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CD Antoine Reicha: 57 Variationen op. 57 mit Ivan Ilic bei Chandos/

12.12.2020 | cd

CD Antoine Reicha: 57 Variationen op. 57 mit Ivan Ilic bei Chandos/

Präzision des Anschlags

Anton Reicha: Klavierwerke Vol. 3 (CD) – jpc

Die Nähe zu Beethoven ist bei Antoine Reicha verblüffend. Beide galten in Wien als anerkannte Meister. Im Jahre 1785 wurde Reicha Flötist der Kurfürstlichen Kapelle in Bonn, 1808 führte er in Paris komische Opern auf. 1818 wurde er als Nachfolger von Mehul Kompositionslehrer am Conservatoire. Charles Gounod und Cesar Franck gehörten zu seinen Schülern. Er erwarb im Jahre 1829 die französische Staatsbürgerschaft. Der serbisch-amerikanische Pianist Ivan Ilic hat sich der 57 Klaviervariationen op. 57 von Reicha angenommen. Beethoven beschrieb Reicha in einem Brief an seinen Verleger im Jahre 1802 allerdings als einen Komponisten, dessen neue Methode darin bestehe, dass die Fuge keine Fuge mehr sei. In der Allgemeinen musikalischen Zeitung (Breitkopf & Härtel) erhielt Reicha vernichtende Kritiken: „Warum hören die meisten dieser Fugen in einer anderen Tonart auf, als in jener, in welcher sie angefangen?“ Reicha hatte auf diese Vorwürfe eine klare Erwiderung. Jedes Thema könne zum Fugensubjekt werden. Und alle künstlerischen Prozeduren, die in unserem Zeitalter Tonalität und Harmonik bereichern würden, könnten in eine fugale Komposition integriert werden, was der Fuge einen höheren ästhetischen Wert verleihe. „L’Art de varier“ op. 57 von Antoine Reicha erschien dann mit einer Widmung an Fürst Louis-Ferdinand von Preußen. Obwohl der Fürst ihm eine attraktive Stellung angeboten hatte, zog Reicha einen weiteren Aufenthalt in Wien vor. Die deutlichen Bezüge zur Wiener Klassik stellt auch der Pianist Ivan Ilic bei seiner konzentrierten und klanglich fein ausbalancierten Interpretation vor, die vor allem in rhythmischer Hinsicht nie aus dem Gleichgewicht gerät. Dass hier bestimmte Arten von Motiven genau definiert werden, kann man bei dieser gelungenen Wiedergabe stets nachvollziehen. Vor allem die thematischen Verbindungslinien arbeitet Ivan Ilic überzeugend heraus. Insbesondere die romantische Unendlichkeit der Klangwelt ist bei dieser Interpretation deutlich herauszuhören. Bei manchen dieser Variationen stellt sich auch technische Bravour ein. Das aus zwei Perioden bestehende Thema entwickelt sich ausgesprochen erfrischend und originell, was Ivan Ilic mit einfühlsamer Anschlagspräzision unterstreicht. Die komplizierten und polyphonen Momente kommen jedenfalls deutlich zum Vorschein. Auch die dynamischen Dur-Moll-Kontraste erfasst Ilic ausgezeichnet. Außerdem halten sich die Mehrzahl der Variationen op. 57 genau an die Form – und Ivan Ilic gerät bei seiner formvollendeten Wiedergabe auch nie aus dem dynamischen Gleichgewicht. Zwischen zwei-, drei-, oder vierstimmiger Polyphonie steht das Thema in der einen oder anderen Stimme. Vorschläge, Triller und Praller werden so eingesetzt, dass sie zum Klangfarbenreichtum dieses prägnanten Werkes beitragen, was Ivan Ilic konzentriert unterstreicht. Dass Antoine Reicha ein Vorläufer von Chopin und Liszt war, zeigt sich bei der insgesamt transparenten Aufnahme mit Ivan Ilic immer wieder. Taktart- oder Tempowechsel werden überaus flüssig verdeutlicht, wobei die doppelten Oktavsprünge in der Variation Nr. 17 hervorstechen. Die Verfeinerung der Melodie durch arpeggierte Akkorde beweisen Ilics pianistische Intelligenz einmal mehr. In der Variation Nr. 8 gelingt es dem Pianisten, das melodische Strömen und den Strahlglanz dieser Musik hervorzuheben. All dies geschieht jedoch behutsam, zuweilen fast schon philosophisch. Es ist ein intensives Nachdenken über Musik. Ein klanglicher Höhepunkt ist hier in jedem Fall die Variation Nr. 44, wo beide Hände zugleich in die Höhe und die Tiefe rasen. Gewaltiges Pathos besitzt dann die 57. Variation als rasantes Presto in f-Moll, denn in unheimlicher Geschwindigkeit offenbaren sich dabei Achteloktaven.     

Alexander Walther

 

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