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CD ANDREAS SCHOLL: INVOCAZIONI MARIANE – mit Musik von Anfossi, Pergolesi, Porpora, Vinci und Vivaldi; naïve

04.03.2024 | cd

CD ANDREAS SCHOLL: INVOCAZIONI MARIANE – mit Musik von Anfossi, Pergolesi, Porpora, Vinci und Vivaldi; naïve

Alessandro Tampieri dirigiert von der ersten Geige aus die Accademia Bizantina

spank

Countertenöre sind gefragt, freilich nur die besten und außergewöhnlichsten unter ihnen. Während der junge Pole Jakub Orlinski, der aktuell in legendären Konzertsälen wie der Berliner Philharmonie oder dem Wiener Konzerthaus mit unglaublich schöner und sicher geführter Stimme gleichwie sympathisch burschikosem Auftritt für Furore sorgt und demnächst mit der Veröffentlichung von Christoph Willibald Gluck „Orfeo ed Euridice“ (Erato) in der Titelrolle für Aufsehen auf Tonträger sorgen wird, gibt es auf der anderen Seite des Spektrums mit Andreas Scholl einen nicht minder lupenreinen Countertenor zu bewundern.

Als nach wie vor unglaublich frisch klingender wie luxuriös timbrierter Senior seines Fachs, hat der knapp 57-Jährige soeben noch mit geistlicher Vokalmusik von Frantisek Tuma mit dem Czech Ensemble Baroque unter Roman Valek (Aparte) aufhorchen lassen. Nun erscheint sein neuestes Album mit vorwiegend neapolitanischer Marienmusik als Labeldebüt bei naive.

Beide Sänger haben gemeinsam, dass sie Vivaldis „Stabat mater“ bereits eingespielt haben. Scholl erstmals 1995 mit dem Ensemble 415, geleitet von Chiara Banchini sowie zum Zweiten 2017 mit dem Salzburger Bachchor, dem Bach Consort Wien unter Ruben Dubrovsky, live aus der Basilika Stift Kosterneuburg. Jakub Józef Orlinski musizierte Vivaldis neunsätzigen geistlichen Hit mit der Capella Cracoviensis unter der musikalischen Leitung von Jan Tomasz Adamus mit der Besonderheit, dass er die Musik durch den Regisseur Sebastian Pancyk mit sich selbst als Hauptdarsteller visualisieren ließ.

Nun also ist Vivaldis „Stabat Mater“ mit Andreas Scholl, die „Dritte“, ebenfalls mit „eingefleischten“ Partnern, am Zug. Die Zusammenarbeit des Andreas Scholl mit der Accademia Bizantina ist seit zwei Jahrzehnten eine vertrauensvolle wie künstlerisch profunde. Auf dem neuen Album mischt sich, wie so oft von diesem herausragenden Gesangsvirtuosen mit seiner ausgesprochen poetischen Ader programmiert, Bekanntes und Unbekanntem aus musikalischem Interesse. Diesmal gibt es vorwiegend neapolitanische Titel mit einem inhaltlichen Bezug zur Jungfrau und Gottesmutter Maria zu hören. Im katholischen Leben als eine Art tröstliche Ko-Erlöserin betrachtet, haben Maler, bildende Künstler und Komponisten aller Zeiten der Mutter Jesu inspirierteste Werke gewidmet. Besonders im 18. Jahrhundert versuchten Komponisten, alle Register ihrer Kunst zu ziehen, um dem Leben Marias, ihrem Schmerz, ihrer Trauer um den gekreuzigten Sohn in rhetorischer Expressivität und harmonischer Kühnheit gerecht zu werden.

Da die neapolitanischen Tonsetzer barocker Provenienz mit ihrer unversiegbaren melodiösen Invention ihre religiösen Gefühle verständlich und unmittelbar zugänglich für alle Welt auszudrücken wussten, fügte sich diese Gabe mit ihrer kompositorisch technischen Meisterschaft (Kontrapunkt) in spielerischer Leichtigkeit zu einem faszinierenden Ganzen. In den Arien scheint von den musikalischen Ausdrucksmitteln her der Übergang zur Oper fließend.

Dass hier ein Countertenor in die Rolle der Maria schlüpft, ist nichts Neues und aus der Zeit der Entstehung heraus zu begreifen, wo diese Parts von Kastraten gesungen wurden. Andreas Scholl: „Ich bemühe mich, die Menschlichkeit vor das Geschlecht zu stellen und ich interpretiere die Rolle der Maria mit der größten Aufrichtigkeit, ohne den geringsten Begriff von ›Travestie‹. Liebe, Verzweiflung und Schmerz transzendieren den Begriff des Geschlechts.“

Das Album wartet neben berückend schönen Arien aus Oratorien von Nicola Porpora oder Leonardo Vinci noch mit Beispielen reiner Instrumentalmusik, wie dem Violinkonzert in B-Dur von G. B. Pergolesi mit Tampieri als wunderbar musikantisch aufgeigenden Solisten auf. Besonderes Interesse verdient das kaum bekannte „Salve Regina“ von Pasquale Anfossi, das in seiner Anmut schon auf den galanten Stil und die Charakteristika des Klassizismus verweist.

Andreas Scholl stellt seinen himmlisch puren, reich timbrierten Countertenor mit großer Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit im Vortrag sowie hoher Konzentration ganz in den Dienst der mystischen Texte und der darin ausgedrückten Emotionen. Das Halten dieser goldenen Balance zwischen Verinnerlichung und elegantem Virtuosentum macht ihm so bald keiner nach.

  • Antonio Vivaldi: Stabat Mater f-moll RV 621
  • Giovanni Battista Pergolesi: Violinkonzert B-Dur
  • Nicola Porpora: Il trionfo della divina giustizia ne‘ tormente e morte di Gesú Cristo
  • Leonardo Vinci: Oratorio Maria dolorata
  • Pasquale Anfossi: Salve Regina

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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