CD ALBÉRIC MAGNARD: Orchesterwerke – Philharmonisches Orchester Freiburg; NAXOS
Alle österreichischen Landsleute, die in Paris mit der OECD zu tun haben, kennen sie: die Rue Albéric Magnard im 16ème arr., wo sich die österreichische OECD-Vertretung unweit des OECD Headquarters im Château de la Muette befindet. Ich hatte selbst oft während meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit in Paris die Ehre, dort zu arbeiten. Natürlich habe ich mich dafür interessiert, wer dieser Albéric Magnard ist. Die erstklassigen Aufnahmen seiner vier Symphonien mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra (hypérion) und die Gesamtaufnahme seiner Oper „Guercoeur“ mit José van Dam und Hildegard Behrens (EMI) bilden seither gut gehütete Juwelen der Sammlung.
Vier herausragende Fakten seiner Biographie: Albéric Magnards Vater Francis war Herausgeber der renommierten frz. Tageszeitung „Le Figaro“. Die Mutter beging Selbstmord, als der kleine Albéric gerade einmal vier Jahre alt war. Das einschneidende künstlerische Erlebnis, das Albéric veranlasste, das Studium der Rechtswissenschaften an den Nagel zu hängen und sich ganz der Komposition zu widmen, war eine Aufführung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in Bayreuth. Er starb 1914, als er sein Haus im Norden von Paris im Départment Oise gegen deutsche Soldaten verteidigte.
Musikalisch war Albéric Magnard ein ähnlicher Perfektionist wie Maurice Ravel. Aus diesem Grund blieb sein Schaffen überschaubar , er publizierte insgesamt „nur“ 21 Werke. So gibt er insgesamt nur neun Kompositionen für Orchester. Neben den bereits erwähnten, höchst empfehlenswerten vier Symphonien also alle, die auf der neuen Naxos-CD zu hören sind: Ouverture Op. 10, Chant funèbre Op. 9, Hymne à la justice Op. 14, Hymne à la Vénus Op. 17 und die Suite d‘orchestre dans le style ancien Op. 2.
Als Lehrer am Konservatorium wählte Albéric Magnard nicht César Franck, sondern Vincent d‘Indy. Dies wegen der Art der Orchesterbehandlung, die für den extrem präzise arbeitenden Tonsetzer besonders wichtig war. D‘Indy gab Magnard auch die erste Version der Suite zur Überarbeitung zurück, oberflächliche Effekthascherei in der Instrumentierung war der Grund dafür. Die für kleines Orchester (Streicher, Holz, zwei Hörner, eine Trompete, Schlagzeug) geschriebene „Suite d‘orchestre dans le style ancien“ folgt formal dem Beispiel einer Tanzsuite aus dem 18. Jahrhundert. Alle fünf Sätze stehen in der Tonart g-Moll. Die „Ouverture“ in A-Dur Op. 10 hingegen erinnert in der Tonsprache frappant an Gustav Mahler. Magnard vervollkommnete hier seine Sehnsuchtssprache, die wie tönende Traumsequenzen an unser Ohr dringt. Liebe und Gerechtigkeit waren die beiden Pole, die am meisten in Magnards Leben zählten. So schrieb er jeweils eine Art von Symphonischer Dichtung auf beide.
Magnard unterstützte Alfred Dreyfus in den 1890er Jahren. Er antwortete auf Emile Zolas berühmten Aufruf „J‘accuse“ mit einem Brief, in dem er verkündete, dass „er für die Sache zu sterben bereit sei“. Seine „Hymne à la justice“ – eine einzigartige Themenwahl in der Musikgeschichte – entstand nach der Begnadigung von Dreyfus. Es ist ein ungemein passionierter universeller Hymnus an das Prinzip der Gerechtigkeit geworden und würde jedem happy end beseelten Hollywood Film zur allerhöchsten Ehre gereichen. Noch berührender ist seine „Hymne á la Vénus“, wohl eine tief empfundene Liebeserklärung der besonderen Art an seine Frau Julia Creton mit einigen Tristan Zitaten. Er heiratete die junge Frau aus sehr bescheidenen Verhältnissen, blieb ihr sein Leben lang treu und adoptierte ihren Sohn, den er wie einen eigenen behandelte.
Die Klangsprache Albéric Magnards ist üppig spätromantisch, von Harmonien Wagners ebenso beeinflusst wie von der musikgeschichtlichen Entwicklung im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Sein Stil ist stets voller Eleganz, die großen Leidenschaften der Zeit in fein ziselierte Klangkunstwerke gegossen. Das immense instrumentale Können von Gounod, Saint-Saëns u.a. eilt hier ihrer letzten Vollendung entgegen.
Das Philharmonische Orchester Freiburg unter der musikalischen Leitung von Fabrice Bollon zündet ein Feuerwerk an orchestraler Pracht. Die Nähe zu Frankreich tut wohl das ihrige, um ein authentisches Hörerlebnis zu vermitteln. Jedenfalls scheint sich dieses grandiose Orchester in dieser CD noch einmal selbst zu übertreffen. Denn alles bei Magnard ist wie in der Kunst der frz. Haute Cuisine eine Sache der allerfeinsten Dosierung, der trefflichen Ineinanderschichtung von croquant et moelleux, épicé et sucré. Fabrice Bollon kennt jedenfalls das Geheimnis der Rezeptur und schenkt uns eines der schönsten französischen Alben der letzten Jahre.
Tipp: Die vier Symphonien Albéric Magnards liegen in ebenso mustergültigen Einspielungen mit dem Phiiharmonischen Orchester Freiburg unter Fabrice Bollon bei Naxos auf.
Dr. Ingobert Waltenberger