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CD ALESSANDRO SCARLATTI: GRISELDA  – Wiederveröffentlichung, harmonia mundi

23.07.2019 | cd

CD ALESSANDRO SCARLATTI: GRISELDA  – Wiederveröffentlichung, harmonia mundi

 

Die Staatsoper Unter den Linden hat Griselda im Jahr 2000 szenisch ins Programm genommen. Ins Studio ging René Jacobs für diese erfindungsreiche Opera seria in drei Akten nach einem Libretto von Apostolo Zeno mit seiner Akademie für Alte Musik Berlin und einer rundum befriedigenden Solistenschar im November 2002.

 

Die Oper und ihre jetzt wieder erhältliche einzige Studioaufnahme sind auf jeden Fall empfehlenswert. Wenngleich das von Boccaccio in seinem „Il Decamerone“ niedergeschriebene „Märchen“ und für die Oper vom berühmten Gönner Scarlattis Francesco Maria Fürst Ruspoli eingerichtete Stück nichts weniger als eine ziemlich grausliche SM-Geschichte mit Inzest-Einsprengseln vor politischem Hintergrund ist: Gualtiero, König von Sizilien, heiratet die Schäferin Griselda aus purer Liebe. Um sein Volk, das die nicht standesgemäße Verbindung anprangert, zu befrieden, unterzieht Gualtiero Griselda extrem brutalen, unfairen bis sadistischen Prüfungen. Die erste Tochter muss aus dem Land. Gualtieri gibt sie Corrado, dem Prinzen von Apulien. Zu Hause erzählt Gualtiero, er habe sie umgebracht.  Everardo, der einzige Sohn, soll wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. Ottone wiederum hetzt die Untertanen gegen Griselda auf, weil er sie liebt (!). Gualtiero will – um das Fass voll zu machen – eine fremde Prinzessin heiraten, die sich als seine Tochter Costanza entpuppt…  Griselda erträgt buchstäblich Alles (bis auf die Forderung, den Höfling Ottone zu heiraten) mit Geduld und verzichtender Liebe. Ihre Standhaftigkeit sollte beweisen, dass ihre Herzensgüte und Treue höher zu bewerten sind als der rein formale Geburtsadel. Die politische Seite dreht sich hier natürlich auch um Fragen der Thronfolge, die dann durch eine stilisierte Ethik legitimiert wäre. Da die aufklärerische Moral siegen muss, gibt es schlussendlich ein Happy End.  Gesellschaftliche Anerkennung und privates Glück triumphieren gleichermaßen. Wer’s glaubt, wird selig. Aber die Musik ist eben vor allem in Barockzeiten mehr als ein noch so abstruses Libretto.

 

Alessandro Scarlattis letzte Oper Griselda, 1721 im Teatro Capranica in Rom uraufgeführt, hatte lediglich aus musikalischen Modegründen keinen Erfolg. Der Versuch, die Figuren allegorisch zu beleuchten, ja in mikrodramatisch angelegten Arien charakterlich zu konturieren, gefiel dem Publikum weit weniger als die neuen glänzenderen virtuoseren, die Lust nach Spektakel bedienenden Opern der Zeit. Der verbitterte Scarlatti konnte sich jedoch aus finanziellen Gründen nicht einfach wie Rossini vom Komponieren zurückziehen, immerhin waren da zehn Kinder durchzufüttern.…

 

Der heutige Hörer darf historisch unbelastet einer hochartifiziellen, instrumental und vokal kunstreichen Musik mit vielen da-capo-Arien und Rezitativen lauschen. Wie Silke Leopold im Aufsatz „Scarlattis Griselda so schön schreibt: „Nicht mehr Opfer, sondern strahlende Siegerin, scheint der alternde Komponist mit „Griselda“ ein modellhaftes Werk präsentiert zu haben, in dem alle widerstreitenden Elemente der Oper  seiner Zeit in gleichsam klassischer Balance zu einem ausgewogenen Ganzen verschmelzen – das Komische und das Tragische, das Heroische und das Pastorale, Handlung und Reflexion, Gesang und Orchestersatz, die filigrane Differenziertheit des Rezitativs und das flächige Pathos der Arie.“

 

Dorothea Röschmann in der Titelpartie, der Countertenor Lawrence Zazzo als Gualtiero, Veronica Cangemi als Griseldas Tochter, die Mezzosopranistin Silvia Tro Santafé als Fürst Ottone, der Tenor Kobie von Rensburg als Corrado, Fürst von Apulien und Bernarda Fink in der Rolle Robertos, des jüngeren Bruders Corrados geben eine Traum-Besetzung ab.

 

Kaum noch erhältlich sind interessante historische, allerdings stark gekürzte  Vergleichseinspielungen von Scarlattis Griselda: Rai in Neapel hat die Oper 1970 mit Mirella Freni in der Titelpartie, Sesto Bruscantini, Luigi Alva, Veriano Lucchetti und Rolando Panerai unter der musikalischen Leitung von Nino Sanzogno aufgenommen. Schon zuvor gab es eine auf CD veröffentlichte Aufführung aus Hannover 1960 unter dem Dirigenten Bruno Maderna mit Freni, Ratti, Rehfuss und Haefliger.

 

Die Chance sollte genutzt werden, dieses Meisterwerk aus der neapolitanischen Opernküche kaum gestrichen wieder in fantastischer Qualität hören zu können.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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