CD ANTON BRUCKNER: 9. Symphonie für Orgel; GERD SCHALLER Weltersteinspielung; Profil Hänssler
Gerd Schaller, Dirigent und Organist, und auch einer der fundiertesten und erfahrensten Bruckner-Experten, will es genauer wissen. Um die Essenz der „Neunten“ noch tiefer zu ergründen, die Strukturen von Bruckners symphonischem Denken besser nachzuvollziehen, hat er selbst die Orchesterpartitur für Orgel transkribiert und gleich selber auf CD eingespielt. Obwohl Bruckner selbst Organist in St. Florian, in Linz und später auch an der Hofburgkapelle in Wien war, hat er nie Solomusik für sein Instrument geschrieben.
Die Orgel bietet sich deshalb für eine Transkription an, weil Bruckner in seinen Symphonien orgeltypische Klänge und Techniken anwendet. Schaller geht es aber umgekehrt keinesfalls darum, Orchestereffekte auf die Orgel zu übertragen. Vielmehr bestand der Prozess der Transkription darin, die Musik auf das Hörbare zu konzentrieren und Nebenstimmen wegzulassen, um so ein genuines Orgelwerk zu schaffen. Weil die Orgel gewisse Orchestereffekte wie das Tremolo der Streicher nicht schafft, hat Schaller darauf verzichtet. Als generelle Vorbilder für das Klangbild dienten Schaller die großen französischen Orgelsymphoniker des 19. Jahrhunderts Charles-Marie Widor und Louis Vierne.
Schaller hat aber nicht nur die fertig gestellten drei Sätze transkribiert, sondern die Transkription auch auf die von ihm selbst auf Basis der erhaltenen Skizzen komplettierte Version des Finalsatzes ausgedehnt.
Aufgenommen wurde die „Neunte“ auf der Hauptorgel der Abteikirche Ebrach von Wolfgang Eisenbarth. Diese Rekonstruktion einer Barockorgel mit 56 Registern und vier Manualen samt Pedal weist wahrlich unglaubliche klangliche Möglichkeiten auf. Sie verfügt nach Schaller über einen romantischen und einen barocken Charakter, „weshalb man sowohl das symphonische Gepränge als auch das durchsichtig polyphone Gewebe von Bruckners Symphonie wunderbar realisieren kann.“
Schaller ist ein großartiges Bruckner-Album geglückt. Er weiß Steigerungen behutsam aufzubauen und bei sehr flüssigen Tempi markant Höhepunkte zu setzen. Die Orgel eröffnet einen Zaubergarten an mystisch zum Schöpfer strebenden Klängen, die die Hörgewohnheiten der Orchesterfassung ummodeln. Trotz der bekannten Hauptthemen ist da ein faszinierendes Kunstwerk sui generis entstanden, leichter und heller koloriert als die Orchesterfassung. Lauschen Sie etwa dem Scherzo, wo das phantastisch kühne Tongeflecht noch geheimnisvoller und unwegsamer erklingt als in der Orchesterfassung.
Ob im Andante der in seinem Labyrinth befangene ‚Parsifal‘ zu uns ruft, das ‚Dresdner Amen‘ dominiert oder in den Selbstzitaten der nahende Tod erblickt wird, Gerd Schaller lässt für diese prometheisch-menschliche Sinnsuche nach jedem das Selbst auf die Probe stellenden Zweifel auch jene Hoffnungsschimmer leuchten und aufblitzen, die im Finale mit “Te Deum”-Motiv direkt zu einem monumental erahnten, streng gerechten Gott führt.
Hinweis:
Zu Bruckners 200. Geburtstag am 4. September 2024 will Gerd Schaller die wesentlichen Werke Anton Bruckners in ihren wichtigsten Varianten aufgeführt und auf CD gebannt haben. Partner des Projekts sind der Ebracher Musiksommer, der Bayerische Rundfunk – Studio Franken sowie das CD-Label Profil Edition Günter Hänssler. Als Basis dient dabei Gerd Schallers Bruckner-Zyklus, in dem einige Symphonien bereits in unterschiedlichen Versionen vorliegen. Die Aufnahmen der noch fehlenden Fassungen der Symphonien und der anderen Werke werden in den kommenden Jahren erfolgen und beim CD-Label Profil Günter Hänssler erscheinen. Und natürlich soll dieser Geburtstag auch mit einem Bruckner-Fest im Rahmen von Gerd Schallers Festival Ebracher Musiksommer feierlich begangen werden.
Dr. Ingobert Waltenberger