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CD: Anton Bruckner Sinfonie Nr. 9 d-moll, WAB 109 Tonhalle-Orchester Zürich Paavo Järvi, musikalische Leitung Alpha-Classics, 1068

30.08.2024 | cd

„Mit frischem Blick auf das Monumentale“

Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich interpretieren Bruckners Neunte

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Nach den gefeierten Einspielungen von Bruckners Sinfonien Nr. 7, ausgezeichnet mit dem Diapason d’Or, und der Sinfonie Nr. 8, die bei den International Classical Music Awards als „beste sinfonische Einspielung des Jahres“ geehrt wurde, setzen Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich ihre eindrucksvolle Erkundung von Bruckners symphonischem Werk mit einer Aufnahme seiner neunten Sinfonie fort. Diese Veröffentlichung, produziert von Alpha Classics, zeigt einmal mehr Järvis Fähigkeit, mit frischen Perspektiven und einer subtilen Prägung des Werks dem österreichischen Komponisten neues Leben einzuhauchen – ohne dabei die Essenz von Bruckners Musik zu verlieren.

Die lange und enge Verbindung des Tonhalle-Orchesters Zürich mit Bruckners Werk reicht bis ins Jahr 1903 zurück, als es unter der Leitung von Richard Strauss die erste Schweizer Aufführung einer seiner Sinfonien präsentierte. Diese Tradition setzt sich unter Paavo Järvi fort, der selbst sagt: „Die große klassisch-romantische Tradition des Tonhalle-Orchesters Zürich prädestiniert es für Bruckner, den zentralen Komponisten für moderne Sinfonieorchester.“ Diese besondere Beziehung und Järvis innovative Herangehensweise verschmelzen in dieser Aufnahme zu einer Interpretation, die die Klarheit und Vielschichtigkeit der Partitur klar offenlegt.

Bruckner schrieb seine finale Sinfonie in den letzten Lebensjahren, eine musikalische Abschiedsgeste, die er mit den Worten „Abschied vom Leben“ selbst in der Partitur vermerkte. Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich erforschen dieses mysteriöse und tiefgründige Werk mit einer Offenheit und Flexibilität, die neue Facetten der Komposition enthüllt. Järvi ist bekannt dafür, dass er die Werke, die er dirigiert, immer aus einer neuen Perspektive betrachtet, und dabei stets den ursprünglichen Geist des Komponisten bewahrt. Diese Balance zwischen innovativer Interpretation und erkennbarer Werktreue wird in dieser Aufnahme auf gelungene Weise verwirklicht.

Der erste Satz beginnt lebendig und glühend, wobei Järvi die lyrische Intensität und die kontrapunktischen Schichten virtuos herausarbeitet. Die antiphonale Aufstellung der Violinen öffnet den Klang in den Raum hinein und betont die orchestrale Zwiesprache, was den dramatischen Höhepunkten des Satzes eine beinahe zwingende Logik verleiht. Die Interpretation ist geprägt von einem lebendigen Dialog zwischen den Instrumentengruppen, der jede Phrase und jeden Akkord mit starker Aussagekraft auflädt.

Im Scherzo betont Järvi die rhythmische Vitalität und das Tänzerische des Satzes. Hier zeigt sich erneut seine Fähigkeit, Bruckners Musik mit einem frischen, dynamischen Ansatz zu beleben, während die ursprüngliche Struktur respektiert wird. Das Trio, das von huschenden und nachgebenden Passagen geprägt ist, setzt sich kontrastreich ab, mit hervorstechenden Holzbläsern und subtilen Paukentönen. Auch wenn Järvi das diabolische Element dieses Satzes etwas zurücknimmt und die Pauke eher zurückhaltend bleibt, fasziniert die Interpretation durch ihre Transparenz und detailreiche Ausarbeitung. Dennoch, im Vergleich zu den besonders faszinierenden Scherzo-Aufnahmen von Michael Gielen und Günter Wand (besonders mit dem DSO Berlin), bietet Järvi hier eine differenzierte und dennoch fesselnde Lesart.

Der langsame Satz schließlich, oft als das „letzte Wort“ dieser unvollendeten Sinfonie betrachtet, entfaltet unter Järvis Leitung eine tiefgehende Erschöpfung, die zugleich nach Auflösung strebt. Die Lichtpunkte, die Järvi setzt, strahlen mit intensiver Klarheit, während die Modernität Bruckners durch die verstärkten Dissonanzen am Höhepunkt noch deutlicher wird. Die letzten Minuten werden von Järvi als wahrhaftiger Moment der Erlösung gestaltet, was den dramatischen und spirituellen Tiefgang des Werkes unterstreicht.

Das Tonhalle-Orchester Zürich beweist in dieser Aufnahme einmal mehr, warum es zu den führenden Orchestern weltweit zählt. Besonders die Holz- und Blechbläser brillieren durch klangliche Präsenz und Ausdrucksstärke, während die Streicher mit ihrem warmen, satten Klang beeindrucken. Järvi formt die Musik mit organischen Tempi und detailreicher Tiefenstaffelung. Das Ergebnis ist eine klarsichtige Neunte, die bis in die erlösenden, schwerelosen Schlusstakte des Adagios konsequent durchgearbeitet ist.

Die Klangqualität der Aufnahme ist ebenso herausragend. Die weiträumige und detailreiche Produktion fängt die gesamte Bandbreite der Klangfarben und die feinen dynamischen Nuancen des Orchesters perfekt ein. Diese Einspielung von Bruckners Neunter ist nicht nur ein spannendes Hörerlebnis, sondern eine Interpretation, die die Grenzen des Gewohnten sprengt und dem Werk eine neue, fesselnde Dimension verleiht.

Dirk Schauß, im August 2024

Anton Bruckner

Sinfonie Nr. 9 d-moll, WAB 109

Tonhalle-Orchester Zürich

Paavo Järvi, musikalische Leitung

Alpha-Classics, 1068

 

 

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