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CD ALEXANDER von ZEMLINSKY „JUBILÄUMSEDITION“ zum 150. Geburtstag des Komponisten am 14. Oktober 2021; Capriccio

13.08.2021 | cd

CD ALEXANDER von ZEMLINSKY „JUBILÄUMSEDITION“ zum 150. Geburtstag des Komponisten am 14. Oktober 2021; Capriccio

Wilder Mohn

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Auf dem Plattenmarkt steht das Label Capriccio in Sachen Zemlinsky-Pflege groß und einsam an der Spitze, seitdem alle einschlägigen eh. EMI-Produktionen mit dem Dirigenten James Conlon und dem Gürzenich Orchester Köln leider vergriffen sind. Auch die schöne DECCA Doppel-CD mit dem Royal Concertgebouw Orchester unter Riccardo Chailly ist nur noch gebraucht erhältlich.

Zusätzlich zur Jubiläumsbox mit gediegen bis exquisit musizierten Orchester-, Lied- und Kammermusikraritäten hat Capriccio auch die Gesamtaufnahmen der Opern „Der Kreidekreis“, „Der Traumgörge“, „Der König Kandaules“, „Es war einmal“ sowie „Eine Florentinische Tragödie“ im Programm. Auszüge daraus sind auch auf CD 6 der Anniversary- Edition zu hören. Die Aufnahmen der Box entstanden im Zeitraum 1987 bis 2019.

Zemlinsky, der als Komponist unverdientermaßen bis heute im Schatten von Richard Strauss, Gustav Mahler und Erich Wolfgang Korngold steht, hatte ein privat unglückliches, künstlerisch durch die Nazizeit gebrochenes und insgesamt tragisches Schicksal. Als Mensch in die USA vertrieben und musikalisch vergessen, waren denn auch die Wellenbrecher, von denen sich sein Werk nie erholt hat. Natürlich ist es Unsinn, sein Schaffen in irgendeiner Weise mit einem Ranking der großen Komponisten der Jahrhundertwende zu werten und daraus Rückschlüsse auf die Qualität der Musik ziehen zu wollen. Natürlich war Zemlinsky auf seine Weise ein genau so wichtiger wie origineller Musiker wie Mahler, sein Schüler Schönberg oder Strauss. Auch Zemlinsky zog seine ersten Inspirationen aus dem Werk von Wagner und Brahms, er war ein toller Pianist, Dirigent und Lehrer. Zemlinsky war kurz mit der Muse aller Wiener Musen, Alma Schindler, liiert. Die Beziehung war instabil, Alma quälte ihren Lehrer Zemlinsky zwei Jahre lang. 1902 war Schluss, Alma entschied sich für den zwanzig Jahre älteren Gustav Mahler. 

Ab 1911 hatte er den Posten eines musikalischen Leiters des Neuen Deutschen Theaters in Prag inne, wohin er sich aus dem intrigenreichen Wien rettete. Hier konnte er in 100 neu einstudierten Opern vor allem seine Begabung als allererster Dirigent unter Beweis stellen. Igor Stravinsky lobte seine Mozart und Wagner Interpretationen über den grünen Klee. 1927 übersiedelte Zemlinsky nach Berlin, wo er an der Krolloper als erster Kapellmeister unter dem jüngeren Otto Klemperer wirkte. Als er 1933 nach Wien zurückkehrte, war seine exotisch farbenprächtige, erotisch sublimierte, kunstvoll schnörkelige Musik nicht mehr up to date, die Männer der Stunde der neuen Sachlichkeit hießen Weill und Hindemith.

Nach seiner politisch erzwungenen Emigration in die USA sollte er des Unterhalts wegen unter dem Pseudonym Al Roberts amerikanische Songs komponieren. Nach einem Nervenzusammenbruch und zwei Schlaganfällen war Zemlinsky linksseitig gelähmt. Er starb 1942 in Larchmont im Staat New York. Jahrzehnte des Nichts folgten. Er gilt als Komponist zwischen den Zeiten und Stühlen. Den einen war er zu modern, den anderen zu konservativ. Die thematisch nicht primär genüsslich, sondern ins Innere der verlogen-kalten bürgerlichen Gesellschaft zielenden Opern waren offensichtlich auch erst 25 Jahre vor der Jahrhundertwende reif für die Bühne. Spät begann sie also, die zaghafte Neuentdeckung und Wertung von Zemlinskys Schaffen.

All das ist unfassbar tragisch. Heute können wir aber zumindest frei von musik- und zeitgeschichtlich motivierten und relativierenden Urteilen Zemlinsky so unbefangen und frei hören, wie wir das mit aller Selbstverständlichkeit iZm Beethoven oder Brahms tun.

Die Musik Zemlinskys scheint grosso modo dunkel grundiert, dabei ist sie effektvoll, einfallsreich instrumentiert, zuweilen apokalyptisch flammend in all ihrer kunstreichen Durcharbeitung oft abwärts strebender Themen. Silbrig-selig romantisches Flimmern wie bei R. Strauss gibt es nicht. Zemlinskys Lieblings-Grundtonart ist d-Moll. Zemlinsky war kein Avantgardist, aber ein Progressiver, der durchaus kühn zerklüftete Klanggebirge schuf, dramatisch aufgeheizte Opern mit entfesselten Leidenschaften, zudem sachlich strenge konzipierte Kammermusik. Zuweilen hat seine Musik etwas Filmisches. Aber: Allerorts scheint die Übermacht des Schicksals ans Tor zu klopfen. Ich finde, dass gerade in unserer vollkommen irrationalen, von Seuchen, Kriegen, Wetterextremen und Migration geprägten Zeit diese Musik wieder eine gültige gesellschaftliche Grundstimmung widerspiegelt. Es drückt sich Furcht vor dem Kommenden aus, aber auch ein mächtiges Aufbäumen, jugendstilgerecht kompliziert klangschichtig überlagert.

Um all das wieder neu zu prüfen, leistet die neue Box Großes. Mit dem repräsentativen Querschnitt durch sein Schaffen offenbart sich die Bandbreite von Zemlinskys Kompositionen: 

Lyrische Symphonie op. 18; Christine Schäfer Sopran, Matthias Goerne Bariton, Orchestre de Paris unter Christoph Eschenbach

Symphonie Nr. 1 in d-Moll; Symphonieorchester des Norddeutscher Rundfunks, Dirigent: Antony Beaumont

Sinfonietta op. 23; ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter Susanna Mälkki

3 Ballettstücke „Triumph der Zeit“; Philharmonisches Staatsorchester Hamburg; Dirigent: Gerd Albrecht

Frühlingsbegräbnis; Waldgespräch für Sopran, 2 Hörner, Harfe & Streicher; Maiblumen blühten überall; Edith Mathis Sopran, Roland Hermann Bariton, Chor des NDR, Symphonieorchester des Norddeutschen Rundfunks unter Antony Beaumont

Symphonische Gesänge op. 20; Franz Grundheber Bariton, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg; Dirigent: Gerd Albrecht

Sechs Gesänge op. 13 „Maeterlinck-Gesänge“ (2 Versionen); Petra Lang Sopran, ORF Vienna Radio Symphony Orchestra, Dirigentin: Susanna Mälkki

Walzer-Gesänge nach toskanischen Volksliedern op. 6; Thomas Michael Allen Tenor, Charles Spencer Klavier

5 Gesänge op. 7; Es war ein alter König; Waldgespräch (für Bariton & Klavier); Kai Stiefermann Bariton, Alexander Schmalcz Klavier

2 Brettl-Lieder; Thomas Ebenstein Tenor, Charles Spencer Klavier

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen; Hörtest du denn nicht hinein; Die Beiden; Harmonie des Abends; Ruth Ziesak Sopran, Gerold Huber Klavier

Sechs Gesänge Op. 13 „Maeterlick-Gesänge“ bearbeitet für Singstimme und Kammerensemble von Erwin Stein; Zoryana Kushpler Mezzo, Linos Ensemble

Klaviertrio op. 3; Pacific Trio

Streichquartett op. 2; Artis Quartett Wien

Auszüge aus Opern (Es war einmal, Der Traumgörge, Der Kreidekreis, Eine florentinische Tragödie, Der König Kandaules) u.a. mit Eva Johansonn, Josef Protschka, Pamela Coburn, Hartmut Welker, Renate Behle, Hans Helm, Wolfgang Koch, Monte Pederson.

Wer bei den Opernauschnitten Lunte gerochen hat, kann sich dazu die ebenfalls preisgünstigen Gesamtaufnahmen ordern.

Klare Empfehlung!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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