CD ALESSANDRO STRADELLA „AMARE e FINGERE“ Weltersteinspielung mit dem ENSEMBLE MARE NOSTRUM unter ANDREA DE CARLO
Siebte Aufnahme des verdienstvollen Stradella-Projekts des Labels ARCANA (Outhère)
Mehr als die Opern Stradellas selbst dürften – zumindest vom Hörensagen – noch Opern über den exzentrischen Frauenhelden Stradella selbst, u.a. von César Franck und Friedrich von Flotow, einem kleinen Teil des Opernpublikums bekannt sein. Dass Stradella nicht genau so gnadenlos der Vergessenheit anheim fiel wie die meisten seiner Zeitgenossen, verdankte Stradella einem gewissen Jacques Bonnet. Der hatte in seiner “Histoire de la Musique et de des effets” auch das pittoreske Leben des adeligen Komponisten bunt und düster beschrieben.
Der in Bologna geborene, in Rom bei Prinz Ippolito und Prinzessin Maria Cristina Lante della Rovere aufgewachsene Alessandro verzauberte das Theaterpublikum mit seiner Musik, musste aber sehr früh sterben, weil er in eine seiner Schülerinnen verliebt war. Nicht als einziger Mann, versteht sich. Blöderweise handelte es sich um dieselbe junge Frau, die ein konkurrierender venezianischer Adeliger heiraten wollte. Stradella floh daher ganz nach romantischer Art mit seiner Geliebten. Bereits in Turin wurde der ausschweifende, leidenschaftliche junge Mann von angeheuerten Mördern verletzt. In Genua kam es zum Showdown, als der hochverschuldete Spieler Stradella am Marktplatz niedergestochen wurde. Zufälligerweise war nämlich nicht nur eine einzige Angebetete auf des Musikus’ Liste, sondern er hofierte gleichzeitig die Tochter eines reichen Genuesers. Ein klassischer Fall von Heiratsschwindler, wenn man mich fragt.
Stradella war nicht nur in Liebesdingen ein flotter Junge, sondern vermochte es auch, Opernaufträgen in Rom innerhalb kürzester Zeit nachzukommen. Das sicherte ihm höhere Gagen, als anderen, weniger berühmten Tonsetzern zugestanden wurde. Dass wir heute nachvollziehen können, um welche Stücke es sich handelt, verdanken wir wiederum dem päpstlichen Kantor Giovan Battista Vulpio, dessen Manuskriptsammlung drei Partituren ausweist, die Stradella vor seiner Flucht aus Rom fertig gestellt hatte. 1676 in Siena uraufgeführt, fehlen bei der Oper “Amare e fingere” zwar Angaben zu den Namen von Librettist und Komponist, stilistische Parallelen lassen aber keinen Zweifel daran zu, dass die Musik aus der Feder Stradellas und nicht von einem gleichzeitig in Rom arbeitenden Kollegen wie Pasquini, Melani oder Agostini stammt.
Die Geschichte der Oper, die mindestens genau so verwirrend und abstrus ist wie Stradellas Leben selbst, basiert auf einer spanischen Komödie von Agustin Moreto aus dem Jahr 1661. Wir haben es mit einem barocken Versteckspiel zu tun, bei dem alle vier Hauptcharaktere eine doppelte Identität haben. Am Ende kommen natürliche Leidenschaften und gesellschaftliche Zwänge nicht ganz zusammen….
Artabano, ein persischer Prinz, fährt durch arabische Lande auf der Suche nach seiner verschollenen Schwester Despina. Unter dem Decknamen Fileno ist er in Clori verliebt, einer Hofdame der Oronta, Königin von Arabien, die wiederum unter dem Namen Celia inkognito die Freiheit des Landlebens genießt. Rosalbo wiederum (in Wahrheit ist er der Prinz Coraspe, Anwärter auf den Thorn Ägyptens) ist dasjenige Leckerli, um das sich alle Frauen reißen. Er liebt zwar Clori, die seine Passion erwidert, wird aber dazu noch von Celia begehrt. Bevor aber diese unglückliche Konstellation in ein blutiges Duell zwischen Fileno und Coraspe ausartet, sorgt die Aufdeckung der wahren Identitäten für Entspannung. Clori ist nämlich niemand anders als Filenos Schwester Despina. Also steht der Verbindung von Rosalbo/Coraspe und Clori/Despina nichts im Wege, noch dazu weil beide königlichen Geblüts sind. Celia/Oronta wiederum beschließt, ihr doch nicht ganz so aufregendes Landleben wieder aufzugeben und Prinz Artabano zu heiraten. Happy End!
Die Musik besteht aus einer losen Abfolge von (vielen) Rezitativen, meist kurzen Arien, neuen Duetten und zwei Quartetten.
Die Aufnahme ist ein Live Mitschnitt eines Konzerts vom 9. November 2018 aus dem Kulturzentrum beim Festival Alter Musik in Herne. Andrea De Carlo dirigiert das kleine Instrumentalensemble Mare Nostrum (zwei Violinen, Viola da Gamba, Cello, Violone, Theorbe, Laute, Harfe, Cembalo und Orgelpositiv). Die Besetzung mit dem kernig eleganten Kavaliersbariton Mauro Borgioni (Artabano/Fileno), der lyrischen Mailänder Sopranistin Paola Valentina Molinari (Despina/Clori), mit José Maria Lo Monaco und ihrem mandelcremigen Mezzo, die längst Carmen, Adalgisa und Romeo singt (Oronta/Celia), dem blitzsauberen charmanten Tenor und Madrigalisten Luca Cervoni (Coraspe/Rosalbo), der Altistin Chiara Brunelli (Silvano) und Silvia Frigato als Erinda reüssiert mit Erfolg sei es im leichtfüssigen, ganz dem Wort verschriebenen Deklamationsstil der Rezitative genau so wie im spezifischen, äußerst kunstvoll dramatischen Ziergesang der Zeit. Eine Rarität, die einen weiteren Schritt zur Entdeckung des Schaffens dieses noch zu entdeckenden barocken italienischen Meisters bedeutet.
Dr. Ingobert Waltenberger