Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD: ANTONIO GIANNETTINI: L’UOMO IN BIVIO – Cantar Lontano, Marco Mencoboni

Zum 300. Todestag eines weitgehend Unbekannten

20.04.2021 | cd

CD: ANTONIO GIANNETTINI: L’UOMO IN BIVIO – Cantar Lontano, Marco Mencoboni

Zum 300. Todestag eines weitgehend Unbekannten

Antonio Giannettini: Oratorium "L'Uono in Bivio" (Modena 1687) (2 CDs) – jpc

 

Am Tag des 24. Mai 1649

Pfarrei San Lorenzo in Fano

Ich, Ridolfo Falcetti, Rektor von San Lorenzo,

habe getauft einen männlichen Sohn

von Francesco Zanettino und

seiner Frau Donna Maddalena.

Er erhielt den Namen Antonio Servilio.

Die Taufpaten waren Vastiano Razzi

und Donna Giulia Medea.

Vielmehr als das, was der erst kürzlich aufgefundene Taufschein des am 14. Juli 1721 in München verstorbenen Antonio Giannettini preisgibt, ist über seine Kindheit und Jugend nicht bekannt. Zum 300. Todestag des aus Fano in den Marken stammenden Komponisten veröffentlicht das Label Glossa eine bereits 2016 entstandene Aufnahme seines Oratoriums «L’uomo in bivio» («Der am Mensch am Scheideweg») durch das Ensemble Cantar Lontano unter Leitung von Marco Mencoboni.

Giannettini wurde 16049 in Fano in dem Marken geboren, das dank Domkapellmeistern wie Viadana, Montesardo und Donati in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eines der musikalischen Zentren Mittelitaliens war. Spätere Quellen geben, dass Giannettini ab 1662 in Venedig beim Komponisten und Impresario Sebastiano Enno (1621–1678) lebte und von diesem vermutlich auch unterrichtetet wurde. Weitere Lehrer waren Carlo Grossi (1634-1688) und vermutlich Giovanni Legrenzi (1626-1690). Ab 1672 sang Giannettini als Bass im Chor von San Marco, ab 1676 begann er zu komponieren. Am 5. Dezember 1676 wurde er der Organist von SS. Giovanni e Paolo und am 25.01.1677 erhielt er eine der beiden Organistenstellen von San Marco. Bevor Giannettini am 1. Mai 1686 als Musikdirektor Francescos II. d’Este nach Modena wechselte, unterrichtete er 1683 Alessandro Farnese und 1686 Ernst August von Hannover bei ihren Aufenthalten in Venedig. Giannettini starb am 12. Oder 14. Juli 1721 in München, als er seine Tochter besuchte, die dort als Sängerin engagiert war.

Das Oratorium «L’uomo in bivio» («Der am Mensch am Scheideweg») entstand 1687 für den Hof von Modena. Sowohl der Autograph wie ein Sonderdruck des Librettos für die Aufführung liegen in der Biblioteca Estense zu Modena. Das Oratorium ist mit vier Singstimmen (Sopran, Mezzosopran, Tenor und Bass), einem Chor, für den keine zusätzlichen Sänger notwendig sind, zwei Violinen und Continuo besetzt. Der Aufführungstradition entsprechend kann die Besetzung dem Aufführungsort angepasst werden, der Chor als mit Extra-Sängern, die Violinen vervielfacht und das Continuo bereichert werden.

Die Handlung ist einfach gehalten und wird von einem Erzähler (Tenor) dargebracht. Ein junger Mann (Mezzosopran) trifft auf einen Engel (Sopran), der ihn einlädt, dem tugendhaften Weg, der ihn ins Paradies führen wird, zu folgen. Der Teufel (Bass) ist über den Engel verärgert und warnt den jungen Mann, dessen Ratschläge seien nicht vertrauenswürdig: er werde das Paradies erst nach dem Tod erreichen, wohingegen er ihm weltliche Freuden, ein junges Mädchen mit dunklen Augen und lasziven Lippen, anbiete. Der Engel und der Teufel geraten in einen Streit, den der Teufel gewinnt. Mit der Hilfe der Laster erobert der Teufel den jungen Mann, der nun die irdischen Vergnügen für sich entdeckt. Ein dämonischer Chor jubelt über die Eroberung des neuen Opfers. Der Engel aber erhebt wieder seine Stimme und warnt den jungen Mann vor den Gefahren seines neuen Wegs: er führt ihn an ein offenes Grab, in dem er den verrottenden Körper des Mädchens sieht, in das er sich verliebt hat. Diese schreckliche Vision veranlasst den jungen Mann zur Umkehr und Reue: er wählt den Weg des Glaubens, der ihn zum Heiligen Berg führen wird. Die letzten Versuche des Teufels misslingen und er stürzt in die Hölle.

Francesca Boncompagni singt den Engel mit ruhiger, intensiver Stimme. Marta Fumagalli bringt mit ihrem verführerischen Mezzo den notwendigen Kontrast. Massimo Altieri brilliert als Erzähler und Salvo Vitale verströmt mit seinem wohlklingenden Bass dosierte Dämonie. Das Solistenquartett begeistert mit absoluter Textverständlichkeit und vollumfänglich werkdienlicher Interpretation. Unterstützt wird es dabei vom Ensemble Cantar Lontano unter Leitung von Marco Mencoboni.

Ein reizendes Werk der italienischen Musik des späten 17. Jahrhunderts.

20.04.2021, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken