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CD ALEXANDER SCRIABIN: Préludes, Études, Sonaten – VADYM KHOLODENKO, harmonia mundi

22.12.2018 | cd

CD ALEXANDER SCRIABIN: Préludes, Études, Sonaten – VADYM KHOLODENKO, harmonia mundi

 

Der in Kiev geborene Starpianist hat Werke für Klavier solo von Alexander Scriabin aufgenommen, weil ihn dessen musikalische Sprache im (historischen) Kontext des Übergangs von der Spätromantik zum Expressionismus, den Einflüssen des übermächtigen Rachmaninoff (ferner Chopin) und des Komponisten eigener unbeständiger, rastloser  Natur fasziniert. Soll das extrem heterogene Schaffen des russischen Symbolisten Scriabin interpretatorisch und stilistisch wie von drei verschiedenen Komponisten stammend behandelt oder aber soll sein Erbe ganz genau unter den Aspekten der ständigen Weiterentwicklung bis hin zum Mythos geronnener Selbstinszenierung betrachtet werden?

 

Musik war für Scriabin ab einem gewissen Stadium mit Farbenhören verknüpft, in seiner Spätphase träumte er von Mysterien und kollektiver Ekstase und sah sich als zweiter „Prometheus“ auserwählt, Licht auf die Erde zu bringen. Das ultimative Spektakel, als Synthese aller Kunstformen stellte er sich jedoch endzeitlich vor. Scriabin war durchtränkt von seiner eigenen Imagination, der narzisstischen Liebe zu seiner Musik, seiner selbstbezogenen Phantasien. Eigentlich ziemlich unsympathisch, wäre da nicht sein in jeder Hinsicht einzigartiges und zukunftsweisendes Schaffen. Für den Interpreten Kholodenko zählt primär der unsichtbare Faden in Scriabins künstlerischer Entwicklung , dessen kreative Radikalität bis an die Grenzen und darüber hinaus, und dessen im Kern lebensbejahende Klaviermusik. 

 

Das im September 2017 im Fazioli Konzertsaal im italienischen Sacile mitgeschnittene Album hantelt sich chronologisch von den frühen sechs Préludes Op. 13, den fünf Préludes Op. 16, der Sonate Nr.4 Op. 30 bis hin zu den acht Étuden Op. 42, der Sonate Nr. 5 Op. 53 und „Vers la flamme“ Op. 72 vor. 

 

Herrschen in den früheren Preludes salonhafte Eleganz, im Raum schwebende Klanggirlanden, insgesamt leisere Töne und ein Spiel mit der Unendlichkeit der Zeit vor, so schält sich nach der zweisätzigen Sonatendichtung in Fis-Dur im Poème tragique Op. 34 und dem Poème satanique Op. 36 eine ganz anderer Art von ungestümer Tastenvirstuosität heraus. 

 

Vadym Kholodov stürzt sich nach dem in graueren Farbschattierungen gehaltenen langsamen Beginn mitten in den Tontumult, Akkorde bis zum Anschlag hämmernd, in wilden Arpeggien der linken Hand die Atemlosigkeit zur theatralischen Pose steigernd. Eine stetige unterschwellige Unruhe, eine kühl beobachtende bis brennende Erregtheit charakterisiert sein Spiel. Die „Poème satanique“ ist als Antwort auf die diversen Varianten von Liszt‘s Mephisto-Walzer konzipiert. Wie ein gehetzter Hase in unvorhersehbaren Haken über die Felder hoppelt, so darf Vadym Kholodenko auf seinem Instrument sardonisch schnaufen und einen frenetischen Tastentanz in asynchron hüpfenden Rhythmen absolvieren.

 

Das Programm und sein Interpret zeichnen sich generell durch extreme Kontraste in Dynamik, Tempo und Offenlegung der inneren Textur der Stücke. Die Étuden aus dem Jahr 1903 mögen mit dem „Mosquito“ genannten „Prestissimo“ und dem vom Komponisten selber leidenschaftlich gerne vorgetragenen „Affanato“ hierfür als markante Beispiele dienen.

 

Im letzten Stück mit dem Titel „Vers la Flamme“ erlaubt Scriabin dem Hörer ein Echo auf sein symphonisches Gedicht „Prometheus“. Klangfarben züngeln wie Flammen, brechen sich Bahn durch das mit sanften Impulsen durchsetzte statische Vortasten. Das finale apokalyptische Inferno des Stücks beschließt eine CD, die über den disparaten Zustand unserer Welt die passende prophetische Antwort zu haben scheint. Vadym Kholodenko hat sich mit seiner erbarmungslos in die Tiefe gehenden Interpretation mit Rotstift in die Annalen der Klavierkunst eingetragen.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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