CD ANTON BRUCKNER: SYMPHONIE Nr. 8 – WIENER PHILHARMONIKER; CHRISTIAN THIELEMANN – Live Mitschnitt aus dem Wiener Musikverein vom Oktober 2019; Sony
Auftakt zu einem Bruckner-Gesamtzyklus mit den Wiener Philharmonikern, dem ersten unter einem einzigen Dirigenten
Den Wiener Philharmonikern war zwar die Uraufführung der 1890 fertig gestellten zweiten Fassung der Achten Symphonie in c-Moll von Anton Bruckner unter Hans Richter anvertraut, Christian Thielemann hat sich für die beiden Abo-Konzerte am 5. und 13. Oktober 2019 aber für die Mischfassung von Robert Haas entschieden.
Die Kaiser Franz Joseph gewidmete Achte Symphonie war für Christian Thielemann sicherlich ein Karrieremacher, führte doch eine Aufführung dieser Achten bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden zu seinem heutigen Posten als Chefdirigent. Mit den Wiener Philharmonikern startete Thielemann einen neuen Zyklus der Bruckner-Sinfonien. Wir dürfen gespannt sein. Obwohl Thielemann viel und oft Bruckner (auch auf Tonträgern gut nachvollziehbar) etwa mit der Staatskapelle Dresden, den Berliner Philharmoniker oder den Münchner Philharmonikern dirigiert hat, steht die gemeinsame Erarbeitung der Bruckner Symphonien mit den Wiener Philharmonikern erst am Beginn. Neben der Achten aus Wien sind die Konzerte der Vierten Bruckner in Es-Dur bei den Salzburger Festspielen 2020 zu erwähnen.
Auf der anderen Seite ist es unglaublich, aber wahr, dass die Wiener Philharmoniker bisher zwar einige der besten Bruckner Aufnahmen auf dem Markt für sich in Anspruch nehmen können (so mit Furtwängler, Knappertsbusch, Karajan, Bernstein, Böhm, Giulini, Boulez oder Harnoncourt), aber bislang noch kein Bruckner Gesamt-Projekt unter einem Dirigenten umgesetzt haben. Die Achte unter Thielemann ist eine exzellente klangvollendete Luxusaufnahme geworden, die es allerdings – wie dies auf der Website von Sony gepriesen wird – zumindest was Spannung und große Bögen anlangt – nicht zu 100 Prozent mit den großen Interpretationen aufnehmen kann. Dieser Vergleich ist der jüngst veröffentlichten Achten Bruckner unter Mariss Jansons mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks vorbehalten (Box mit den Symphonien 3, 4, 6, 7, 8 und 9).
Beim neuen Album sind ein geschärfter Klangsinn für Details und vor allem das in Höchstform agierende Orchester zu bestaunen. Die Streicher im Silberglanz und die unverwechselbaren Bläser- und Holzgruppen sorgen immer wieder für Entzücken. Aber die berühmte kompositorische Schnitttechnik Bruckners mit ihren brutalen dynamischen Kontrasten und den unerwarteten atmosphärischen Umschwüngen wird wenig ausgereizt, die Bögen dazwischen kurz gehalten, der Mystik dieser Musik kaum Raum gelassen. Eine konzeptuelle Gesamtstruktur vermag ich nicht zu erkennen. Wir haben es vielmehr mit einer sachlich präzisen, weniger romantisch grenzgängerischen Sichtweise zu tun. Auch legitim, aber bis auf das wirklich himmlisch schöne Adagio kaum berührend.
Thielemann braucht für diese Achte 80 Minuten 48 Sekunden, und damit ähnlich lang wie Karajan oder Jansons. Er ist etwas schneller als Klemperer (83,75). An den äußeren Enden der Interpretationsgeschichte stehen Schuricht (71,70), Jochum (76,70) sowie auf der anderen Seite natürlich Wand (89,07) und Celibidache mit 106,88 Minuten.
Der Anfang ist mit gemacht, wir werden hören, wie es weitergeht. Meine Lieblingsaufnahmen (Giulini und Karajan, beide mit den Wiener Philharmoniker und ganz besonders Celibidache) stehen auf jeden Fall noch fest auf ihrem Platz.
Dr. Ingobert Waltenberger