Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD: «AH, INGRATO AMOR» – FLORIAN GASSMANN – OPERA ARIAS – Ania Vegry, NDR Radiophilharmonie, David Stern

Mehr als «ein angenehmer und gefälliger Opern- und Cammerkomponist»

11.01.2021 | cd

CD: «AH, INGRATO AMOR» – FLORIAN GASSMANN – OPERA ARIAS – Ania Vegry, NDR Radiophilharmonie, David Stern

Mehr als «ein angenehmer und gefälliger Opern- und Cammerkomponist»

Ania Vegry, NDR Radiophilharmonie, Florian Gassmann, David Stern - Ah  Ingrato Amor - Amazon.com Music

Florian Leopold Gassmann «war ein eben so gründlicher und in allen Künsten des Contrapunktes erfahrener Kirchenkomponist, als er ein angenehmer und gefälliger Opern- und Cammerkomponist war.» So beschrieb Ernst Ludwig Gerber im ersten Band seines «Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler» aus dem Jahr 1790. Gäbe es nicht die abenteuerliche Fluchtgeschichte und wäre Antonio Salieri nicht sein Meisterschüler geworden, Gassmann wäre heute wohl weitgehend unbekannt.

Florian Leopold Gassmann wurde am 3. Mai 1729 im nordböhmischen Most geboren. Jan Vobořil, lokaler Chorregent, soll schon früh seine musikalische Begabung entdeckt und mit Unterricht in Gesang, Violine und Harfe gefördert haben. Später soll Gassmann, seine frühen Jahre sind leider kaum dokumentiert, Jesuitengymnasium im nahegelegenen Chomutov besucht haben. Nach dem Gymnasium folgten weder ein Universitätsbesuch noch die Beamtenlaufbahn oder die Aufnahme in eine der zahlreichen Kapellen des habsburgischen Adels. Die vom Vater vorgesehene Berufsausbildung kam ebenfalls nicht zu Stande: der zwölfjährige Gassmann entzog sich ihr durch eine mutige Flucht. Nach zwei Jahren, in denen er als Harfenspieler in Karlovy Vary gutes Geld verdiente, zog er 1742 weiter nach Venedig. Dort kam er mit einem mäzenatisch gesonnenen Priester in Kontakt, der für seine weitere Ausbildung aufkam und ihn schließlich zwecks musikalischer Vervollkommnung nach Bologna zu Giovanni Battista «Padre» Martini (1706–84) schickte. Zwei Jahre studierte Gassmann bei einem der bedeutendste Musikpädagogen seiner Zeit am Liceo Musicale di Bologna.

Nach Venedig zurückgekehrt wurde er Organist in einem Nonnenkloster und fand Aufnahme im Palazzo des Conte Leonardo Veneri. Der Karneval 1757 brachte mit «Merope» auf ein Libretto des grossen Apostolo Zeno sein Debut als Opernkomponist.

1763 kam Gassmann als Nachfolger von Christoph Willibald Gluck und Komponist für Ballette an den Wiener Hof, wo er rasch die Gunst Josephs II. erlangte und bis 1772 zum Hofkapellmeister aufstieg. 1771 wurde auf Initiative Gassmanns die Tonkünstler-Sozietät gegründet, die zu Gunsten von Witwen und Waisen verstorbener Mitglieder Musikveranstaltungen für die Öffentlichkeit in Wien organisieren sollte. Das erste Werk, das in diesem Zusammenhang zur Aufführung kam, war Gassmanns Oratorium «La Betulia liberata».

Als am 18. August 1765 Kaiser Franz I. Stephan starb und die Wiener Theater monatelang schiessen musste, reiste Gassmann nach Venedig. Dort traf er auf den jungen Antonio Salieri, den er nach Wien mitnahm und der dort sein Meisterschüler wurde. Nach Gassmanns Tod 1774 wurde Salieri entsprechend kaiserlicher Kammerkomponist und Kapellmeister der italienischen Oper.

Die vorliegende Aufnahme geht auf eine Initiative der Sopranistin Ania Vegry, der Solistin der vorliegenden Aufnahme, zurück. Die Hannoveraner Produktion von Gassmanns «L ’Opera Seria» (2012) nahm sie zum Anlass, um dessen Oeuvre zu sichten und die bisher nicht verlegten Konzert- und Opernarien zunächst verlegen zu lassen und anschliessend mit der NDR Radiophilharmonie unter der Leitung von David Stern für das Label cpo aufzunehmen.

Vegry nennt einen klaren, absolut höhensicheren Sopran ihr Eigen und bewältigt die schwierigen Koloraturen mit spritziger Leichtigkeit. Die lyrischen Passagen gelingen ihr ebenso eindrücklich. Kein Wunsch bleibt offen.

Die NDR Radiophilharmonie unter David Stern spielt höchst konzentriert, lebendig und farbenfroh auf. Sie ist Vegry eine würdige Begleiterin und lässt vergessen, dass hier ein klassisches Sinfonieorchester spielt.

Vegry hat für die Aufnahme Arien aus Gassmanns «Achille in Sciro» (1766), «Catone in Utica» (1761), «L’egiziana/La Zingara» (1763/1769), «L’amore artigiano» (1767), «Le serve rivali» (1767) und «L’opera seria» (1769) ausgewählt. Die fünf Arien aus «Achille in Sciro» und «Catone in Utica» (1761), beide auf Libretti von Metastasio, sind klassische Da capo-Arien nach dem Muster der Opera seria: entsprechend steht die statische Einheit des auszudrückenden Affekts im Vordergrund. Wie zu seiner Zeit üblich, passte Gassmann auch Opern anderer Komponisten für die Aufführung in Wien an. Die Buffa «L’egiziana» von Mattia Vento (1735–76) fasste Gassmann dann 1769 als «La Zingara» komplett neu. Bei der Arie aus «Le serve rivali» (1767) handelt es sich um eine Neufassung Gassmanns für die entsprechende Oper Tommaso Traëttas. Das Libretto zu «L’amore artigiano» (1767) stammt von Carlo Goldoni (1707–93) und wurde, wie auch Libretti von Zeno oder Metastasio, mehrfach, hier 1761 zum ersten Mal, vertont. Gassmanns Vertonung war die erfolgreichste. Nicht nur «L’opera seria» (1769) auf ein Libretto von Ranieri de’ Calzabigi (1714–95), eine herrliche Parodie auf die Gattung der Oper seria, die in letzten Jahren mehrfach aufgeführt wurde, lohnt der Entdeckung!

Ein faszinierender Ausflug in die Musikgeschichte!

10.01.2021, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken