CD ANDRÉ SCHUEN „MOZART“; Deutsche Grammophon
„Für mich bot Salzburg eine einmalige Verbindung von Heimatgefühl und Weltoffenheit!“ André Schuen
Veröffentlichung: 4.7.2025
Der Südtiroler Bariton Schuen und Mozarts Vokalmusik sind füreinander bestimmt. Dem Salzburger Meister verdankt Schuen einige seiner „signature“-Partien, wobei vor allem die testosterongeladene Titelfigur zu „Don Giovanni“, der rebellische Figaro, der herrisch-lüsterne Graf aus „Le nozze di Figaro“ und der draufgängerische, sich seiner männlichen Attraktivität bewusste Guglielmo aus „Così fan tutte“ Publikum wie Kritik begeistert haben.
Nach Anfängen in Graz war es vor allem der 84-jährige Nikolaus Harnoncourt, der den jungen Bariton 2014 ins Theater an der Wien bat, um ihn in semikonzertanten Aufführungen aller drei Da Ponte Opern mit Schlüsselrollen (Figaro, Don Giovanni, Guglielmo) zu betrauen. Video-Produktionen dieser Serie mit umfangreichem Bonus-Material zu den Proben, vor allem die Interpretation der Rezitative betreffend, in Harnoncourts Wohnung bezeugten schon damals die technische Reife, die psychologisch ausgefeilte Rollengestaltung und die Musikalität des Sängers.
Seither hat Schuen landauf landab Mozart gesungen: Teodor Currentzis holte ihn für Don Giovanni, in Wien und in Salzburg hat er mit Mozart reüssiert, u.a. in einem Konzert vom 21.11.204 im Großen Saal des Mozarteums mit einem Programm, das sich in Teilen mit demjenigen des neuen Album deckt. In diesem Juli wird André Schuen in einer neuen Produktion Don Giovanni beim Festival d‘Aix-en Provence mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der musikalischen Leitung von Sir Simion Rattle sein.
Mozart gehört sicher zu den Komponisten, mit denen sich Schuen am intensivsten befasst und dessen Partituren er am häufigsten Leben eingehaucht hat. Aber Schuen ist ja nicht „nur“ Opernsänger, sondern auch ein begnadeter Lied-Interpret. Seine Platten von Schuberts „Die schöne Müllerin“, „Winterreise“ und „Schwanengesang“ für das Gelblabel gehören ungeachtet der riesigen Konkurrenz zu den Katalogspitzen. Er tritt damit in die Fußstapfen berühmter Vorgänger wie George London, Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey oder Thomas Hampson.
Auf dem neuen Album „Mozart“ kommen in dieser Logik nicht nur Arien und Duette (mit der lyrischen Sopranistin Nikola Hillebrand) aus „Le nozze di Figaro“, „Die Zauberflöte“ und „Don Giovanni“ zu Ehren. André Schuen stellt zudem die seltener zu hörenden Konzertarien „Mentre ti lascio, KV 513, „Rivolgete a lui lo sguardo“, KV 584 und – besonders interessant – die von Daniel Heide auf dem Klavier bzw. Fortepiano mitgestalteten Lieder „Abendempfindung“, KV 523, „Das Traumbild“, KV 530, „Komm, liebe Zither, komm“, KV 351/367b (begleitet von Avi Avital auf der Mandoline) sowie die Kantate „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“ vor.
Abwechlungsreichum, der genius loci Salzburg, vom Mozarteumorchester unter der Stabführung des Geigers und Chefdirigenten Roberto González-Monjas symbolträchtig garantiert, Biografisches (bereits 2004 gab Schuen sein Debüt an der Salzach, Figaro war seine Diplomfigur am Mozarteum, 2009 lernte er Daniel Heide beim Abschlusskonzert der Sommerakademie Mozarteum kennen) sowie programmatisch/thematische Querverbindungen sind die Ingredienzien, die dieses Album aus der Flut an Mozart-Publikationen bemerkenswert hervorheben. Eine „persönliche Reise mit Mozart“ ist es geworden, gibt Schuen zu Protokoll.
Die virile Baritonstimme ist mittlerweile schwerer, dunkler und voluminöser geworden. Da hat sich im Laufe der Zeit ein heldisches „George-London-Element“ in die lyrische Traumstimme geschlichen. Mit dem Ergebnis, dass Schuens Figaro ein wenig von der Autorität des Grafen abbekommen hat und der Leporello keineswegs als submissiver Diener des charakterlich abgetakelten Don Giovanni auftritt.
Der Liedsänger Schuen hingegen badet in poetischer Feinzeichnung, jegliche Phrase dynamisch differenziert und subtil textadäquat ausleuchtend. Am Beispiel des zu Zeiten des „Don Giovanni“ entstandenen Lieds „Abendempfindung“, in dem der Sänger in weit gespannten Legatobögen der wehmütigen Melancholie vergangener Liebe und morbiden Gedanken von Todessehnsucht nachhängt, ist Schuens unmittelbar empfundene Liedgestaltung auf den Punkt gebracht. In der ebenfalls 1787 entstandenen Konzertarie „Mentre ti lascio, o figlia“ entledigt sich Schuen als Vater seiner Trauer und Bedrücktheit anlässlich des Abschieds von der Tochter mit expressiver Gestik und dramatischen Höhen.
Als besondere Rarität hat sich Schuen die achtminütige Freimaurer-Kantate „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“, KV 619 aus dem Jahr 1791 vorgeknöpft. In dem für den Kaufmann, Reformpädagogen und sozialen Utopisten Franz Heinrich Ziegenhagen geschriebenen Stück ist in Zauberflötenmanier von brüderlichen Tugenden, Ordnung, Ebenmaß, Weisheit und des Lebens wahrem Glück die erbauliche Rede.
Die leidenschaftliche Buffa-Konzertarie „Rivolgete a lui lo sguardo“ aus dem Jahr 1789 war ursprünglich als Arie für Guglielmo in „Cosi fan tutte“ vorgesehen. Der Tonumfang der Arie verlangt dem Interpreten sowohl ein tiefes G2 als auch ein F#4 ab. André Schuen zieht hier alle komödiantischen Register, um keine Zweifel über die Treue der Geliebten aufkommen zu lassen. Ein Orlando der Liebe wäre nichts im Vergleich zu ihm…
„Mozart“ ist ein wunderbares Album geworden, das die obertonreiche, tizianfarbene Stimme des Sängers auf dem Gipfel seines Könnens verewigt. Aber es markiert vielleicht auch einen kleinen Abschied. Die sämig-kernige Stimmfülle und die durchschlagenden Höhen lassen künftige dramatischere Rollen erahnen. So wird Schuen in diesem Herbst den Ford in Verdis „Falstaff“ an der Staatsoper Unter den Linden singen, eine Rolle, die er schon während seiner Anfänge in Graz erarbeitet hat. Für März 2026 ist Schuens Rollendebüt als Posa in Verdis „Don Carlo“ avisiert, ebenfalls in Berlin (Deutsche Oper). Als weitere Wunschrollen hat der Sänger in Interviews Golaud in „Pelléas et Mélisande“ und die Titelrolle in Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ genannt. Man darf gespannt sein.
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Dr. Ingobert Waltenberger