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CD ANTONIO VIVALDI: ARSILDA, REGINA RE DI PONTO, RV 700; naïve

28.01.2025 | cd

CD ANTONIO VIVALDI: ARSILDA, REGINA RE DI PONTO, RV 700; naïve

Vivaldi Edition, Vol. 74, nach der kritischen Edition von Bernardo Ticci, 2024

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Die Handlung des im Oktober 1716 am Teatro Sant’Angelo in Venedig uraufgeführten dramma per musica in drei Akten „Arsilda“ nach einem Libretto von Domenico Lalli ist ereignisreich umständlich und einigermaßen verworren. Die Geschichte beginnt schon ganz allerliebst ulkig: Tamese, König von Kilikien, soll Arsilda, Königin von Pontus, heiraten. Nur blöd, dass Lisea, die Zwillingsschwester des tot geglaubten Tamese, als ihr Buder gewandet, vor dem Traualtar steht, um rein politisch motiviert den Thron für die Dynastie zu retten. Denn nur ein männlicher Thronfolger ist akzeptiert. Aber Lisea hat noch ein zweites, weitaus privateres Motiv für ihr Handeln: Ihr heimlicher Verlobter Barzane, König von Lydien, hat sich in Arsilda verschaut. Diese Liebe wäre mit der Hochzeit hinfällig. Natürlich ist Tamese nicht bei einem Schiffbruch ums Leben gekommen, sondern streunt als Gärtner verkleidet umher, um zu sehen, wir treu seine Braut und wie loyal seine Schwester ist. Gleichzeitig verkündet Reichsverweser Cisardo, dass Barzane mit militärischen Mitteln Arsilda entführen will. Dann gibt es noch das Kammermädchen der Lisea, Mirinda, die von ihrer Chefin lernt, wie Erotik, Liebe und Eifersucht funktionieren sowie den poetisch veranlagten Naturliebhaber Nicandro, der die Schönheit der Blumen bei Sonnenaufgang besingt.

Natürlich geht es in der komödienhaften „operetta“ rund mit all den Ingredienzien einer solchen Konstellation: Kriegerisch-Politisches à la versuchte Entführung, Gefangennahme und pseudo-religiöse Zeremonien (Opfergabe eines goldenen Pfeils an den Gott Vulcanus) mischen sich mit Liebeswirren, Vor- und Enttäuschungen, Geschlechtertausch und Identitätskuddelmuddel sowie zarten Gefühlen. Die für die venezianische Barockoper typischen Affekte, die solche Verwechslungen und erotischen Fantastereien mit sich bringen, werden musikalisch in der typischen Vivaldi-Klang-Signature zu einem Zöpflein schönster Arienperlen geflochten.

Da besingt Mirinda ihre Gefühle nach Turteltäubchenart („Ancor la torterella“) und Arsilda vergleicht ihre Situation, nicht im Klaren darüber, wer nun ihr Bräutigam ist, mit derjenigen eines Schmetterlings, der von zwei Flammen gleichzeitig verschlungen wird. Das Unverwechselbare dieser Vivaldi-Oper liegt eben darin, dass sich Action und Kontemplatives reizvoll abwechseln.

Dabei dürfte es offenbar größere Wickel über die ästhetische und dramaturgische Feinjustierung zwischen Librettisten und Komponisten gegeben haben, wie aus einer Widmung des Librettos durch den Dichter Lalli an den Grafen von Brochles hervorgeht: Da ist die Rede von „Unzulänglichkeiten des vertonenden Maestros“ als auch von Geschmacksverirrungen derjenigen, die das „Stück in unvernünftiger Weise geändert haben wollten.“ Die Unterschiede manifestieren sich in einer autographen Partitur und einer autorisierten Kopie, die der Uraufführungsfassung entspricht. 13 der 41 Szenen unterscheiden sich laut Reinhard Strohm (Autor von „Die Opern Vivaldis“, 2008) in der zuerst zitierten von der zweiten, wobei die Änderungen wahrscheinlich auf Vivaldi selbst und nicht auf irgendwelche Eingriffe der Zensur zurückgehen.

Vivaldi besticht in dieser Oper musikalisch mit leichtgängigen Melodien, reizvollen lautmalerischen und harmonischen Effekten. Wie andere Komponisten aus der Zeit, schrieb Vivaldi Arien bestimmten Sängerinnen und Sängern passgenau in die Kehle oder transponierte wild, wenn einem der Ausführenden die Tessitura zu hoch war.

In der vorliegenden Aufnahme sind die Solopartien großteils überaus luxuriös schönstimmig und mit dem gehörigen Maß an stupender Vokalartistik besetzt. So mit der jungen Mezzosopranistin Benedetta Mazzucato (Arsilda), Teilnehmerin am Young Singers Project der Salzburger Festspiele, dem u.a. durch ihre Interpretationen von Rossini Rollen und besonders der Carmen international bekannt gewordenen russischen Mezzo der Vasilisa Berzhanskaya (Lisea), dem in der Höhe einigermaßen scharf klingenden (CD 2, Track 4) italienischen Countertenor/Sopranisten Nicolò Balducci (Barzane), der wunderbaren schweizerischen Sopranistin Marie Lys (Mirinda), dem expressiven Tenor Leonardo Cortellazzi (Tamese), der israelischen Sopranisten Shira Patchornik, die in die Hosenrolle des schwärmerischen Nicandro schlüpft, sowie dem balsamisch orgelnden bolivianischen Bassisten Jose Coca Loza (Cisardo).

Altmeister Andrea Marcon leitet das La Cetra Vokalensemble Basel sowie das La Cetra Barockorchester Basel mit schwungvoller Elastizität und lässt gekonnt die adriatisch leuchtende, venezianische Farbenpracht der Partitur aufblühen. Rhythmisch präzise und charaktervoll wissen die Instrumentalisten des Orchesters mit feinem Humor, dichter Atmosphäre und exquisiten klanglichen Wirkungen zu bestricken.

Empfehlung!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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