Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD ALEXANDRE THARAUD & FRIENDS – Four Hands; Erato

Nicht nur Pianisten als prominente Partner – Cellist Gautier Capuçon, Countertenor Philippe Jaroussky, die Singer-Songwriterin Juliette sowie ein ‚Mr. Nobody‘ überraschen mit Klaviermusik vierhändig

19.07.2024 | cd

CD ALEXANDRE THARAUD & FRIENDS – Four Hands; Erato

Nicht nur Pianisten als prominente Partner – Cellist Gautier Capuçon, Countertenor Philippe Jaroussky, die Singer-Songwriterin Juliette sowie ein ‚Mr. Nobody‘ überraschen mit Klaviermusik vierhändig

mao

„Wenn das Hören dieser Stücke jemanden dazu veranlasst, sich einen Notenbogen zu kaufen und gemeinsam Duette zu spielen, ganz so, wie wir es im Aufnahmestudio taten, dann hätte ich mein künstlerisches Ziel erfüllt.“ A. Tharaud

Sinfonisches oder orchesterbegleitete Vokalmusik wurde wurde nicht nur in den Pariser Salons des 19. Jahrhunderts als Ersatz für Konzerte oder auf dem Land fern der großen Konzertsäle zum Besten gegeben. Plattenspieler gab es nicht, Hausmusikabende blühten, entweder als gesellschaftliche Ereignisse oder intimer im engen Familienrahmen. An diese Tradition der Klaviertranskriptionen will Alexandre Tharaud mit seinem neuesten Album von Klaviermusik vierhändig erinnern. Rein pädagogisch ist das ein wenig aus der Mode gekommene Klavierspiel vierhändig wesentlich, weil es hier nicht nur um die eigene Virtuosität geht, sondern absoluter Teamgeist, also das gemeinsame Erarbeiten und Erfühlen von Balance, Dynamik und Tempi, gefordert ist.

Natürlich erwartet uns ein musikalisches Allerlei, wenn der französische Pianist Alexandre Tharaud in einem über drei Jahre verteilten Aufnahmeprozess 22 künstlerische Mitstreiter und wohl auch musikalische „Friends“ zu sich an die Tastatur seines Flügels bat. Von Barockem bis zu Minimalisten, Klassikern bis Romantikern, von Impressionisten bis argentinischem Tango reicht das Spektrum der Stücke, die nach den Vorlieben des jeweiligen Gegenübers oder besser gesagt „Tastennachbars“ gewählt worden sind. Tharaud selbst fungiert mal als primo, mal als secondo, was dem unterhaltsamen Album noch zusätzlichen Kick verleiht. Dabei ist es aber nicht so, dass sich die spieltechnischen Anforderungen unbedingt auf den primo alleine konzentrieren.

Auf dem Album sind spannende Kombinationen u.a. mit Alexander Melnikov, Vikingur Olafsson, Nicholas Angelich, Bertrand Chamayou, David Fray, Eric Le Sage, Bruce Liu oder Beatrice Rana zu hören.

Dass es sich nicht durchwegs um Spitzeninterpretationen handelt, ist evident. Aber schon der erste Track, der Ungarische Tanz in fis-moll von Johannes Brahms mit dem Anschlagswunder Bruce Liu als primo fetzt in eigenwilligen Rubati und rasanten Temposchürzungen, die alle Beachtung wert sind. Libertango von Astor Piazzolla mit der fantastischen Beatrice Rana als prima, mit Corona-Masken aufgenommen (siehe den link unten), atmet die Atmosphäre von San Telmo in Buenos Aires, glimmert in Obstination bei verschlissenen Schuhen und zerrissenen Strümpfen. Nichts ist hier glatt gekünstelt, die Musik riecht nach Asphalt und Zigarettenrauch.

Außergewöhnlich gelungen ist der Walzer aus Dornröschen von P. I. Tchaikovsky, wo der Hammerklavierexperte Alexander Melnikov als secondo und Alexandre Tharaud den konzertanten Charakter und die Virtuosität der Musik in den Vordergrund rücken und nicht in sentimentale Kirtagswalzerstimmung kippen.

Vielleicht sind meine „Lieblings-Drei“ des Albums Franz Schuberts federleicht beschwingter Militärmarsch in D-Dur Op. 51/1, D 733/1 mit Michel Dalberto als primo, Edvard Griegs in ungemeiner Zartheit und kindlicher Simplizität startender und endender, im Mittelteil ins grotesk Derbe kippender Norwegischer Tanz in A, Op. 35/2, Allegretto tranquillo e grazioso, mit Vikingur Ólafsson als secondo sowie Joseph Haydns elegant verwegenes Rondo all’Ongarese aus dem Klaviertrio in G, arr. für Klavier vierhändig von Richard Metzdorff mit Momo Kodama als secondo. Hörbar Spaß hatten Tharaud und Franz Braley bei Albert Lavignancs frivoler Galop-Marche in einem Arrangement von Léon Lemoine.

Nicht bearbeitet, sondern ausdrücklich für Klavier vierhändig geschrieben ist Stokes von Philipp Glass. Zauberisch verwunschen wie einen Klangmärchenwald setzen Vanessa Wagner und Tharaud das schillernde Stück in Szene. Als mit über sechs Minuten Spielzeit längstes Stück des Albums zeichnet die Barcarolle aus den 6 Morceaux Op. 11, von Sergej Rachmaninov mit Aleksander Madzar als Partner Tharauds. Kein Geringerer als George Bizet hat Robert Schumanns Étude en forme de canon in As, Op. 56, Nr. 4 für Klavier vierhändig bearbeitet. Dessen Le Bal aus den Jeux d’enfants WD 56 bildet den flott-knackigen Abschluss des Albums. Der junge Londoner Pianist Martin James Bartlett darf hier der temperamentvolle secondo sein.

Aufregend nachzuverfolgen ist, zu welch unterschiedlichen Ausdrucksnuancen und zu welch stilistischer Vielfalt Alexandre Tharaud fähig ist. Da der Großteil der nach dem Shuffle Prinzip, also wie zufällig in Reihe angeordneten Titel technisch nicht allzu viel verlangt, sind es nicht selten die Einfachheit, die unspektakuläre, aber bewegende Musikalität im Ausdruck, die für sich einnehmen.

Kostproben: Alexandre Tharaud & Bertrand Chamayou mit Ravel: Ma Mère l’Oye, M. 60: V. Le jardin féérique:

https://www.youtube.com/watch?v=rtYuXD16s-E

oder Beatrice Rana & Alexandre Tharaud mit Piazzolla: Libertango

https://www.youtube.com/watch?v=HCgSiXhTfVE

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken