Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD: ADOLPHE ADAM: GRISELDIS • Sofia Philharmonic Orchestra, Dario Salvi

20.06.2025 | cd

CD: ADOLPHE ADAM: GRISELDIS • Sofia Philharmonic Orchestra, Dario Salvi

Weltersteinspielung

«Was für schöne Melodien! Was für ein Schwung! Was für eine Koketterie! Welche Lebhaftigkeit!»

dar

Neben Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) prägte der französische Komponist Adolphe Adam (1803-1856) prägte mit «Le Chalet» (1834, wie Donizettis «Betly» (1836) nach Goethes «Jery und Bäteli»), «Le Postillon de Lonjumeau» (1836) und «Si j’étais roi» (1852) massgeblich das französische Musiktheater des zweiten Drittel des 19 Jahrhunderts.

Fast noch wichtiger war mit u.a. «Giselle» (1841) und «Le Corsaire» (1856) sein Beitrag zur Geschichte des Tanztheaters. «Giselle» ist ein erster Höhepunkt des romantischen Balletts und steht für Adams Entwicklung eines neuen Typs gehaltvollerer, sinfonischerer und formal komplexerer Partituren. Hier versammelte sich mit den Choreographen Jean Coralli und Jules Perrot, den Librettisten von Jules-

Henri Vernoy de Saint-Georges und Théophile Gautier und den Tänzern Carlotta Grisi und Lucien Petipa das «Who is who» des zeitgenössischen Tanztheaters, weshalb dieses Werk bis in unsere Tage als «Essenz des romantischen Balletts» gilt.

Als am 16. Februar 1848 am Théâtre de l’Académie Royale de Musique in Paris «Griseldis ou Les cinq sens» uraufgeführt wurde, waren die durch Tourneen mittlerweile europaweit berühmten Carlotta Grisi und Lucien Petipa wieder beteiligt. Das Libretto stammte von Philippe-François Pinel («Dumanoir») und die Choreografie von Joseph Mazilier. Die in 3 Akten zusammengefassten fünf Bilder von «Griseldis» stellen «eine Reise der Entdeckungen und des wachsenden Selbstbewusstseins» dar und bieten eine grosse Vielfalt an Örtlichkeiten und, von besonderem Interesse, die Einfügung einer Gesangsstimme in das normalerweise wortlose Tanztheater.

Das erste Bild «La Vue» («Das Sehen») beginnt mit dem koketten Wettstreit der Tänzerinnen um die Aufmerksamkeit Elfrids, des Kronprinzen von Böhmen. Elfrid zeigt sich von den hübschen, anmutigen Mädchen unbeeindruckt: Er möchte sich in den Tiefen des Waldes verlieren, fortgehen, allein und sehnsüchtig, auf der Suche nach einem unbekannten, geheimnisvollen Glück, das man nur im Traum erblickt. Der Botschafter des Hospodars (Fürst) der Moldau wird vorgestellt. Er ist gekommen, um bei Vladislav König von Böhmen um die Hand von Prinz Elfrid für seine Prinzessin, des Hospodaren Tochter, anzuhalten. Aus Pflichtbewusstsein gegenüber seinem Vater stimmt Elfrid der Verbindung zu. Während der Vorbereitungen zur Abreise wird er von einem jungen Mädchen in schlichtem Hirtenkostüm, Griseldis, beobachtet. In einem unbeobachteten Moment tauscht sie die Elfrid als Mitgift präsentierte Krone der Moldau gegen eine Krone aus Kornblumen und ein Medaillon mit ihrem Porträt aus. Von schweren Zweifeln gezeichnet will Elfrid die ihm präsentierte Krone betrachten: stattdessen entdeckt er die Blumenkrone und das Porträt. Aller Druck weicht von Elfrid: von Griseldis hat er geträumt und nur sie wird er heiraten. Er will die Abreise und Heirat verweigern, kann aber die Tränen und das seines Vaters nicht ignorieren. Er verlässt die Heimat.

Im zweiten Bild «L’Ouïe» («Das Hören») übernachtet die illustre Reisegesellschaft auf dem Dorf. Griseldis folgt der Reisegruppe als einfacher Ziegenhirte, mit einer Mandoline auf dem Rücken, verkleidet. Wieder beobachtet Griseldis ihren Elfrid und beschliesst, sich ihm akustisch mitzuteilen. Eine Stimme aus den Ruinen der Dorf-Kapelle singt einige Akkorde mit: «Halt, Kind, halt! Verlass diese Orte nicht! Ich bin die geheime Stimme, die Stimme, die vom Himmel kommt». Der Gesang verstummt. Elfrid lauscht noch immer und atmet kaum. Niemals haben süssere, reinere, köstlichere Klänge seine Ohren betört; nie zuvor hat eine menschliche Stimme sein Herz so tief durchdrungen. Es ist ein unbekanntes Vergnügen, das ihn berauscht, eine neue Bedeutung, die sich in ihm offenbart. Ein plötzlicher Gedanke blitzt in seinen Augen auf: Er greift hastig nach dem Medaillon: «Ja! Eine geheimnisvolle Verbindung verbindet dieses Gesicht, das ihn anlächelt, und diese Stimme, die zu ihm singt! Es ist dasselbe Geschöpf, göttlich oder sterblich, Fee oder Frau!» «Lass mich!», ruft der junge Prinz und befreit sich mit einer heftigen Bewegung: «Keine menschliche Macht wird mich von diesem Ort reissen». Elfrids Diener Jacobus überlegt, wie er seinen Herrn von der Stimme befreien kann. «Gestern war es ein Porträt, heute ist es eine Stimme! Was tun?» Die «Visionen» seines Herrn kommen Jacobus zu Hilfe. Die wiederholten Hammerschläge der Schmiede vereinen sich mit dem Klang der Glocken der Kirche. Die Bauern stürmen tanzend und schlagend auf ihre baskischen Trommeln, und die Kinder stimmen ausgelassen und ungestüm ein. All diese Geräusche vermischen sich, kreuzen sich und bilden einen fürchterlichen Lärm, den Jacobus ausnutzt, um Elfrid, der taub, atemlos und verärgert ist, wegzubringen.

Im dritten Bild «Le Toucher» («Das Tasten») ist Elfrid zu Gast bei Hassan, dem Gouverneur von Belgrad.

Gouverneur Hassan bewirtet den hohen Gast und zeigt ihm die Gärten seiner Residenz, wo Elfrid einschläft. Im Traum erscheint ihm Griseldis und küsst ihn auf die Stirn. Elfrid gelingt es Griseldis festzuhalten. Er packt sie und drückt sie krampfhaft an seine Brust. Seine zitternden Hände gleiten über Griseldis weisse Schultern, Arme und Brust, und sein Mund sucht und berührt die Stirn des jungen Mädchens. Unbekannte Freuden offenbaren sich ihm – die Berührung einer Frau scheint die Lebenskräfte in ihm zu verdoppeln. Griseldis gelingt es, sich aus Elfrids Umarmungen zu befreien, um sich dann wieder seinen keuschen Liebkosungen hinzugeben. Mit Jacobus Erscheinen endet der Traum. Elfrid schwört, dass er nicht gehen wird, ohne diese Frau gefunden oder gesehen zu haben. Hassan erscheint neben Jacobus, der zu ihm zu sagen scheint: «Mein junger Herr hat den Verstand verloren – er hatte wieder Vision, und nur du kannst ihn zur Vernunft bringen». All die Frauen aus Hassans Harem nähern sich ihm und umringen ihn. Jede scheint ihn zu fragen: «Suchst du mich?» Doch keine von ihnen hat die begehrten Züge, die er sehen möchte, keine offenbart eine unbekannte Regung in ihm.

Viertes Bild «L’Odorat et le Goût» («Das Riechen und das Schmecken»): Von allen Seiten treffen Jäger und Damen ein, begrüssen sich und ziehen dann auf das Zeichen eines Reiters hin auf einem der Waldwege davon. Schliesslich erscheint eine Dame zu Pferd, gefolgt von zwei Knappen: Es ist Griseldis in elegantem Kostüm. Sie steigt ab, nähert sich einer Hecke und pflückt einen Strauss Blumen. Dann steigt sie wieder auf ihr Pferd und nimmt an der Jagd teil. Dorfmusikanten erscheinen an der Spitze eines Umzugs. Ein junges Mädchen folgt ihnen und trägt ein Banner mit der Aufschrift «Journée des jardiniers» («Tag der Gärtner»). Hinter diesem Banner marschieren alle Gärtner des Landes in einer Reihe, beladen mit Blumensträußen, Körben und Girlanden, die sie zu Elfrids Füssen auftürmen. Elfrid nimmt die süß duftenden Blumen, die ihm angeboten werden, nicht wahr. Nur ein kleiner Strauß, den ihm jemand unbekannterweise vor die Füße wirft, weckt seinen Geruchssinn. Die Nacht bricht an. Während Elfrid versucht zu schlafen, erscheint ihm Griseldis erneut. Sie streicht ihm mit ihren Händen über die Augen und versetzt ihn in tiefe Trance. Sie beschwört wunderschöne Visionen herauf, die er staunend betrachtet. Dann füllt sie eine Tasse und setzt sie ihm an die Lippen, und er erfährt die Freuden des Geschmacks

Im fünften und letzten Bilds «La Vue» («Die Einsicht») erreicht Elfrid endlich den moldauischen Hof. Er denkt nicht mehr an die Heirat mit der Prinzessin, denn hier trifft er Griseldis wieder, schliesst sie in seine Arme und steckt ihr den Ring an den Finger, den ihm der moldauische Botschafter geschenkt hat. Beim Klang einer Fanfare löst sich Griseldis aus seiner Umarmung und flieht. Der Hochzeitszug nähert sich. Elfrid ist entschlossen, die Hand der Prinzessin zurückzuweisen, doch als sie ihn erreicht, singt sie einen vertrauten Refrain, lässt ihren Schleier fallen und offenbart sich als die Griseldis seiner Träume.

Die Einfügung der menschlichen Stimme in ein Ballett hat massgeblich mit der Tänzerin Carlotta Grisi, erste Interpretin der Giselle wie der Griseldis zu tun. Grisi, Cousine der berühmten Giulia Grisi (die erste Adalgisa), gehörte neben Marie Taglioni, Fanny Elssler und Fanny Cerrito zu den bedeutendsten Ballerinen der Romantik. Sie muss aber auch eine überzeugende stimme gehabt haben, denn Maria Malibran wie Giuditta Pasta rieten ihr den Tanz zugunsten des Gesangs aufzugeben. So finden sich in «Griseldis» Vokalisen in der Einleitung und die wiederkehrende Ballade von der Stimme des Himmels («Halt, Kind, halt… / Behüte die kostbaren Besitztümer… / Ich bin die geheime Stimme, / Die Stimme,

die vom Himmel kommt!») im zweiten Akt hinter der Bühne und im fünften Akt, in der Uraufführung von Grisi selbst gesungen, auf der Bühne.

In der Weltersteinspielung von «Griseldis» durch das Label NAXOS interpretiert Marija Jelić die kurzen Einsätze der Singstimme mit eher scharfem Sopran und wie in manchen Schulen geschätztem, weitenm Vibrato.

Das Sofia Philharmonic Orchestra unter Leitung von Dario Salvi entschädigt und setzt die Partitur mit stupender Leichtigkeit und Akkuratesse um, so dass zur Beschreibung hier die Kritik der Uraufführung aus «Le Ménestrel» herangezogen werden kann: «Was für schöne Melodien! Was für ein Schwung! Was für eine Koketterie! Welche Lebhaftigkeit!»

Eine interessante Entdeckung!

19.06.2025, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken