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CD ADRIANA GONZÁLEZ interpretiert Lieder von ISAAC ALBÉNIZ; Audax  

20.10.2021 | cd

CD ADRIANA GONZÁLEZ interpretiert Lieder von ISAAC ALBÉNIZ; Audax

 

Prächtige Gesamteinspielung aller Lieder dieses viel zu wenig beachteten spanischen Komponisten

albeniz

 

Vom Spanier Albéniz ist allenfalls die postromantische „Iberia Suite“, die DECCA-Aufnahme der Oper „Merlin“ mit Placido Domingo und Carlos Álvarez bzw. das eine oder andere Stück für Klavier oder Gitarre bekannt, aber Lieder? Von den vier großen spanischen Sängerinnen Caballé, Lorengar, Berganza oder de los Angeles kennen wir Canciones von de Falla, Granados, Turina oder Obradors, aber mir sind keine Aufnahmen mit Liedern von Albéniz bekannt. Nach der 2018 für Naxos eingespielten Albéniz-CD „Complete Works for Voice and Piano“ mit Magdalena Llamas (Mezzosopran) und Guilermo Gonzalez (Klavier) ist es diesmal die guatemaltekische Sopranistin Adriana González – wie erinnern uns an ihren Operalia-Preis 2019 – und der baskische Pianist Iñaki Encina Oyón, die sich voller Leidenschaft und Emphase dieser kaum bekannten lyrischen Juwelen annehmen. 

 

Oyón ist der Frage nachgegangen, warum erst jetzt mit der Aufarbeitung und Verbreitung dieser Lieder begonnen wird. Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass es lange Zeit keine gedruckte Edition gab, viele Manuskripte waren in alle vier Himmelsrichtungen verstreut, die meisten Lieder blieben demnach unveröffentlicht. Ein anderer Grund dürfte neben dem höchst anspruchsvollen Klavierpart darin liegen, dass nur fünf Lieder von Gustavo Adolfo Bécquier („Rimas de Bécquier“) in spanischer Sprache vertont wurden, die restlichen Lieder sind in italienischer, französischer und vor allem in englischer Sprache zu singen. In diesen Liedern wird man auch vergeblich nach andalusischer Folklore suchen. Dazu hat das umfangreiche Oeuvre für Klavier offenbar den Rest des Schaffens verdrängt. 

 

Nachdem González und Oyón in ihren Konzerten öfter Albéniz dargeboten hatten, beschlossen die beiden Künstler sich nach dem, ebenfalls bei Audax erschienenen, Liedern von Robert Dussault und Hélène Covatti gewidmeten Album, eine Gesamtaufnahme des Liedschaffens von Albéniz in Angriff zu nehmen, und das in chronologischer Reihenfolge, um die kompositorische Entwicklung nachzeichnen zu können. 

 

Die sorgfältig editierte CD enthält alle Liedtexte in vier Sprachen sowie einen umfangreichen Aufsatz über Albéniz von Prof. Dr. Jacinto Torres. „Poesie, Erzählung und Drama“ sind die drei Grundingredienzien der Kunstlieder von Albéniz. Die fünf spanischen Lieder – als Romanzen ohne Worte mit Anklängen an Schumann für die Aufführung von Salon-Amateuren vorgesehen – entstehen in Madrid, der Stadt, die sich der 25-Jährige zum Lebensmittelpunkt wählt. In dieselbe Periode fallen die „Seis Baladas“ auf italienische Texte von Paulina Spreca. Torres sieht in diesen kurzen Liedern mit flotten Rhythmen eine Art von Tribut an den Belcanto, wobei die farbenfrohe Harmonik der Klavierbegleitung bereits auf den späteren Stil des Komponisten weist, der sich durch üppige Chromatik und den Gebrauch von Synkopen charakterisiert.

 

1890 geht Albéniz aus künstlerischen und geschäftlichen Gründen nach London, wo er als Konzertveranstalter, Pianist und Komponist wirkt. Der Dichter und Bankier Francis Money-Coutts, von dem Albéniz 15 Texte vertont, wird zur Schlüsselfigur in seinem Leben. Er ermöglicht ihm mit großzügigen finanziellen Zuwendungen die künstlerische Unabhängigkeit. Der erste Zyklus „To Nellie“, Money-Coutts Frau gewidmet, gefällt sich in englischem Kolorit mit spanischem Hintergrundleuchten. In den „Six Songs“ sind weitere Merkmale zu finden: „Strikt syllabisch, üppige Chromatik, häufige Modulationen, Vorschläge, reichlich vorhandene Vorzeichen, Einsatz des Pedals, anhaltende rhythmische Strukturen und synkopierte Muster.“

 

1894 wählt Albéniz Frankreich als Aufenthaltsland, wo er zwischen Paris und Nizza pendelt. Die Vokalmusik erhält impressionistische bis symbolistische Züge, das intime Lied „Il en est de l‘amour“ eignet er Ernest Chaussons Frau zu. Die beiden Vertonungen von Texten des Pierre Loti „Deux morceaux de prose“ sind atmosphärisch melancholisch und wie es die Titel bezeugen, dem „Crépuscule“ (der Dämmerung) und der „Tristesse“ verschrieben. Der letzte Zyklus, die „Four Sings“ nach Texten von Money-Coutts, hat Albéniz nach Abschluss von „Iberia (1908) komponiert und Fauré gewidmet. „Durch die Finesse ihrer Komposition, die sorgfältige Behandlung der Prosodie, die Dichte der Begleitung und die äußerst minutiösen Angaben zu Tempo, Ausdruck und Dynamik erscheinen diese Reifewerke aber näher an Debussy und seine ersten Fêtes galantes.“ (Torres)

 

Adriana Gonzáles interpretiert die Lieder mit voll-rundem Ton. Sie verleiht den poetischen Vorlagen mit ihrem so persönlich sämigen Timbre jene erzählerische Dichte, die für eine atemberaubende Spannung sorgt und damit das absorbierende Eintauchen des Hörers in die Metamorphose der Gedanken- und Tonwelten des Albéniz erlaubt. Klang geht bei Gonzáles manchmal vor Textverständlichkeit, die Dramatik der Vorlagen schöpft sie bis in Grenzlagen mit großem Opernton aus. Oyón ist nicht bloßer Begleiter, sondern der virtuose wie einfühlsam den avantgardistischen Klavierpart finessenreich und rhythmisch beherzt gestaltende Pianist, von dem man gerne noch Soloklavierstücke von Albéniz hören möchte. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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