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CD „ALLES WIEDER GUT“ – FRANUI & FLORIAN BOESCH; col legno

„Wir sehnen uns nach Hause / Und wissen nicht wohin?“

14.11.2020 | cd

CD „ALLES WIEDER GUT“ – FRANUI & FLORIAN BOESCH; col legno

„Wir sehnen uns nach Hause / Und wissen nicht wohin?“

Das elfte Album beim Label col legno bestreitet die legendäre Musicbanda Franui gemeinsam mit dem Bassbariton Florian Boesch. Das Erfolgsgeheimnis der fast dreißig Jahre jungen, knackig-urigen Formation, die auf den Namen einer Almwiese im kleinen, 1402 Meter über dem Meer gelegenen Osttiroler Dorf Innervillgraten getauft ist: Unter überwiegender Beibehaltung der Melodien bekannter Lieder von Schumann, Schubert, Brahms, Mahler, Beethoven und Purcell wird die Begleitung dazu alpenländisch deftig, fantasievoll, und mit feinem Gespür für Atmosphärisches abgewandelt – mithilfe von Harfe, Hackbrett, Zither, Violine, Kontrabass, Akkordeon, Blech- und Holzbläsern.

Dieses stets angenehm elektrisierende „Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik“ versetzt gezielt Stromschläge dort, wo der Puls der Musik dies nahelegt. Treffsicher stechen die Akupunkteure musischer Entrückung ins Mark der Poesie, bereichern sie mit Farbe und rhythmischen Kontrasten.

Florian Boesch interpretiert die Lieder vollbrüstig mit rauchig dunklem Bariton. Die Piani klingen satt, voller Hingabe an die Dichtung, deren Sinn und Hintersinn. Boesch ist ein Liedgestalter und Wortdeuter von Gnaden, der wenn es dem Ausdruck dient, sämtliche Finessen ins Treffen führt, auch mal eine federleichte voix mixte hintupft. („Du bist die Ruh“).

Der Tod in Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ verliert bei Boesch jeden Schrecken. Das Hinüber klingt wie eine vielversprechend zarte Einladung in eine bessere Welt. Beim „Heidenröslein“ geben sich hingegen die Franuisten deftig, als ob sie auf einer Almhütte Brettljausnbewehrt die Blümchen rundum und ihr mögliches Schicksal ein wenig angetschechert besingen. Hingegen ähnelt die Begleitung zu Mahlers „Die zwei blauen Augen“ anfangs einem feinen Trauermarsch, der sich immer mehr in einer jazzigen Leichtigkeit auflöst – „Alles! Alles! Lieb und Leid, und Welt und Traum!“ Alles wird wieder gut. Schumanns „Die Stille“ wachsen begleitet durch die minimalistisch fiepende freche Violin‘ und die kecke Tuba Flügel, wie es das um seine Fähigkeit zu Fliegen beneidete Vöglein braucht, über das Meer zu ziehen, bis dass es im Himmel wär.

In Mahlers „Ging heut morgen übers Feld“ gewinnt – wie nur selten vernommen –  der junge Bursch nach und nach mit all seinen Sehnsüchten, Überschwang  und Unsicherheiten Gestalt. Boesch‘ Stimme wandelt in hellen Lichttönen, plötzlich selber fahrender Geselle, der mit erstaunten Augen und doch argwöhnisch die Wunder der Welt erfährt. Dieses Gefühl schlägt in „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“ in Wut, Hohn und verzweifelte Bitterkeit um. In „Ich hab ein glühend‘ Messer“ findet Boesch für die Stimmungen des schneidenden Liebesschmerzes, der kurzen süßen Reminiszenz und des noch dunkleren aussichtslosen Verlusts die jeweils passenden Schattierungen. 

Bei „Der arme Peter – Der Hans und die Grete“ haben Franui stilistisch hörbar Anleihen bei Alban Bergs Wozzeck, Heurigenliedern und Folkore zugleich genommen. Der arme Peter wankt vorbei und wird im Grab den besten Platz finden, wo er am besten liegen mag und schlafen bis zum Jüngsten Tag. So eine Treue ist tief berührend, in unserer Welt des auch emotionalen „Hire and Fire“ aber kaum noch vorstellbar.

Das Akkordeon und die Trompete erzählen mit Boesch plastisch von der Sehnsucht und dem Zwillingsbruder Leiden in Beethovens „Sehnsucht“. Ausgelassen und unbeschwert geht es in Schuberts „Die Vögel“ zu. Na klar, bei dem lustig Gespötte der „freislichen Laller“, dass die törichten Menschen nicht fliegen können, sondern lieber in Nöten jammern. Die heitere Vogelschar flattert lieber gen Himmel. Welch gescheite Gelassenheit.

Die herzerweichende Klage der Dido aus Henry Purcells „Dido und Aeneas“ nach dem vierten Gesang der Aeneis von Vergil singt Boesch mit der nötigen Zurückhaltung und Schlichtheit im Ausdruck. 

Fazit: Ein weiteres gelungenes Album mit der spezifisch franuistischen Mischung aus romantischem Liedgut, alpenländischer Musikkapelltradition, Sentimentalität, Ironie, musikalischem Grenzgängertum, jauchzend aufsprühender Lebenslust und finsterstem Weltschmerz. Wie sie selber sagen, „die Grenzen zwischen Interpretation, Improvisation, Arrangement und (Re)Komposition verschwimmen. Für Fans und solche, die es noch (sicher) werden.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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