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CD ANTON BRUCKNER: SYMPHONIE Nr. 7 – Alan Gilbert dirigiert das NDR Elbphilharmonie Orchester – SONY

30.08.2019 | cd

CD ANTON BRUCKNER: SYMPHONIE Nr. 7 – Alan Gilbert dirigiert das NDR Elbphilharmonie Orchester – SONY

Zum Einstand des neuen Chefdirigenten des NDR Elbphilharmonie-Orchesters wurde eine CD mit der Siebenten Bruckner als Auftakt zu einem neuen Bruckner-Zyklus veröffentlicht. Aufgenommen wurde im Juni 2019 im Großen Saal der Elbphilharmonie. Alan Gilbert, Amerikaner mit japanischen Wurzeln, als Nachfolger Lorin Maazels bis 2017 Chef des New York Philharmonic, ist in Hamburg beileibe kein Unbekannter: Von 2004 bis 2015 leitete er schon als „Erster Gastdirigent“ das NDR-Orchester u.a. auf zahlreichen Tourneen. Jetzt tritt er als Chef ein relativ risikoloses Heimspiel in der architektonisch bereits kultisch verehrten Elbphilharmonie an, einem akustisch aber umso schwierigeren und umstritteneren Haus.

Dabei lief die Bestellung alles andere als rund ab. Das Timing der Bekanntgabe wurde von Thomas Hengelbrock als unsanft empfunden und führte zu dessen misstönenden vorzeitigen Abgang: Kurz nach der Kommunikation des Vertragsendes hatte der NDR Alan Gilbert als Nachfolger präsentiert. Hengelbrock was not amused, aber auch künstlerisch war die Partnerschaft Hengelbrocks, der dem Orchester u.a. „mangelnde Eigeninitiative“ vorwarf, nicht friktionsfrei. Zudem hatte der Dirigent Gepflogenheiten der historischen Aufführungspraxis ins Orchester verpflanzt und die Instrumentalisten bei Barockmusik mit Naturtrompeten und kleinen Pauken spielen oder die Streicher Barockbögen benutzen lassen.

Damit dürfte nun Schluss ein. Der aktuell mit seiner Familie in Stockholm lebende Alan Gilbert, Sohn eines Geigers des New York Philharmonic und einst in der Lehre beim Cleveland Orchestra unter Christoph von Dohnányi, pflegt einen romantisch satt-sinnlichen Klang. Gilbert geht es um die Verfeinerung dieses spezifischen Klangs des NDR Elbphilharmonie-Orchesters, den der Dirigent zurecht als nobel, dunkel und voll umschreibt. Programmatisch will er sich in erster Linie um die Wiederentdeckung des Kernrepertoires bemühen, also Beethoven, Brahms, Bruckner, Mahler, Mozart und Haydn pflegen, aber auch Zeitgenössisches spielen.

Zu seinem Arbeitsstil sagte Alan Gilbert in einem Interview: „Es ist nicht so, dass mir alle Musiker die ganze Zeit folgen sollen, wichtig ist ein ständiges unmittelbares Interagieren, eine Flexibilität, die mir extrem wichtig ist, weil sie auch mir ermöglicht, dem Orchester zu folgen. Dann wird es eine Straße mit Gegenverkehr, so entsteht ein echtes Gespräch anstelle eines Diktats.“ Die Früchte dieser künstlerischen Philosophie können jetzt schon im Kern auf ihren Gehalt verkostet werden.

Die neue Studioproduktion der Symphonie Nr. 7 in E-Dur kann als eine Hochglanz-Visitenkarte vor allem für die Streicherkultur des renommierten Rundfunkorchesters gelten. Die Musik scheint hier organisch von innen her in ständiger Metamorphose, sie blüht und verebbt wie eine im Zeitraffer aufgenommene Blumenwiese. Von den Zeitmaßen her ist Alan Gilbert mit 66,26 Minuten Günter Wand (Aufnahme 1980 mit 64,50 Minuten) sehr nahe. Die eiserne Markanz der kühnen (Binnen-)Architektur des Werkes jedoch, die Erschütterungen des Komponisten durch den Ringtheaterbrand vom 8.12.1881 (Bruckner wohnte im angrenzenden Haus) mit vielen Toten als auch das Ableben von Richard Wagner 1883 als dramatisch traurige Paten der Partitur könnten sich intensiver übertragen. So vermisse ich ein Quentchen an mathematischer Prägnanz der Rhythmen und Durchschlagskraft bei den Blechbläsern. Bruckners mystisch spannungsreicher Spagat zwischen Glauben, Trauer, Tod und Auferstehung bleibt emotional bisweilen unterbelichtet. Das Album ist sicherlich ein Bad in hochromantischer Schönheit, es gibt aber tiefer empfundene (Wand, Celibidache) bzw. brillantere (Karajan, Solti) Aufnahmen im Katalog.

Anmerkung: Als Startschuss in die Saison 2019/2020 gibt es das dreiwöchige Antrittsfestival „Klingt nach Gilbert“. Die Opening Night vom 6.9., mit Brahms, Chin, Bernstein, Ives und Varèse wird von ARTE Concert und NDR Kultur live im Online-Stream bzw. im Radio übertragen. Den Player zum Online-Stream finden Sie in der NDR EO App.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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