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CD: AMILCARE PONCHIELLI: I LITUAnI • Lietuvos nacionalinis simfoninis orkestras, Modestas Pitrėnas

11.06.2025 | cd

CD: AMILCARE PONCHIELLI: I LITUAnI • Lietuvos nacionalinis simfoninis orkestras, Modestas Pitrėnas

Eine interessante Entdeckung

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Der Lombarde Amilcare Ponchielli (1834-1886) gehört zum Kreis jener Komponisten, wie zum Beispiel auch Georges Bizet, von denen man heute, obwohl sie deutlich mehr komponiert haben, nur ein Werk kennt. Im Falle Ponchiellis ist dies «La Gioconda» (op.9, 08.04.1876, Teatro alla Scala). Ponchielli erwies sich als grosses Talent und absolvierte bereits im Alter von neuen Jahren die Aufnahmeprüfung für das Mailänder Konservatorium. Mit Zwanzig beendete er seine Ausbildung und wechselte als Maestro sostituto (zweiter Kapellmeister) ans Teatro della Concordia und Organist der Kirche Sant’Imerio nach Cremona. Aus dieser Zeit datieren seine ersten Kompositionen. Am 30. August 1856 erlebte sein Opus 2 und erst vollständige Oper «I promessi sposi» seine Uraufführung. Bei der Besetzung der Professur für Kontrapunkt am Mailänder Konservatorium musste Ponchielli trotz eines gewonnenen Wettbewerbs im Jahre 1865 Franco Faccio den Vortritt lassen. Die dadurch ausgelöste Schaffenspause endete erst mit der grundlegenden Überarbeitung von «I promessi sposi» und deren erfolgreicher Uraufführung (04.12.1872, Teatro Dal Verme, Mailand). Danach erhielt Ponchielli von Giulio Ricordi die Scrittura zu «I Lituani». Den Hinweis auf die literarische Vorlage, das Epos «Konrad Wallenrod» (1827) von Adam Bernard Mickiewicz (1798-1855), einem der Drei Barden der polnischen Romantik und Protagonisten im Kampf des durch Russen, Preußen und Österreicher besetzten Polen um Freiheit und Unabhängigkeit, erhielt der Komponist vom Mailänder Schriftsteller Salvatore Farina (1846-1918; Mitglied der Scapagliatura). Im März 1873 begann Antonio Ghislanzoni (1824-1893) mit der Arbeit am Libretto; bereits Ende des Jahres hatte Ponchielli die Instrumentierung abgeschlossen. Die kühl aufgenommene Uraufführung am 07.03.1874 dirigierte Franco Faccio (1840-1891). Während der Komposition der Gioconda arbeitete Ponchielli an der überarbeiteten Fassung von «I Lituani».

Die Handlung, aufgeteilt in einen Prolog und drei zehn Jahre später spielende Akte, ereignet sich im späten 14. Jahrhundert in Litauen und um die Marienburg (heute Woiwodschaft Pommern in Pommern; historische Landschaft Preussen).

Nachdem der deutsche Orden weite Teile Litauens verwüstet hat, beklagt der Barde Albano (Tadas Girininkas mit ehrfurchtsgebietendem Bass) das Elend seiner in Schutt und Asche liegenden Heimat. Die litauische Prinzessin Aldona (Jūratė Švedaitė-Waller mit klarem, substanzreichem Sopran) bangt um das Leben ihres Bruders Arnoldo (Modestas Sedlevičius mit souverän geführtem Bariton) und ihres Gatten Walter (Kristian Benedikt mit kräftigem, heldisch anmutenden, streckenweise leicht verschattet klingendem Tenor), die in den Krieg gezogen sind. Von den Schlachtfeldern heimkehrend berichten sie vom Verrat des Herolds Vitoldo (Arūnas Malikėnas mitkräftigem, dunkel timbriertem Bariton), der zur Niederlage des litauischen Heeres geführt hat und die Sicherheit ihrer Festung gefährdet: er ist zum Deutschen Orden übergelaufen. Walter fasst einen Plan, in den er nur Albano einweiht. Bevor er zur Rache der Seinen aufbricht, schwört er seiner Frau ewige Liebe.

Zehn Jahre später feiern die Ritter des deutschen Ordens ihren neuen Hochmeister Corrado Wallenrod. Nur Vitoldo misstraut Corrado, der niemand anderes ist als Walter. Die litauischen Gefangenen werden vorgeführt: Vitoldo fordert ihre Hinrichtung, Walter aber gelingt ihre Rettung. Ein Litauer bleibt zurück: Es ist Arnoldo, der im frisch gewählten Hochmeister seinen Schwager erkannt hat. Aldona ist als Pilgerin verkleidet nach Marienburg gekommen, um nach ihrem Gatten zu suchen. Ihr Bruder berichtet ihr, dieser sei wohlauf, aber zum Feinde übergelaufen. Gemeinsam mit ihrem Bruder Arnoldo schwört sie die Heimat zu verteidigen.

Auf dem Fest, das zu seinen Ehren im Schloss stattfindet, wünscht Corrado einen Barden zu hören. Die verkleideten Aldona und Arnoldo berichten von der Zerstörung Litauens. Als die empörten Gäste deren Hinrichtung verlangen, geht Aldona dazwischen: Corrado erkennt nun seine Verwandten und ordnet an, dass diese seine persönlichen Gefangenen bleiben.

Drei Monate später herrscht noch immer erbitterter Krieg zwischen Litauen und deutschem Orden. Albano bringt Corrado zu seiner Gattin, damit diese sein Feuer für die Sache Litauen aufs Neue entfache. Corrado ist bereit ein litauisches Heer gegen den Deutschen Orden zu führen, denn Vitoldo und die Führung des Deutschen Ordens haben Corrados wahre Identität erkannt und ihn zum Tode verurteilt. Walter berichtet Albano von seinem Todesurteil. Als sich Vitoldo und Ritter dem Schloss nähern, leert er einen Giftbecher. Vitoldo und die Ritter werden von den Litauern unter Führung von Albano und Arnoldo überwältigt. Für Walter ist es zu spät. Er stirbt in Aldonas Armen.

Das Libretto der Uraufführung weist «I Lituani» als Dramma lirico aus: von der Substanz her ist das Werk eine historische Oper und würde, mit der finalen Erscheinung der Willis, bestens ins Schema der Grand Opéra passen. Dazu passt auch Ponchiellis Musik, die sich über weite Strecken so anhört, als sei sie gut und gern zwanzig oder dreissig Jahre früher entstanden. So überrascht wenig, dass die halbwegs kontinuierliche Aufführungstradition an der Wende zum 20. Jahrhundert, 1903 nach drei Aufführungen unter Arturo Toscanini an der Scala, abbrach. Mit einer konzertanten, im Radio übertragenen Aufführung am 6. Mai 1979 entriss Gianandrea Gavazzeni das Werk der Vergessenheit (Orchestra e coro della RAI di Torino; Ottavio Garaventa (Walter/Corrado), Yasuko Hayashi (Aldona), Alessandro Cassis (Arnoldo), Carlo De Bortoli (Albano), Ambrogio Riva (Vitoldo), Susanna Ghione (un menestrello); CD erschienen beim Label Bongiovanni: GB 2390/91-2). In Mitteleuropa ist das Werk seither eine absolute Rarität geblieben.

Das Lietuvos nacionalinis simfoninis orkestras (Lithuanian National Symphony Orchestra) unter Modestas Pitrenas meistert die Partitur mit gut differenziertem, romantischen Klang und hörbarer Begeisterung. Der Kauno valstybinis choras (Kaunas State Choir) wurde Petras Bingelis tadellos vorbereitet und legendes klingendes Zeugnis von der grossen Chor-Tradition des Baltikums ab. Agnė Stančikaitė als Dienerin und Edgaras Montvidas als Herold ergänzen das Ensemble der Solisten.

Eine interessante Entdeckung!

11.06.2025, Jan Krobot/Zürich

 

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