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CD ANTONIO SALIERI: TARARE – Weltersteinspielung mit CHRISTOPHE ROUSSET und LES TALENTS LYRIQUES, apartemusic

„Die Entführung in den Serail“ -  musikalischer Volltreffer

22.06.2019 | cd

CD ANTONIO SALIERI: TARARE – Weltersteinspielung mit CHRISTOPHE ROUSSET und LES TALENTS LYRIQUES, apartemusic

 

„Die Entführung in den Serail“ –  musikalischer Volltreffer

 

„Sterblicher, wer immer du bist, Prinz, Priester oder Soldat, Mensch! Deine Größe hienieden, hat nichts mit deinem Stand zu tun, sie hängt allein von deinem Charakter ab.“ Epilog der Oper

 

Manchmal kann die Politik die Welt der Oper ganz schön aufmischen:  Als die Gönnerin des nach wie vor sträflich unterschätzten großen Antonio Salieri (nein, er hat Mozart nicht vergiftet!), keine Geringere als Marie-Antoinette, infolge der Ereignisse der Französischen Revolution auf dem Schafott landetet, war es aus mit den Erfolgen Salieris an der Pariser Oper. Drei französische Musikdramen hat Salieri zwischen Wien und Paris pendelnd geschrieben: „Les Danaïdes“, „Les Horaces“ und als drittes und letztes „Tarare“ (1787) basierend auf dem einzigen Libretto des Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais. 

 

Christophe Rousset, Cembalist, Dirigent und Aufdecker vernachlässigter Partituren des 18. Jahrhunderts, schließt mit der Ersteinspielung des „Tarare“ (von einer Aufführung der Schwetzinger Festspiele 1988 war eine DVD erhältlich) seinen dreiteiligen Salieri-Zyklus wahrlich aufsehenerregend ab. Mit einem allegorischen Prolog, fünf Akten, viel Chor und Ballett sowie einer durchgängigen Orchesterbegleitung der Form der „tragédie lyrique“ verpflichtet, ist „Tarare“ inhaltlich ganz der Aufklärung im vorrevolutionären Paris verpflichtet. Wieder einmal geht es in dem Stück um den gerechten, charakterstarken, nur dem Volk verpflichteten Herrscher: „Tarare ist ein Soldat, der mit seinem Verstand und Können die Königswürde im Reich der Türken erlangt; sicherlich muss es viel Bewegung in dem Stück geben, damit der Soldat vom ersten bis zum fünften Akt solch einen Aufstieg erleben kann. Langeweile wird man dieser Oper gewiss nicht zum Vorwurf machen können.“ Brief des Cellisten Hivart an Scheremetev vom 6.8.1786.  

 

Die Oper schwankt zwischen Tragödie und Komodie, Romantik und exotischen Gefilden. Von Mozart‘s berühmter „Entführung“ unterscheidet sie, dass hier die schöne Astasie unseres großmütigen und edlen Soldaten und Titelhelden Tarare nicht aus, dem sondern vom tyrannischen Sultan Atar in den Serail entführt wird. 

 

Es wäre nicht Beaumarchais, würde er sich in seinem intrigen- verwechslungs- und wendungsreichen Libretto nicht über historische Personen, wie etwa den Bankier Guillaume Kornmann, der seine Frau des Ehebruchs beschuldigte, lustig machen. Ludwig XVI. hat das Libretto dennoch nicht verboten. Beaumarchais zettelte in dem Vorwort zum Textbuch überdies eine veritable Diskussion über Wesen und Zweck der Oper an. Mit dem Diktum „puzza di musica“ (=unsere Oper stinkt vor Musik!) wollte er folgende Hierarchie der Künste besiegeln: Erstens das Stück/die Erfindung der Fabel (im Sinne des griechischen Schauspiels natürlich), zweitens die Schönheit der Worte und drittens der Reiz der Musik, der  nur ein neuer Ausdruck ist, der dem Reiz der Verse hinzugefügt wird.

 

Wer sich die herrliche, abwechslungsreiche Musik Salieris (Schluss fünfter Akt!) anhört, wird über die eilte Selbsteinschätzung des Herrn Beaumarchais heute wohl schmunzeln. Schon die Ouvertüre zum Prolog, die die Nacht und ihre chaotischen Winde darstellt, oder das einsätzige Vorspiel im italienischen Stil zum ersten Akt sind Kabinettstücke an Eingebung und farbiger Orchestrierung. Hierauf streiten die Natur und der Genius des Feuers über die relative Bedeutung von angeborenem Charakter und sozialem Rang. Sie starten ein Experiment an Mensch und Gesellschaft, Charakter und Klasse mit folgender Grundkonstellation: König Aktar ist auf Tarare mächtig eifersüchtig, obwohl ihn dieser vor dem Ertrinken gerettet hat. Die Beliebtheit seines Soldaten wurmt ihn, seine schöne Frau Astasie will er im Bett. Auf Befehl Atars verwüstet General Altamort Tarares Gärten, ermordet seine Sklaven, brennt sein Landhaus nieder und entführt Astasie in seinen Harem. Wie es ausgeht, wissen wir bereits.

 

Die Oper kannte im Gegensatz zu „Les Horaces“ sofort einen gewaltigen Publikumserfolg (die „Medienkampagne“ des Beaumarchais soll ebenfalls gewaltig gewesen sein), die Musik wurde als köstlich beschrieben und der Oper ein ebenso großer Erfolg wie dem Figaro vorhergesagt. Bis 1826 gab es 131 Vorstellungen an der Pariser Oper.  

 

Das neue Album wartet mit einer hervorragenden Besetzung auf: Der Hauptmann der Garde, Tarare  wird vom höhensicheren und strahlend fokussierten Tenor Cyrille Dubois, sein düsterer Gegenspieler Atar vom kernigen Bariton Jean-Sébastien Bou verkörpert. Die Sklavin Astasie  findet in der fabelhaften Karine Deshayes, jubelnde Lyrik und berstende Dramatik gleichermaßen beherrschend, eine ebenso selbstbewusst-kämpferische wie zärtlich treue Stimme. Die Natur blüht bei der kecken Judith van Wanroij hörbar auf, das Genie des Feuers des bärtigen griechischen Baritons Tassis Christoyannis lodert heiß. Der junge französische Tenor Enguerrand de Hys lässt als italienischer Sklave und Serailaufseher Calpigi mehr als aufhorchen. 

 

Christophe Rousset, dem Originalklangorchester „Les Talents Lyriques“ sowie dem Chor „Les Chantres du Centre Musique baroque de Versailles“ ist mit dieser Einspielung der große Wurf gelungen. Empfehlung an Musikfreunde, sich diese Oper anzuhören und an alle Intendanten, dieses nach Szene schreiende Musikdrama rasch auf die Bühne zu hieven. 

 

Schon beim Anhören der Neuaufnahme der Oper „Olimpie“ von Spontini war zu konstatieren, dass etwa von der der Wiener Staatsoper als spieltauglich eingestufte Werke wie die „Herodiade“ von Massenet oder „Fedora“ von Giordano weitaus weniger musikalische Substanz aufzuweisen haben als Spontinis Wuchtoper. Es ist also Zeit für eine breitere und mutigere Stückewahl auch an ersten Häusern, meint

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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