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CD „AMATA DALLE TENEBRE“ – ANNA NETREBKO singt R. Strauss, Verdi, Wagner, Cilea, Tchaikovsky, Puccini und Purcell –

 RICCARDO CHAILLY dirigiert das Orchestra del Teatro alla Scala; Deutsche Grammophon

07.11.2021 | cd

CD „AMATA DALLE TENEBRE“ – ANNA NETREBKO singt R. Strauss, Verdi, Wagner, Cilea, Tchaikovsky, Puccini und Purcell – RICCARDO CHAILLY dirigiert das Orchestra del Teatro alla Scala; Deutsche Grammophon

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„Liebe und Dunkelheit“ ist das Motto der CD. Die beiden Pole könnten auch für das Empfinden des wohlwollenden Hörers am Ende des Albums stehen. So richtig durchgängig glücklich will man mit dem Ergebnis des ersten Soloalbums nach mehrjähriger Absenz der russischen Diva im Tonstudio nicht werden. Das Sammelsurium an Stücken vom 17. bis ins 20. Jahrhundert erfordert Stilsicherheit von der englischen Renaissancemusik eines Henry Purcell über die großen Frauenfiguren Wagners (Elisabeth, Elsa, Isolde), Verdi-Heroinen wie Aida und Elisabetta in Don Carlo bis hin zu russischem Repertoire (Pique Dame) und Verismo-Reisser, als da wären Adriana Lecouvreur, Madama Butterfly und Manon Lescaut. Wer kann das schon?

 

Der dunkel sämige Sopran Netrebkos im Spätsommer ihrer Karriere ist noch immer von beeindruckender Schönheit, vor allem wo sie silbern leuchtende Piani in hohen Lagen weben kann, ist nach wie vor nachzuvollziehen, warum diese Sängerin eine so beispiellose Weltkarriere hat hinlegen können. Da gibt es ätherisch hinreissende Phrasen in „Tu che le vanita“, „Sola, perduta, abbandonata“ und vor allem in „Poveri Fiori“ zu bestaunen, die nach wie vor die außerordentliche Klasse und den Weltrang der Sängerin bezeugen. 

 

Allerdings schleichen sich bisweilen auffällig harte Töne und flackernde Fortehöhen ein. Vor allem im musikalisch und stilistisch so gar nicht gelungenen Monolog der Ariadne „Es gibt ein Reich“ merkt der Hörer, dass sich Netrebko stimmlich nicht wohl fühlt. Aber eigenartigerweise klingt auch die Arie der Lisa in „Pique Dame“ alles andere als mühelos. Für die Ariadne fehlt es an natürlichem Sprachfluss, an einer bruchlos im Legato geführten Linie, und an einer echten Rollenidentifikation. Dass eine erstklassige Aida in einem späten Stadium der Laufbahn nicht unbedingt die so heikle Ariadne drauf haben muss, haben schon Leontyne Price und Montserrat Caballé erfahren müssen. Dass eine ins dramatische entwickelte Sopranstimme durch den Reifeprozess und nach oftmals absolvierten Mörderpartien wie Aida, Lady Macbeth, Abigaille oder Turandot nicht geschmeidiger und flexibler wird, ist auch klar. Daher ist eine kluge Rollenwahl, die die persönlichen Stärken genau reflektieren, geboten. 

 

Dass die große Arie der Dido „Thy hand, Belinda, when I am laid to earth“ ein persönlicher Wunsch der Künstlerin war, ist nachzuvollziehen, unter passende Rollenwahl fällt sie jedoch bei allem Bemühen nicht. Von diesem Extrem an einem Ende der Skala stehen vier Arien am anderen Ende. Einzigartig schön und hinreißend expressiv gelingen „Poveri fiori“, „Un bel di vedremo“ und „Sola, perduta, abbandonata.“ Hier kommt zur rein stimmlichen Exzellenz ein berührendes Eintauchen der Künstlerin in die jeweiligen Charaktere. Da stimmt alles, hier gehen Gesangstechnik, Ausdruck, Klangfarben und Tiefe der Emotion eine höhere Einheit ein. Warum Netrebko allerdings die Butterfly Arie ,Un bel di verdremo‘ , nachdem sie sie schon 2014 mit Pappano für ihr Verismo-Album bei der Deutschen Grammophon eingespielt hat, nochmals aufnehmen musste, ist mit ein Rätsel. 

 

Am Ende des von Disparität des Programm und so unterschiedlicher Qualität in den Einzelleistungen der Arien bestimmten Albums ereignet sich ein kleines Wunder. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der ,Liebestod‘ aus Wagners „Tristan und Isolde“ der interessanteste Beitrag des Albums ist? Wir erleben da keine Legende in leicht abnehmender Verfassung, sondern eine Gigantin der Oper, wo auf einmal alles funktioniert wie eh und je. Die Stimme klingt jung, voller Gefühl und Magie, idiomatisch, von der Gesangslinie und Aussprache her comme il faut. Das dunkle Luxustimbre des Soprans passt perfekt zu dieser mythischen Wagner Rolle. Netrebko singt sich rauschhaft steigernd ins Wagnersche Nirwana. Ein Diminuendo auf „des Welt Atems“ und ein in schwebendem Piano gehaltenes „Lust“ sind Empfehlungen, die die Frage nahelegen, ob es nicht gescheiter gewesen wäre, eine oder zwei CDs nur mit Ausschnitten aus „Tristan und Isolde“ etwa mit Jonas Kaufmann als Partner aufzunehmen. Da wäre vielleicht etwas durchgängig ganz Großes dabei herausgekommen, zumal mit Riccardo Chailly und dem Scala Orchester ja die idealen Partner zur Verfügung gestanden sind. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger 

 

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