koloraturfest bejubelt.
Allerdings verdüstern sich in „Sorge vermiglia in ciel la bella Aurora“ wieder die Wolken für Silvias Lover. Hier führt uns ein wahrlich meisterhafter Vivaldi vor, wie er mittels einer expressiven Tonsprache mit extremen Intervallsprüngen, chromatischen Finessen, Schluchzen und Seufzen die Höllenpein des Abgelegten opernhaft und theatralisch effektvoll auszuleuchten vermag. Dennoch hält unser tapferer Jüngling an seiner Liebe fest und klammert sich an die Erinnerung der glänzenden Augen der Verflossenen. Die Sopranistin schlüpft in diesen Solokantaten nicht nur in die Kleider der mehr oder weniger sanften Mädchen, sondern auch in die der liebeskranken Männer.
In der letzten Kantate versucht jedoch die Nymphe Chloris, ihren Daliso zu vergessen. Daliso hat sie zwar mit magisch schönem Gesang bezirzt, dürfte aber auf anderem Gebiet ein voller Versager sein. Jetzt hat sie genug, und er möge sich doch an die Adria zurück verzupfen.
Das Album lebt von der ausdrucksstarken, wunderbar persönlich timbrierten Stimme der Arianna Venditelli. Dunkel grundiert vermag sie sowohl mit einer satten Mittellage zu punkten, als auch mit leichtgängigen Verzierungen zu faszinieren. Die Mozart- und Händel Spezialistin ist ein Phänomen: Ähnlich wie einst Sena Jurinac ist sie von der Stimmfarbe her eigentlich ein Mezzo, reüssiert aber in Sopranrollen, wie derzeit als Susanna in Lausanne und bald als Elvira im Dion Giovanni unter Marc Minkowski. Auf Ihrer Website findet sich aber auch eine glorios gesungene Cherubino-Arie http://www.ariannavendittelli.com/videos/1606/
Begleitet wird sie stilistisch vom Ensemble Abchordis unter der künstlerischen Leitung des Cembalisten Andrea Buccarella. Ihm zur Seite finden sich ausgezeichnete Solisten: Simone Vallerotonda auf der Laute/Chitarra, die Cellistin Nicola Paoli, auf dem Fagott Giovanni Battista Graziadio und den Organisten Daniele Perer.
Dr. Ingobert Waltenberger