Poesie und Leidenschaft: Dvořáks Legenden und Slawische Rhapsodien in prächtiger Neuaufnahme
Mit der Einspielung von Dvořáks Legenden und Slawischen Rhapsodien erschafft die Tschechische Philharmonie unter Gastdirigent Tomáš Netopil eine authentische, berührende Interpretation dieser frühen Meisterwerke des Komponisten. Pentatone erweitert mit dieser Einspielung seinen bereits reichhaltigen Katalog an tschechischen Orchesterwerken und bietet die selten gehörten Werke in einer klanglich gelungenen Darbietung. Das Orchester zeigt sich hier in sonorer Pracht, während Netopil als sensibler Gestalter durch diese faszinierende Musik führt, die das Spektrum von Dvořáks kompositorischer Vielfalt entfaltet.
Dvořáks zehn Legenden, Op. 59, entstanden 1881, eröffnen die Aufnahme. Diese für ein kleineres Orchester komponierten Stücke sind von lyrischer, fast kammermusikalischer Qualität geprägt. Jedes der zehn kurzen Stücke entfaltet eine eigene musikalische Atmosphäre voller pastoraler Sanftheit und volkstümlichem Charme. Die erste Legende strahlt eine spielerische Leichtigkeit aus, während die mittleren Stücke introspektive Tiefe und gedämpfte Melancholie zeigen. Hier werden impressionistische Momente hörbar, in denen Dvořák mit sanften, kaum merklichen Farbwechseln beeindruckt. Eine subtile Vielfalt bringt die Tschechische Philharmonie durch feinsinnige Phrasierung und schwelgerische Melodielinien zur vollen Geltung. Die klangliche Klarheit lässt dabei jedes Detail erstrahlen, während die Holzbläser den volksliedhaften Charme einfärben und die Streicher den Stücken eine warm-elegische Grundierung verleihen.
Die Slawischen Rhapsodien, Op. 45, die Dvořák bereits 1878 komponierte, zeigen den Komponisten von einer dramatischeren Seite und knüpfen in ihrer rhythmischen und melodischen Vitalität an die bald folgenden Slawischen Tänze an. Die erste Rhapsodie in D-Dur beginnt mit einem feierlichen Thema, das schnell in einen rhythmisch pulsierenden Tanz übergeht, der das Orchester in eine dynamische Bewegung versetzt. Die g-Moll-Rhapsodie beeindruckt mit ihrem dramatischen Aufbau, der zunächst eine melancholische Stimmung aufgreift und zu einem strahlenden Höhepunkt führt. Schließlich bringt die As-Dur-Rhapsodie eine heitere und festliche Atmosphäre, in der das Orchester spielerisch tänzerische Themen verarbeitet und dabei einen lebhaften Dialog der Instrumentengruppen entstehen lässt. Die Tschechische Philharmonie zeigt hier ein unbestechliches Gefühl für Dvořáks harmonische und rhythmische Nuancen.
Die Tschechische Philharmonie, tief verwurzelt in der Tradition und Klangsprache Dvořáks, erweist sich als ideales Orchester für diese Werke. Die Holzbläser – weich und warm im Timbre – lassen die Legenden volkstümlich und innig wirken. Sie verleihen den Rhapsodien eine volksliedhafte Leichtigkeit. Die samtigen Streicher schaffen eine harmonische Basis, die die Nostalgie und Intimität dieser Musik unterstreicht und Dvořáks zurückhaltende, aber eindringliche Melodik trägt. Die noble Präsenz der Blechbläser, wohl dosiert und ohne jede Überladung, verleiht der Interpretation einen majestätischen Glanz, der in den dramatischen Momenten der Rhapsodien besonders zur Geltung kommt. Auch das Schlagwerk ist klar und kraftvoll in den Gesamtklang eingebettet, sodass die tänzerische Energie und rhythmische Prägnanz der Rhapsodien durch kurze, pointierte Akzente lebendig wirken.
Tomáš Netopil zeigt sich in dieser Aufnahme als Dirigent mit einem tiefen Verständnis für Dvořáks Musik, den tschechischen Orchesterklang und die poetische wie rhythmische Gestaltungsfreude des Komponisten. Mit einem Gefühl für klang farbliche Balance und Detailarbeit leitet er das Orchester sowohl durch die feinsinnige Intimität der Legenden als auch durch die dynamischen Bögen der Rhapsodien. Netopils Interpretation der Rhapsodien ist vital und kraftvoll, seine Tempi dynamisch und voller Lebendigkeit, ohne das Gespür für melodische Bögen und ruhige Momente zu verlieren.
Besonders bei den Legenden wird seine Fähigkeit zur Behutsamkeit und Sensibilität deutlich. Mit weichen Phrasierungen und einem feinen Ohr für melodische Linien gestaltet Netopil eine intime, lyrische Welt, in der jede Legende für sich steht und in ihrer individuellen Emotionalität erstrahlt. Dabei schafft er eine einladende Atmosphäre, die die Zuhörer sanft in die introspektive Welt dieser Stücke einführt. Netopils persönliche Verbindung zur Musik Dvořáks spiegelt sich in der Authentizität und Direktheit wider, die jede Passage in dieser Aufnahme auszeichnet.
Mit dieser Aufnahme von Dvořáks Legenden und Slawischen Rhapsodien liefern die Tschechische Philharmonie und Tomáš Netopil ein gelungenes Zeugnis, das Dvořáks unverwechselbaren tschechischen Klang feinsinnig in Szene setzt. Pentatone hat mit dieser CD eine schöne Aufnahme geschaffen, die Kennern und Neueinsteigern die tiefergehende Schönheit und den Einfallsreichtum von Dvořáks weniger bekannten Werken erschließt. Die lyrische Eleganz der Legenden und die rhythmische Lebendigkeit der Rhapsodien offenbaren sich hier in eindrucksvoller Vielfalt und machen diese Einspielung zu einem wertvollen Schatz für alle, die Dvořáks musikalisches Genie in all seinen Facetten genießen möchten.
Dirk Schauß, im November 2024
Antonin Dvořáks
Legenden und Slawischen Rhapsodien
Tschechische Philharmonie
Tomáš Netopil, musikalische Leitung
Pentatone, PTC 5187221