CD „ANDERSWELT“ – Mensch & Lied; MARLIS PETERSEN, Camillo Radicke Klavier – Zweiter Teil der Lied-Trilogie „Dimensionen“ Solo Musica
„Salamander soll glühen, Undine sich winden, Sylphe verschwinden, Kobold sich mühen. Wer sie nicht kennte, die Elemente, ihre Kraft und Eigenschaft, wäre kein Meister über die Geister“ aus Goethes Faust
Auf ihrer programmatisch ausgetüftelt lauschigen Reise durch das romantische Liedgut lässt uns die Sopranistin Marlis Petersen den Naturgeistern und Elementarwesen im ‚Zwischenland‘ lauschen. Mit kindlichem Entzücken und voller Schalk im Nacken darf sich der Hörer in die Welt der Feen, Elfen, Sylphen, Trolle, Gnome, Kobolde, Nixen, Nymphen, Wasserlilien, Devas, Geister, Irrlichter und Wichtel träumen. Marlis Petersen und ihr kongenialer Pianist Camillo Radicke beschreiben im Booklet selbst wort- und fantasiereich ihre Absichten zum Aufnahmeprojekt Dimensionen:„ Das eigene Sein in der Welt in allen Facetten mit offenen Augen zu sehen, die Anderswelt zu entdecken und ein Schwätzchen mit einer Elfe unter dem nächsten Feigenbaum zu wagen oder die Augen zu schließen und die Seele unbewacht in der menschlichen Innenwelt fliegen zu lassen, das ist unser Wunsch für diese musikalische Reise: Im Lied wieder Mensch zu sein und die Augen und Ohren und das Herz für unsere grandiose Welt zu öffnen.“
Dieser positive Wunsch einer lyrischen-phantastischen Verzauberung durch einen weiten Blick auf das Geheimnisvolle und dazu ein neugieriges Ohr ist nicht nur höchst sympathisch, sondern auch nötig in einer oft rigiden auf Nutzen getrimmten Welt. In der (Früh)Romantik wollten viele großen Dichter bewusst einen Kontrapunkt zur nüchternen Ratio, der Vernunft der Aufklärung und folglich deren Beschränkungen vom Einbildungskraft und Wahrnehmung setzen. Bald entdeckten Komponisten, dass sich das Unbeschreibliche, das Märchenhafte und atmosphärisch Flüchtige dieser Poesie hervorragend in Klang setzen lässt. Schilfnixen im Mondschein, ein mit Macht von Meer und Erd und Himmelspracht singende Nöck, um Mitternacht auf Wiesen unter Erlen einen Traum tanzende Elfen im Licht der Sternenkerzen: Das sind die Stoffe, die Komponisten wie Edvard Grieg, Hermann Reutter, Carl Loewe, Max Reger, Bruno Walter, Johannes Brahms, aber auch Hugo Wolf, Friedrich Gulda, Franz Schreker oder Alexander Zemlinsky inspiriert hat. Ein Kapitel der CD ist den „Nordlichtern“ gewidmet. Carl Nielsen, Christian Sinding, Wilhelm Stenhammer, Yrjö Henrik Kilpinen und Sigvaldi Kaldalóns sind hier die Topsetzer, die sich Marlis Petersen zu Gefährten ihres Unterfangens gewählt hat. Die anderen Lieder sind ebenfalls in Gruppen zusammengefasst mit den selbsterklärenden Titeln „Nixen und Nöck“, „Elfen I“ und „Elfen II“.
Marlis Petersen hat eine beachtliche Entwicklung vom lyrischen Sopran zur dramatischen Koloratur hinter sich und steuert jetzt offenbar das jugendlich dramatische Fach an. Die Sängerin wird nämlich in der Saison 2018/2019 an der Bayerischen Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko erstmals die Salome singen, die Premiere ist für den 27. Juni 2019 anberaumt.
Petersen pflegt mit ihrer Rollenwahl überhaupt eine große fachübergreifende Bandbreite von der Violetta zur Marietta, der Lulu bis hin zur Hanna Glawari und diversen Rollenporträts in Belcanto- und Barockopern. Dass Petersen eine genuine Opernsängerin ist, ist auch ihrer Interpretation von Liedern anzuhören. Das ist kein Nachteil, weil die verträumten musikalischen Kleinode dadurch vielfarbige dramatisch-erzählerische Impulse erhalten. Eine präzise Textbehandlung, die Verknüpfung aus musikalischer Intuition und Sinndeutung der Worte ergeben das Besondere, das Marlis Petersens Liedkunst so unvergleichlich macht.
Auf dem Cover scheint die lilahaargesträhnte Sängerin wie eine Nixe aus einem moosbewachsenen Waldboden aufzutauchen, den Geheimnissen der Schöpfung auf der sachten Spur. Man kann bei diesem Album die Idee mögen und/oder die Musik. Mir reicht schon die Musik, mit Esoterik habe ich eigentlich nichts am Hut. Das zauberhafte und stilistisch so vielseitige Album ist aus meiner Sicht auch ein Tipp für Kinder, denen man freilich vor dem Anhören die Texte nahebringen sollte.
Dr. Ingobert Waltenberger