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CD ANTAL DORÁTI „DER KÜNDER“ – Oper in drei Akten nach dem Mysterienspiel Elija von Martin Buber; Orfeo

26.05.2022 | cd

CD ANTAL DORÁTI „DER KÜNDER“ – Oper in drei Akten nach dem Mysterienspiel Elija von Martin Buber; Orfeo

Weltersteinspielung mit Tomasz Konieczny und Michael Schade

cvo

Sein Vermächtnis auf Schallplatten ist enorm, facettenreich und meist tontechnisch brillant. Der ungarische Dirigent Antal Doráti, 1933 in die USA ausgewandert und dort eingebürgert. hat besonders mit dem Minneapolis Symphony Orchestra, dem London Symphony Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra, der Philharmonia Hungarica, dem Detroit Symphony Orchestra, dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, aber auch mit den Wiener Philharmonikern und den Wiener Symphonikern unzählige Werke des weiten klassischen Konzert Repertoires auf hohem Niveau eingespielt. Viele von ihnen haben Kultcharakter. So etwa die Aufnahme aller Haydn-Symphonien mit der Philharmonia Hungarica, von mehreren Haydn-Opern in legendären Besetzungen bei Philips oder der wichtigsten Oratorien und Chorwerke Haydns für die Londoner DECCA.

Dirigent Martin Fischer-Dieskau interessiert sich schon seit Längerem für das kompositorische Schaffen des Antal Doráti. So hat er schon 1993 für das Label BIS „Jesus oder Barabbas?“, ein Melodram für Sprecher, Chor und Orchester nach einer Erzählung von Frigyes Karinthy aufgenommen. Nun folgt Dorátis Opus Magnum „Der Künder“ aus dem Jahr 1984 nach, aufgenommen mit dem Beethoven Academy Orchestra und dem Teatr Wielki Chor im TV-Studio Krakau im August 2021 mit einer prominenten Besetzung.

Doráti bezeichnete das Werk als Oper, wenngleich es wesentliche Elemente eines geistlichen Oratoriums in der Nachfolge von Mendelssohns „Elias“, Kurt Weills „Weg der Verheißung“, Paul Dessaus „Hagadah shel Pessach“ oder Arnold Schönbergs Jacobsleiter“ bzw. „Moses und Aron“ aufweist. Stilistisch liegt die Musik mit einer durchaus eigenen Charakteristik irgendwo zwischen dem eher romantisch patriotischen Ernö Dohnányi und der folkloristisch geprägten Schule eines Bartók oder Kodály mit amerikanischen Einsprengseln. Inhaltlich konzentriert sich die Oper ganz auf das Zentrum jüdischen Selbstverständnisses, das Gott als den einen und einzigen preist, den Israel „mit seinem ganzen Herzen, seiner ganzen Seele und seiner ganzen Kraft lieben sollte.  

Der imaginäre Vorhang hebt sich: Es herrscht Dürre in Sidon, Tyros und Samaria. Die Menge schreit nach Regen. Plötzlich fließt Öl und die Blumen blühen wieder. Alle Kreatur dankt dem Schöpfer. Elia hat nun verstanden, wie er die Menschen zu Gott führen kann. Als Banditen das Kind und Vorräte stehlen, und der Bub an den Folgen von Schlägen stirbt, wird er von Elia wieder zum Leben erweckt. Im zweiten Akt sehen wir König Ahab und Ysebel, die Hure von Tyros, als Liebespaar. Sie will für ihre Dienste Land uns Nabots Weingut. Als Nabot sich weigert, das Gut der Ahnen herzugeben, lässt ihn der König töten.

Auf dem Berg Carmel opfert das Volk sowohl dem Baal als auch Yehova. Einem orgiastischen Tanz für Baal setzt Elias den Bau eines Altars gegenüber. Auf jeden Fall kommt jetzt endlich der Regen. König Ahab reklamiert das für sich. Im dritten Akt kümmern sich die Bauern wieder um Felder und Ernte. Die Anmaßung und der Mord Ahabs bewirkt, dass der junge Elisha darüber nachdenkt, ob alle Menschen machthungrig seien wie Könige. Die „Stimme“ sagt Elias, er müsse Elisha mit einer Mission beauftragen. Als Ahab gegen den aramäischen König Aram in den Krieg zieht, berichtet Elisha von seiner Vision, der israelische König würde dabei sterben. Dafür wandert er einmal ins Gefängnis. Ahab wird tatsächlich schwer verwundet, erinnert sich an das Davidslied „Der Herr ist mein Hirte“ und stirbt. Elisha gegenüber bezeugt Elias seine Sympathie für die Schwachen und Elenden. Die „Stimme“ verkündet, Elias möge den Feuerwagen besteigen und gen Himmel fahren. Bei diesem Wunder danken die Gläubigen Gott. Ende.

Martin Buber, jüdischer Religionsforscher, Religionsphilosoph, Bibelübersetzer und Brückenbauer zum Christentum, hat sein Mysterienspiel „Elias oder eine Ahnung der Unsterblichkeit“ mit mehr als 40 Einzelrollen Mitte der 50-er Jahre geschrieben. Doráti hat den Text stark gekürzt. Auch er hat seine Oper nie auf der Bühne realisiert, aber kurz vor seinem Tod 1988 seinem einstigen Assistenten beim Detroit Symphony Orchestra Martin Fischer-Dieskau die Uraufführung seiner einzigen Oper an.

Die Begegnung des Menschen mit Gott, die Ermahnung zur Übernahme von Verantwortung sind Schlüsselbegriffe zum Verständnis.  In „Der Künder“ finden Gott und Mensch einander als Gesprächspartner. Der Dialog ist auch unsere Grundlage des Zusammenseins, des Austausches. Zuhören und Mitteilen sind nicht zuletzt Basis von Toleranz, Kunst und Musik.

Die wichtigsten in der Oper angesprochenen existenziellen Fragen sind frappant gegenwärtig: Der Kampf um bzw. der Verschütt von zivilisatorischen Errungenschaften, die Sorge um Nahrung, das Dilemma des heutigen Menschen in Zeiten von Krieg, Seuchen und umwälzenden Transformationen, der Gegensatz transzendenter Kraft zur menschenverachtenden, tödlichen Machtgier.

In der Musik erreicht Doráti in den sinfonischen Zwischenspielen die intensivsten Momente. Ganz am Beispiel eines spettacolo sinfonico scenico überantwortet der Komponist wichtige Schlüsselszenen der Oper alleine dem Orchester: Den Raubüberfall samt Entführung des Kindes, den Altarbau, das Baalopfer, die Himmelfahrt im Feuerwagen. Von der Schönheit der Inspiration und Expressivität her können es diese Intermezzi mit den Kreationen eines Pfitzner („Palestrina“) aufnehmen.

In den solistischen oder chorischen Vokalszenen dominieren rhythmisierte Sprechgesänge und Deklamation à la Carl Orff mit hochdramatischen Kulminationspunkten in der Klangästhetik der Spätromantik. 

Der Ziegenhirt Elia wird von Tomasz Konieczny mit seinem prächtigen Heldenbariton verkörpert. Sonor und mit natürlicher Autorität spricht und betet dieser Elia mit dem Blick auf das Wohl aller. Michael Schade leiht mit markanter Zeichnung dem Herrscher Ahab seinen dramatischen Tenor. Manch hohe Lage befindet sich jedoch schon außerhalb der Komfortzone des Sängers und unserer Ohren. Die israelische Mezzosopranistin Rachel Frenkel als Ysebel begeistert vom schieren Stimmvolumen als auch der Magie einer großen Persönlichkeit her. Der Tenor Ron Silberstein rührt als Bauernbursche Elisha, Mi-Young Kim verkörpert die Bauersfrau Tanit und Yuval Oren das Kind. In mehreren kleineren Rollen sind Marek Gasztecki, Joo-Hoon Shin und Makra Pihura zu hören.

Dem Dirigenten Martin Fischer-Dieskau verdanken wir nun die insgesamt hochkarätige Einspielung. Sein umfassender künstlerischer Einsatz ist bewundernswert. Er sorgt mit dem elementar orgelnden Teatr Wielki Chor und dem bestens vorbereiteten Beethoven Academy Orchester dafür, dass dieses kolossal wichtige Werk des 20. Jahrhunderts gehört als auch der tonschöpferische Genius von Antal Doráti adäquat gewürdigt werden kann. Empfehlung!

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=3hs-tMRBC9o

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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