CD: Antonin Dvořák Sinfonien 7, 8, 9.
Die Magie Dvořáks: Bychkov und die Tschechische Philharmonie in Bestform
Die neueste Doppel-CD der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Semyon Bychkov, erschienen bei Pentatone, zelebriert die letzte und wohl reifste Schaffensphase von Antonín Dvořák. Mit den Sinfonien Nr. 7, 8 und 9 sowie den Konzertouvertüren „In der Natur“, „Karneval“ und „Othello“ stellt das Ensemble sein herausragendes Können unter Beweis. Diese Einspielung wird im Rahmen des Jahres der tschechischen Musik 2024 veröffentlicht und bietet sowohl Kennern als auch Neulingen einen eindrucksvollen Zugang zu Dvořáks klanglicher Welt.
Die siebte Sinfonie Dvořáks ist ein Meisterwerk, das tief in der tschechischen Identität verwurzelt ist. Geschrieben 1885, spiegelt es die Sehnsüchte und Hoffnungen eines Volkes wider, das nach Unabhängigkeit strebte. Von der düsteren, unheilvollen Einleitung bis zum dramatischen Finale durchdringt ein kämpferischer Geist die gesamte Komposition. Bychkov und die Tschechische Philharmonie verstehen es meisterhaft, die musikalische Erzählung mit Spannung und Emotion zu füllen. Besonders hervorzuheben sind die Solo-Flöte und die Bläsersektionen, die durch ihre lyrische Ausdruckskraft glänzen und Dvořáks Liebe zur Natur und seiner Heimat hörbar machen. Das Scherzo, bei dem das scheinbar Heitere von einer unterschwelligen Bedrohung überschattet wird, gelingt dem Ensemble in all seinen kontrastreichen Nuancen.
In seiner achten Sinfonie, uraufgeführt 1890 in Prag, zeigt sich Dvořák als Meister der Melodik und rhythmischen Vielfalt. Das Orchester, unter Bychkovs souveräner Führung, entführt den Hörer in eine Welt voller Farbigkeit und lebendiger Naturdarstellungen. Der zweite Satz, ein Adagio, lädt zu einer musikalischen Wanderung durch eine weite Landschaft ein, wo die Bäume zu rauschen und die Vögel zu singen scheinen. Die Eleganz und der Anmut des dritten Satzes, ein elegischer Walzer, sind so eindringlich, dass sie einem ins Herz gehen. Im Finale entfesselt Bychkov mit seiner Interpretation ein wahres Feuerwerk an Energie, welches das Orchester mit präziser Artikulation und dynamischer Kraft darstellt. Hier beweist die Tschechische Philharmonie ihre Meisterschaft in der Umsetzung groß angelegter symphonischer Strukturen.
Mit seiner neunten Sinfonie, „Aus der Neuen Welt“, schuf Dvořák 1893 eine musikalische Brücke zwischen Europa und Amerika. Diese Sinfonie, durchdrungen von der Sehnsucht nach der Heimat und der Faszination für die Neue Welt, ist ein Paradebeispiel für Dvořáks Fähigkeit, unterschiedliche musikalische Traditionen zu einem homogenen und dennoch vielseitigen Werk zu verschmelzen. Bychkov legt das Augenmerk auf die dramatischen Elemente der Komposition und gestaltet sie mit einer Frische, die der Partitur jegliche Routine nimmt. Die Holzbläser der Philharmonie glänzen einmal mehr durch ihre klangliche Wärme und Transparenz, während das gesamte Orchester mit minutiöser Detailarbeit eine perfekte Balance zwischen den einzelnen Instrumentengruppen schafft.
Die drei Konzertouvertüren „In der Natur“, „Karneval“ und „Othello“ bieten eine weitere Facette von Dvořáks Genie. Ursprünglich als Trilogie „Natur, Leben und Liebe“ konzipiert, spiegeln sie die Vielfalt des menschlichen Erlebens wider. „In der Natur“ besticht durch ruhige, klare Linien und eine eindrucksvolle Ausgestaltung der Leitmotive, die den Hörer in die erhabene Schönheit der Natur eintauchen lassen. Der „Karneval“ ist ein Feuerwerk der Lebensfreude: überschäumend und dynamisch, mit einer beeindruckenden Gestaltungsvielfalt. Hier zeigt Bychkov sein Gespür für Tempo und Rhythmus. „Othello“ hingegen präsentiert sich düster und dramatisch, fast wie ein Vorgriff auf Dvořáks Bühnenwerke. Die packende Orchestrierung und die intensive Darstellung emotionaler Konflikte durch das Orchester machen diese Ouvertüre zu einem dramatischen Höhepunkt der Aufnahme.
Die Tschechische Philharmonie, seit jeher bekannt für ihre Kompetenz im tschechischen Repertoire, spielt unter Semyon Bychkov auf höchstem Niveau. Die langjährige Tradition und die enge Verbundenheit des Orchesters mit Dvořáks Werk verleihen der Interpretation eine Authentizität, die nur selten zu finden ist. Es mag wie ein Klischee erscheinen, dass ein tschechisches Orchester diese Musik am besten interpretiert, doch diese Aufnahme bestätigt diese Annahme eindrucksvoll. Bychkov, der seit 2018 als Chefdirigent die Geschicke der Philharmonie leitet, zeigt nicht nur ein tiefes Verständnis für die Musik Dvořáks, sondern auch eine bewundernswerte Fähigkeit, die Musiker zu inspirieren und zu motivieren. Seine detailverliebte und emotional durchdrungene Herangehensweise macht jede Note, jedes Motiv zu einem Erlebnis.
Die Aufnahmetechnik von Pentatone unterstützt die musikalische Exzellenz dieser Einspielung in beeindruckender Weise. Der Klang ist weiträumig und transparent, die dynamischen Kontraste kommen hervorragend zur Geltung. Das Orchester wird in seiner vollen Breite und Tiefe erfasst, wobei die Klangfarben der verschiedenen Instrumente und Gruppen klar und natürlich wiedergegeben werden. Die technische Brillanz dieser Aufnahme trägt dazu bei, dass der Hörer das Gefühl hat, mitten im Geschehen zu sein, als säße er in einem der besten Konzertsäle der Welt.
Diese Einspielung der Tschechischen Philharmonie unter Semyon Bychkov ist ein Glanzstück der aktuellen Dvořák-Interpretation. Mit einer tiefen Verwurzelung in der Tradition und einem klaren Blick auf die modernen Ansprüche an musikalische Interpretation gelingt es Bychkov und seinem Orchester, die Musik Dvořáks in all ihren Facetten erstrahlen zu lassen. Die Kombination aus technischer Perfektion, emotionaler Tiefe und der Authentizität eines Ensembles, das wie kaum ein anderes für das Werk des tschechischen Meisters steht, macht diese Doppel-CD zu einer unverzichtbaren Referenz für alle Liebhaber von Dvořáks Musik.
Dirk Schauß, im September 2024
Antonin Dvořák
Sinfonien 7, 8, 9
In der Natur
Karneval
Othello
Tschechische Philharmonie
Semyon Bychkov, musikalische Leitung
PTC 5187216