Haitinks Dvořák – Spannung und Poesie
Die Verbindung zwischen dem niederländischen Dirigenten Bernard Haitink und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks war von einem außergewöhnlichen künstlerischen Vertrauen geprägt. Eine dieser eindrucksvollen Aufnahmen – ein Konzertmitschnitt vom März 1981 aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz – wurde nun von BR-KLASSIK veröffentlicht. Im Zentrum dieser Aufzeichnung steht Antonín Dvořáks siebte Sinfonie in d-Moll Op. 70, zusammen mit dem „Scherzo capriccioso“ Op. 66. Diese Aufnahmen bieten nicht nur einen faszinierenden Einblick in die musikalische Größe Haitinks, sondern auch in die künstlerische Vollendung eines Orchesters, das ihn über Jahre hinweg begleitete.
Antonín Dvořáks siebte Sinfonie, die im Auftrag der Londoner Philharmonischen Gesellschaft entstand, ist ein Werk, das mit einer tiefen, existenziellen Dramatik gefüllt ist. Geschrieben in einer Zeit politischer Spannungen zwischen Böhmen und Deutschland, strahlt sie eine melancholische, ja beinahe zornige Energie aus. Die Sinfonie gehört zu Dvořáks düstersten und intensivsten Werken und fordert eine komplexe Interpretation, die den inneren Konflikt des Komponisten widerspiegelt.
Haitink und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks entfachen in dieser Aufnahme die ganze Wucht dieses Werkes. Der erste Satz wird von Haitink mit packender Intensität geführt. Die unbändige Energie der Streicher und das dramatische Zusammenspiel der Bläser lassen die politische und persönliche Schwere des Werkes erlebbar werden. Haitink gelingt es vortrefflich, die tragischen, hochdramatischen Elemente dieser Sinfonie herauszuarbeiten, ohne die subtilen lyrischen Momente zu opfern, die das Werk ebenso kennzeichnen. Der zweite Satz steht im Kontrast zum ersten. Hier bringt Haitink mit einer stilleren, introvertierten Lesart die innere Zerrissenheit des Komponisten zum Vorschein. Das Orchester spielt mit einer eleganten Zartheit, während die Pauken und tiefen Streicher sanft die düstere Stimmung des Satzes untermalen. Das Scherzo bringt eine gewisse Leichtigkeit, die jedoch nie ganz von der Dunkelheit des Werkes befreit ist. Haitink entfaltet die zerrissene Energie dieses Satzes mit feinsinniger Artikulation. Die Rhythmen sind scharf und pointiert, der Wechsel von spöttischen und poetischen Momenten gelingt souverän. Der finale Satz ist das furiose Ende dieser Sinfonie. Haitink lässt das Orchester in einem verzweifelten, aber auch hoffnungslosen Ansturm auf das Ziel zusteuern, wobei er den frenetischen Rhythmus geschickt ausbalanciert. Es ist ein grandioser Abschluss, der die düstere Spannung des gesamten Werkes vollendet.
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Haitinks Leitung brilliert in dieser Aufnahme auf jeder Ebene. Die Bläser setzen markante Akzente und zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Klarheit und Präzision aus. Besonders hervorzuheben sind die Streicher, die in den ruhigeren Passagen ihre lyrische Schönheit voll entfalten. Haitink formt das Orchester mit ruhiger Hand, wobei er eine bemerkenswerte Balance zwischen dramatischen Höhepunkten und intimen Momenten hält. Die Interpretation ist präzise und gleichzeitig voller Emotionen – ein Beweis für die langjährige künstlerische Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester.
Das „Scherzo capriccioso“ Op. 66, ein Werk, das Dvořák in einer Krisenzeit seines Lebens komponierte, nimmt einen zentralen Platz in dieser Aufnahme ein. Der Titel mag auf ein leichtfüßiges, humorvolles Stück hindeuten, doch die Musik selbst ist alles andere als unbeschwert. Es ist ein spannungsgeladenes, dynamisches Werk, das trotz seines tänzerischen Charakters tiefere, melancholische Züge trägt.
Haitink bringt die feinen Nuancen dieses Werkes mit einer perfekten Mischung aus technischer Präzision und emotionaler Intensität zur Geltung. Das Orchester spielt mit einem spritzigen, lebendigen Puls, der die tänzerische Qualität des Stückes unterstreicht, während die wechselnden Tempi und das kontrastreiche Spiel der Instrumente die Dramatik und Tiefe dieses „Scherzos“ immer wieder durchbrechen.
Diese Aufnahme von Dvořáks siebter Sinfonie und „Scherzo capriccioso“ ist ein eindrucksvolles Dokument künstlerischer Meisterschaft. Bernard Haitink zeigt erneut seine außergewöhnliche Fähigkeit, die komplexen emotionalen und dramatischen Strukturen von Dvořáks Musik zu durchdringen. Es ist eine Aufnahme, die sowohl Dvořáks Werk als auch Haitinks Vermächtnis als Dirigent in all seiner Größe ehrt.
Dirk Schauß, im Januar 2025
Antonin Dvořák
Sinfonie Nr. 7
Scherzo capriccioso
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Bernard Haitink, musikalische Leitung
BR-Klassik, 900223