ART CARNUNTUM (Amphitheater): HAMLET, dargeboten von The Lord Chamberlain‘s Men und MEDEA, gespielt vom Teatro Attivo Milano
am 7.9. und am 30.8.2024
Einen größeren Kontrast kann es gar nicht geben. Einen Tag, nachdem Karin Henkel zur Eröffnung des Burgtheaters das Stück aller Stücke durch den postdramatischen Gender-Häcksler getrieben hatte, gastierte die Londoner Theatergruppe „Lord Chamberlain’s Men“ bei der Art Carnuntum mit einer (nach eigenen Angaben) „originalgetreuen“ Version von „Hamlet“.
Der Name der Truppe ist nicht von ungefähr ident mit jener, für die Shakespeare himself im Globe Theater tätig gewesen war, also original. Original ist auch, dass nur Männer mitspielen. Weniger authentisch ist schon die Dauer: in London 1603 sechs Stunden, in Carnuntum 2024 knappe zwei. Und die Shakespeare-Bühne war zwar einfach und klein, aber nicht soo klein,und vor allem nicht soo hässlich. Diese Minipawlatschn schaut aus wie eine Pappendeckel-Version der Wotrubakirche. Auch die Kostüme werden zur Entstehungszeit nicht ausgeschaut haben wie aus einem drittklassigen Provinztheaterfundus ausgeliehen.
Über die Schauspielleistungen lässt sich wenig sagen, denn die Darsteller sind ja dazu angehalten, jeden Anflug von Interpretation zu vermeiden. Also liefern sie alle brav ihre (extrem gekürzten) Texte ab, spielen also sozusagen „vom Blatt“, so dass der Abend ein wenig wirkt wie eine Liebhaber- bzw. Schüleraufführung. Dies gesagt habend, hat man dennoch in keinster Weise bedauert, nach Carnuntum gepilgert zu sein. Allein schon die Abendstimmung, die nach einem gloriosen Sonnenuntergang in dem von zypressenähnlichen Pappeln umstandenen Amphitheater einsetzt, ist zauberhaft und einmalig. Und den genialen Worten des Barden schlegeltiecklos auf englisch lauschen zu dürfen, ist sowieso unbezahlbar und ein Labsal für die Seele.
Dennoch ist man als Wiener Theaterliebhaber langsam der völligen Verzweiflung nahe: gibt es denn zwischen Stückzerstückelung und Fake-Werktreue wirklich (die Mitte stärken!) keinen Mittelweg ??
„Hanlet“: Foto: Robert Quitta
Die Hamlet-Aufführung beschloss die diesjährige (35.!) Art Carnuntum, zu Beginn gab es ein Gastspiel des Teatro Attivo aus Mailand mit Medea. Auch hier war der Kontrast groß (wenn auch nicht soo unüberbrückbar gross wie mit dem Burg-Hamlet). Wer sich eine „originalgetreue“ Antiken-Aufführung des Dramas von Euripides erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht und fühlte sich (Etikettenschwindel !) eigentlich gefrozzelt.
Denn statt des Dramas von Euripides bakam man ein 60minütiges Experimentalgulasch mit Texten von Seneca, Franz Grillparzer und in erster Linie von Heiner Müller (Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten) vorgesetzt.
Im Hintergrund wird „Medea“ dargeboten. Foto: Robert Quitta)
Es gab zweifellos sehr sehr schöne, magische und berührenden Momente und eindrucksvolle Schauspielerleistungen (Elisa Bruschi als Engel der Geschichte, Benedetta Laurà als Medea), aber den Sinn und Zweck dieser Produktion vom Mattia Sebastian Giorgetti konnte man (wie bei sovielen Schülern der Avantgardetheatergurus Theodoros Terzopoulos und Tadashi Suzuki) auch nicht annähernd nachvollziehen. Was, wenn man die Dramaturgenpoesie im Programmheft auch nur überfliegt, ja nicht weiter verwunderlich ist. Ich zitiere : „ Es ist ein Land voller Müll. In dem sich die Leiche eines Soldaten befindet, der uns seine Geschichte als Kolonisator, seinen Tod und seine Reise durch die Erinnerung an den Mythos erzählt, um zum aktuellen Stand der zeitgenössischen Evolution zu gelangen. Dann explodiert der tragische Kern, er überschreitet die Grenzen menschlicher Rücksichtslosigkeit und die Geschichte einer Frau, Medea, wird zum Sinnbild für Gewalt und Missbrauch.“ Aha.
Tja, hätte man diese verqueren Ergüsse vorher zu Gesicht bekommen, wäre man vielleicht gewarnt gewesen. So aber murrte die Mehrzahl der düpierten Zuschauer unüberhörbar auf dem nächtlichen Rückweg zum Parkplatz…
Robert Quitta, Carnuntum