CD “ANIMA AETERNA” – JAKUB JÓSEF ORLINSKI singt Arien aus geistlichen Kompositionen von Zelenka, Fux, de Almeida, Nucci, Manna und Händel; Erato
Gelungene Fortführung des ersten Soloalbums des polnischen Countertenors Orlinski “Anima Sacra”, auch diesmal mit Weltpremieren
“Anima Aeterna” bedeutet “ewige Seele”, und diese ewige Seele bedeutet für mich Natur, etwas Starkes und Nachhaltiges – lebendig, wild und gefährlich, aber auch ruhig, hypnotisierend, schön und heilend.” Jakob Jósef Orlinski
Jakob Jósef Orlinski ist einer der individuellsten und interessantesten Countertenöre der jüngeren Generation, jedenfalls derjenige mit dem verführerischsten und rundesten Timbre. In irgend eine geordnete Ecke lässt er sich genau so wenig stellen wie auf dümmliche Klischees reduzieren. Sei es als viril akrobatischer Breakdancer (Sehen und staunen Sie: https://www.youtube.com/watch?v=PJNJJuprwzU) oder auf der Bühne mit sinnlicher Stimme und als stets natürlich wirkender, spielfreudiger Bühnenakteur, da ist jemand am Werk, der immer wieder frisch in die Welt zu ziehen scheint, voller Neugier, Zuversicht und positiver Energie. Orlinski ist ein toller bodenständiger Typ, mit dem man gerne auf ein Bier geht/gehen würde.
Dass Orlinski auch markttechnisch am Sängerolymp angekommen ist, belegen zwei seiner nächsten Engagements: Im November 2021 wird er Orpheus’s Double in der Oper “Euridice” vom Matthew Aucoin an der MET verkörpern, im Jänner und Februar 2022 wird Orlinski den Didymus in Händels Oratorium “Theodora” am Royal Opera House Covent Garden in London singen. Dazu passt, dass er jetzt unter tatkräftiger Beratung durch den Musikforscher Yannick Francois sein zweites Album mit geistlicher Vokalmusik aus dem Barock vorlegt.
Der Bogen, der programmatisch auf dem neuen Album gespannt wird, ist ein weiter. Von Motetten (“Barbara, dira, effera” ZWV 164, “Laetatus sum“ ZWV 90 des Jan Dismas Zelenka, einer Arie aus Johann Joseph Fux’ Oratorium “Il Fonte della salute, aperto dalla Grazia nel Calvario” über Francisco António de Almeidas “Oratorium “La Giuditta” bis hin zu zwei Weltersteinspielungen der Italiener Bartolomeo Nucci (Arie aus dem Oratorium “Il Davide trionfante”) und Gennaro Manna (“Laudate pueri) hin zu einem raren „Antiphon in d-Moll – Alleluja Amen” HWV 269 von Georg Friedrich Händel. In der Motette “Laetatus zum” von Zelenka für Sopran, Alt und Orchester wird er vom leuchtkräftig seraphischen Sopran der jungen Fatma Said unterstützt. Sie singt sogar das dreigestrichene D zu Beginn der Sopran Arie brillant und obertonreich, die Koloraturen kommen gestochen scharf, und einen langen Atem hat sie auch, wie an dem auf das Wort ‚pacem‘ über neun Takte lang gehaltenen Ton zu konstatieren ist.
Bei der Suche nach Stücken für die CD “Anima Sacra” sind Yannick Francois und Orlinski auf so viel qualitätsvolle wie emotional vielfältig ansprechende Kompositionen gestoßen, dass klar war, das alles passt nicht auf ein Album. Ein zweites Projekt war damit geboren. Die Nummern des vorliegenden Albums reichen von 1716 (Fux) bis 1747 (Händel), die von “Anima Sacra” liegen zwischen 1709-1750. Allerdings war es den beiden “Programmierern” des Albums wichtig, dass sich Bezüge von der ersten zur zweiten mit geistlicher Musik gefüllten CD herstellen lassen, aber dennoch verschiedene Charakteristiken barocken Schaffens angesprochen werden. So beschlossen Orlinski und Francois, das musikalische Universum des böhmischen Komponisten Jan Dismas Zelenka, der einen Gutteil seines Lebens in Dresden zubrachte, u.a. mit seiner berühmtesten Motette “Barbara, dira, effera” (für den Kastraten Domenico Annibali geschrieben) weiter zu erkunden. Aber auch Fragen der Instrumentierung waren ein Kriterium der Auswahl. So hat die Kriegstrompete in Davids Arie, das beim Kampf gegen den Riesen Goliath im Oratorium “Il David trionfante” die Funktion, die Gefahr zu wenden. Das Werk stammt vom Komponisten Bartolomeo Nucci. Francois hat die Handschrift des völlig unbekannten Tonsetzers aus Pescia in Kalifornien entdeckt. Der portugiesische Komponist Francisco António de Almeida überrascht mit der berührenden Anrufung an Gott “Giusto Dio” in bester neapolitanischer Manier.
Orlinski interpretiert die unterschiedlichen Arien der mit über 80 Minuten Spieldauer großzügig bestückten CD in all ihrer spirituellen Tiefe wie enormen emotionalen Bandbreite. Meister eines ruhig strömenden, sul fiato gesungenen Legatos ebenso wie virtuoser Läufe und Verzierungen, opfert Orlinksi nie den natürlichen Fluss seiner klangschönen Stimme irgendwelchen manierierten Effekten. Bewundernswert ist auch Orlinskis Registerausgleich als Teil einer vollendeten Gesangstechnik, die bruchlos alle Übergänge meistert, und die Stimme so natürlich klingen lässt, als wäre barocker Kunstgesang die einfachste Sache der Welt.
Begleitet wird Orlinski von einem der wohl besten Barockorchester der Jetztzeit, nämlich “Il Pomo d’Oro” unter der rhythmisch akzentuierten wie spannungsvollen Leitung von Francesco Corti.
Uneingeschränkte Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger