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CD: ANTON BRUCKNER 5. SYMPHONIE in einer Bearbeitung für Orgel – von und mit GERD SCHALLER, Weltersteinspielung; Profil Hänssler

13.06.2023 | cd

CD ANTON BRUCKNER 5. SYMPHONIE in einer Bearbeitung für Orgel – von und mit GERD SCHALLER, Weltersteinspielung; Profil Hänssler

Verwegen mystisch: Essenz und Opulenz

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Die „Neunte“ hat er schon für Orgel bearbeitet und auf CD eingespielt, die „Achte“ würde sich ebenfalls eignen. Bruckner liebt und kennt er wie heute kein Zweiter. Die Rede ist von Gerd Schaller, Organist und Dirigent, legitimer Nachfahre in Sachen Bruckner-Interpretation und -Rezeption von Furtwängler, Celibidache, Wand & Co.

Sein fantastischer Bruckner-Zyklus mit der Philharmonie Festiva (bestehend aus Musikern einiger der besten deutschen Klangkörper), den er überwiegend in der Kirche der Zisterzienserabtei Ebrach aufgenommen hat, ist Teil eines Jubiläums-Projekts, das BRUCKNER2024 heißt.  2011 von Gerd Schaller ins Leben gerufen, hat es zum Ziel, alle Symphonien Anton Bruckners in allen Fassungen bis zum 200. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2024 aufzuführen und einzuspielen. Neben den bekannten Fassungen sind auch Zwischenfassungen Teil des Projektes, das am Ende mehr als 30 CDs umfassen wird. Projektpartner sind der Ebracher Musiksommer, der Bayerische Rundfunk – Studio Franken – sowie das CD-Label Profil Edition Günter Hänssler. Über 20 CDs wurden bereits veröffentlicht.

Auf eine andere Art einzigartig, weil zum ersten Mal erprobt, ist Schallers Bearbeitung der Fünften Symphonie von Anton Bruckner für die Orgel. Bruckner ist einer der wenigen Komponisten, der als Wesen und Bezugspunkt seiner Musik wohl nicht zuerst den Menschen wahrnahm, sondern in höchster Abstraktion Gott in all seiner erhabenen, komplexen und unermesslichen Größe. Zumindest ist die Transzendenz seiner Musik stets zu spüren, auch oder gerade, wenn sie – wie etwa in der Fünften – mit einer muskulösen Forschheit und im vierten Satz einer kontrapunktisch einzigartigen Apotheose das Leben und die Schöpfung hymnisch feiert.

Bruckners musikalische Herkunft von der Orgel äußert sich in der Behandlung des Orchesters seiner Symphonien. Mal mehr, mal weniger. Die Wurzeln von Bruckners musikalischem Universum reichen bis ins Mittelalter, die Renaissance, die Barockzeit sowieso, wenngleich er in seinen kosmisch anmutenden Anrufungen, seinen harmonischen Experimenten ganz ein Kind der Romantik ist, der visionär das 20. Jahrhundert kompositorisch aufbereitete. Ein Utopist war dieser Bruckner, der wie ein Krake tentakelgleich himmelfliegend Fernes absuchte, klanglich abgriff, zwei Schritte in alle Richtungen wagend, dann wieder einen nach innen gewandt, kontemplativ und im nächsten Augenblick hurtig voran, um sich in einem riesigen Credo, vielleicht noch mehr Gloria, wie mir diese bisweilen als monumental kühl abgetane „Fünfte“ sagen will, einer ganz persönlichen Wahrheit euphorisch zu nähern. Und uns zu dieser imaginären Raumfahrt in die eigene Kernschmelze immer wieder einlädt.

Was ist so faszinierend an Gerd Schallers Bearbeitung für Orgel? Zum einen hat er es vermieden, das Orchester zu imitieren, sondern ein eigenständiges Kunstwerk im Sinne einer Orgelsymphonie geschaffen. Wie Bruckner selbst, versucht Schaller, trotz des genuin bodenständigen Ansatzes, der Orgel zu geben, was der Orgel ist, uns „in andere Welten zu entführen und einen neuen Kosmos zu eröffnen“, nicht zuletzt das Futuristische, das Moderne der Partitur herauszustreichen.

Ein kleiner Einblick in Schallers alchemistischer Werkstatt gefällig? Im Gespräch mit Rainer Aschemeier erzählt er über seinen Zugang: „Mir war es vor allem wichtig, das kompositorische Substrat, das große Ganze zum Klingen zu bringen. Dabei ist es nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, dass ich mir entsprechende Freiheiten nehme. Gewisse Orchestereffekte, wie etwa das Streichertremolo sind aber auf der Orgel kaum oder sehr unzureichend darstellbar. Stattdessen habe ich eine figurative Lösung gewählt, die dem klanglichen Charakter der Orgel stärker entgegenkommt.“

Das Wunder von Gerd Schallers Spiel auf der Eisenbarth-Orgel der ehemaligen Zisterzienserabteikirche Ebrach rührt außer der minutiösen Kenntnis des Instruments und seiner unendlichen klanglichen Möglichkeiten mit seinen vier Manualen (Rekonstruktion der historischen Barockorgel des Würzburger Hoforgelmachers Philipp Seuffert 1742/43 auf den ersten beiden Manualen, romantisches Schwellwerk auf dem dritten und ein Bombardwerk auf dem vierten Manual) und mehr als 800 Pfeifen daher, dass er mit Fantasie und Einfühlung zu registrieren weiß sowie dass er mit raffiniertesten Mischklängen und der Nutzung all dieser gedeckten wie klaren Flöten-, Klarinetten-, Oboen-, Trompeten- und Posaunentönen, im Wesentlichen mit dem spezifischen Klang der Eisenbarth-Orgel, virtuos jonglieren kann.  

In den Tempi flüssig, glasklar in den Strukturen, atemberaubend in den Steigerungen, lernen wir, dass Reduktion auf der einen Seite und eine noch größere opulente Feierlichkeit in den rauschhaften Höhepunkten der Partitur kein Widerspruch sein müssen. Der üppige Raumklang, die audiophile Klangqualität machen das Hören dieser CD zusätzlich zu einem großen, raren Erlebnis.

Das Booklet wartet mit viel Information und farbigen Fotos auf. Nur in einem einzigen Punkt würde ich nachbessern: Für mich ist Gerd Schaller nicht bloß einer der bedeutendsten Bruckner-Interpreten unserer Gegenwart, sondern in all seinen Talenten verbunden mit dem ehrgeizigen enzyklopädischen Ziel seines Projekts BRUCKNER2024 aktuell der wichtigste Bruckner-Deuter überhaupt.

Empfehlung ohne Wenn und Aber!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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