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CD ANTON BRUCKNER: VIERTE SYMPHONIE in ES-DUR „Die Romantische“ in drei VERSIONEN – JAKUB HRUSA und die BAMBERGER SYMPHONIKER; accentus 

22.09.2021 | cd

CD ANTON BRUCKNER: VIERTE SYMPHONIE in ES-DUR „Die Romantische“ in drei VERSIONEN – JAKUB HRUSA und die BAMBERGER SYMPHONIKER; accentus 

Zum 75. Geburtstag der Bamberger Symphoniker: Aufregender Blick in Bruckners Kompositionslabor

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Goldene Zeiten bei den Bamberger Symphonikern: Mit Jakub Hrůša, seit September 2016 als fünfter Chefdirigent des 1946 gegründeten Klangkörpers installiert, und Geheimtipp für allergrößte Aufgaben, trat einer der musikalisch spannendsten und technisch versiertesten Dirigenten der Jetztzeit in die artistischen Fußstapfen eines Joseph Keilberth oder Eugen Jochum.

Das ursprünglich als „Bamberger Tonkünstler“ bezeichnete Ensemble rekrutierte sich u.a. aus ehemaligen Mitglieder des Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag und anderen Kriegsflüchtlingen. Natürlich ist es der „böhmisch grundierte Klang“, die dunklen Hörner und Streicher, das satte Holz, der auch die Neuaufnahme der drei Versionen der „Romantischen Symphonie“ von Anton Bruckner prägt. Aber nicht nur. Dieser böhmische Klang ist auch die identitätsstiftende musikantische Lebenseinstellung des Miteinander, die künstlerische DNA des Orchesters.

Jakub Hrůša, der auch weiß, wie man Klavier und Posaune spielt, ist ein Künstler, der was zu sagen hat. Er praktiziert Musik ähnlich wie Celibidache von der Gesellschaftsrelevanz und vom Klangerlebnis her, philosophisch, erkenntnistheoretisch in einer integrativen Sichtweise. Bei Bruckner betont er, dass nicht alles interpretatorische Rüstzeug auf Gläubigkeit und Katholizismus zurückgeführt werden darf. Es gibt im Werk auch Lebensfreude und Leichtigkeit, wie man sie in den südlichen Ländern Europas kennt. „Bruckner wusste fraglos auch um die vitalen und philosophischen Aspekte der Existenz, um das Singen, den Tanz, um Kontemplation, Demut und Schlichtheit.“

Die 4 CD Box, enthält folgende im November 2020 im Joseph-Keilberth Saal der Konzerthalle Bamberg aufgenommene Studioproduktionen der Bamberger Symphoniker:

  • Bruckner Symphonie Nr. 4, Erste Version komponiert 1874, revidiert 1875-1876 in der Edition Korstvedt
  • Bruckner Symphonie Nr. 4, Zweite Version komponiert 1878-1880, aufgeführt und revidiert 1881, Edition Korstvedt 2019
  • Bruckner Symphonie Nr. 4, Dritte Version vorbereitet 1887, aufgeführt und revidiert 1888, veröffentlicht 1889, Edition Korstvedt 2004
  • Bruckner Symphonie Nr. 4, frühere Entwürfe und Versionen in direktem Vergleich mit den finalen und veröffentlichten Versionen, so auch das gesamte Finale („Volksfest“, geschrieben 1878 und das Finale der zweiten Version 1881.

Hrůša will mit dieser bislang einzigartigen Edition seinem Publikum die Möglichkeit geben, „sich selbst ein Bild zu machen von Güte und Zuschnitt der jeweiligen Fassungen. Die Hörer können auf diese Weise selbst entscheiden, ob der Komponist Recht hatte mit seinen Zweifeln, und ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Fassung gegen die andere auszuspielen.“

Die größte Überraschung bietet auf jeden Fall die Erstversion, die bei mir eine spontane Faszination, ja einen positiven Schock auslöste. Korstvedt bescheinigt dem Werk eine andere Grundstimmung, temperament- und phantasievoller in ihrer emotionalen Energie. All das, was Bruckner später störte, nämlich eine ‚überladene und unruhige‘ Instrumentierung bzw. ‚unpraktikable oder unspielbare Passagen‘, zählt ja aus heutiger Hörperspektive nicht. Im Gegenteil entzücken die verspielten Details, so manch frühromantischer Schnörkel und experimentelle Unwucht. Ich finde auch, dass sich mit der relativen Unbeschwertheit des Erstlings das Bild Bruckners subtanziell wandelt und auf einmal zusätzliche Facetten seiner Persönlichkeit ganz klar Kontur gewinnen.

Vor allem aber überwältigen die künstlerische Substanz und die stupende Orchesterkultur aller Einspielungen. Hrůša lässt die Musik organisch blühen, er schöpft bei aller formalen Korrektheit die sinnliche Kraft und die Vitalität dieser sinfonischen Zaubergärten voll aus. Dank der Umsicht des Dirigenten, der im entscheidenden Moment auch loslassen kann, betreten wir die Ideenwerkstatt Bruckners als einen großen monumentalen Raum, voller Lichtreflexionen und reizvoll metamorphosierender Struktur. Den Klang hat Hrůša rund glühend, vor allem genussreich und räumlich in Szene gesetzt. Hektik, allzu Theatralisches oder jede Attitüde zum Überdrama vermeidet er. Vor allem aber erweist sich Hrůša als großer Orchestererzieher, der im spürbaren Einklang mit den Musikern den Charakter und das Profil dieses süddeutschen Luxusklangkörpers noch einmal schärfen konnte. In dieser Höchstform können sich die Bamberger Symphoniker stolz in einer Reihe mit der Dresdner Staatskapelle oder den Münchner Spitzenorchestern sehen lassen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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