Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CARMEN GIANNATTASIO: „Wenn ich singe, möchte ich, dass mein Publikum für ein paar Stunden seinen Alltag vergessen kann“

03.12.2016 | Sänger

Carmen Giannattasio: „Wenn ich singe, möchte ich, dass mein Publikum für ein paar Stunden seinen Alltag vergessen kann“

 

Zur Staatsopernpremiere „Falstaff“ von Giuseppe Verdi

(November 2016/ Renate Publig)

Bildergebnis für carmen giannattasio

© BC Photography

 

Nach ihrem 1. Preis beim Operalia-Wettbewerb verlief die Karriere der Sopranistin Carmen Giannattasio rasant, und mittlerweile zählen das Royal Opera House Covent Garden ebenso zu ihrem musikalischen Zuhause wie die Mailänder Scala, die Deutsche Oper Berlin oder aber die MET. In der Premiere von Giuseppe Verdis Falstaff gibt Giannattasio, die derzeit in London lebt, ihr Hausdebüt an der Wiener Staatsoper.

 

Frau Giannattasio, sowohl Ihre Auftrittspläne als auch Ihr vergangener Kalender weisen beeindruckende Stationen auf – wie hat alles begonnen?

Auf diese Frage antworte ich gerne, dass nicht ich mich für diesen Beruf entschieden habe. Es war die Musik, die mich gewählt hat. Ursprünglich war mein Wunsch, als Journalistin zu arbeiten, mein Vater wünschte sich für mich einen Beruf mit einem sicheren Einkommen. Also schloss ich mit 23 mein Studium „Russische Literatur“ ab und gewann danach ein Stipendium fürs Doktoratsstudium.

Musik war zu diesem Zeitpunkt bereits meine große Leidenschaft; so besuchte ich auch das Konservatorium, und gleichzeitig mit dem Stipendium erhielt ich eine Einladung zu einer Masterclass mit Leila Gencer. Sie wurde später meine Lehrerin, und schließlich gewann ich die zweijährige Ausbildung an der Academia La Scala.

Als Kind durfte ich zwei Schulklassen überspringen, bei mir ging alles relativ schnell, was nicht immer heißt, dass es einfacher war!

 

Eines Ihrer ersten Debüts absolvierten Sie in der Rolle von Verdis Desdemona, an der Seite von Roberto Alagna als Otello, die Aufführung wurde von Placido Domingo geleitet. War das eher einschüchternd oder stärkt ein derartiges Engagement das Selbstvertrauen, schließlich erhält man ein derartiges Angebot nicht grundlos?

Nach meinem Abschluss an der Academia La Scala gewann ich den Operalia Wettbewerb. Ich wusste, dass ich dadurch einige Engagements bekommen würde. Als mich allerdings eines Tages Placido Domingo anrief, ob ich verfügbar wäre, um Desdemona zu singen, war das natürlich unglaublich! Das war nicht nur mein Debüt in Los Angeles, sondern überhaupt in Amerika, und dann in dieser Besetzung!

 

Mit dieser Produktion geben Sie Ihr Hausdebüt an der Wiener Staatsoper. Allerdings debütierten Sie bereits an einigen sogenannten „großen Bühnen“, etwa an der MET, der Scala oder der Royal Opera London etc. Wird es für Sie einfacher oder erhöht sich der Druck, je mehr Debüts Sie an großen Bühnen geben?

Die Wiener Staatsoper war eine Station auf meiner persönlichen Liste, die ich unbedingt erreichen wollte! Wenn man mit 24 an der Mailänder Scala debütiert, geht man noch unbekümmert an die Sache, man ist sich der Tragweite noch nicht bewusst. Mittlerweile stehe ich seit 15 Jahren auf der Bühne. Da gewöhnt man sich zwar an den Druck, doch man nimmt die gesteigerte Erwartung des Publikums war. Und das Level zu halten und diesen Erwartungen immer gerecht zu werden, ist eine Herausforderung.

 

Noch dazu wird von einem Sänger stets eine gute Leistung erwartet …

Der Zuhörer hat natürlich dafür bezahlt, um eine schöne Vorstellung zu sehen. Da wird gelegentlich vergessen, dass SängerInnen auch nur Menschen sind, die private oder gesundheitliche Probleme haben können.

Der Körper ist mein Instrument, und wenn ich mich nicht wohlfühle, hat das Auswirkungen auf den Gesang. Einmal klagte ich über starke Rückenschmerzen und musste Norma singen – unmöglich. Da sucht man schnell einen Arzt, der einem eine Infusion gibt. Man hat zwar noch immer Schmerzen und denkt, man würde die Partie im wahrsten Sinn des Wortes nicht durchstehen. Aber dann passiert sie, die Magie der Oper: Man steht auf der Bühne, und durch das Adrenalin, durch das Rundherum ist jeder Schmerz für ein paar Stunden vergessen.

Falstaff_93467[1]
Carmen Giannattasio als Alice Ford im Wiener „Falstaff“. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 

Was dürfen wir von der neuen Falstaff-Produktion erwarten?

David McVicar ist ein sehr enger, langjähriger Freund von mir, er macht in seiner Regie deutlich, dass Falstaff eigentlich eine Tragikomödie ist. Weil er, Falstaff, überhaupt nicht bemerkt, wie wir Frauen uns über ihn lustig machen. Er ist derart von seiner Attraktivität überzeugt, deshalb hält er die Reaktionen der Frauen für echt.

Es ist ein Doppelspiel, wir Frauen spielen Komödie, doch führt McVicar vor Augen, dass auch unser Leben nicht immer heiter ist.

 

Und die Alice Ford?

Alice ist kompliziert, eine sehr vielschichtige Person mit einer großen Palette an Gefühlen. Sie ist die reichste Frau, aber sie ist wegen seiner Eifersucht mit ihrem Mann unglücklich. Ford hat sie möglicherweise wirklich geliebt, doch zu dieser Zeit wurden Ehen gestiftet, für sie war es vermutlich keine Liebeshochzeit.

Den Streich an Falstaff führt sie ein wenig aus Rache aus. Sie ist derart von sich eingenommenen, dass sie nicht ertragen kann, dass Meg Page den gleichen Brief bekommt wie sie, auch wenn sie von Falstaff nichts will.

Ihre Bestimmung ist jedoch nicht dieser Streich, sondern die Planung der Hochzeit für ihre Tochter. Sie sieht, wie sehr Nanetta in Fenton verliebt ist und wünscht ihnen eine glückliche Partnerschaft, vielleicht, weil sie diese selbst nie hatte. Am Ende ist auch sie glücklich: Der Streich ist geglückt, und ebenso die Hochzeit!

Die Partie ist nicht einfach zu singen. Gesangstechnisch ist es kein Problem, aber musikalisch hat es die Oper in sich! Die Ensembleszenen sind eine Herausforderung, ganz besonders, wenn Zubin Mehta am Pult ist, der an jedem Detail feilt. Ich freue mich sehr, dass ich mit ihm auch in der Produktion von Falstaff an der Mailänder Scala singen werde!

 

Ich gehe davon aus, dass Sie zu den Rollen, die Sie verkörpern, Ihre eigene Meinung und Interpretation entwickeln. Können Sie diese bei Neuproduktionen einbringen?

Es sind wir Sänger, die die Rollen verkörpern müssen, und man kann nur passende Interpretationen gut transportieren. Alles andere ist künstlich und aufgesetzt.

Bei der Produktion von Il Trovatore im Theater an der Wien mit Philip Stölzl, den ich sehr schätze, tauschten wir unsere Ideen aus und erarbeiteten gemeinsam eine schlüssige Interpretation. Mit Stölzl mache ich demnächst in Dresden „I Pagliacci“ in Dresden.

Die Deutung einer Oper, einer Rolle muss für mich Sinn ergeben, muss für mich vor allem nachfühlbar sein. Für mich ist Kunst und Oper im Besonderen kein Medium der Selbstverwirklichung, es kann nicht darum gehen, auf Biegen und Brechen die eigene Meinung durchzuboxen. Sondern man geht aufeinander zu, erarbeitet etwas gemeinsam mit dem Regisseur, mit dem Dirigenten und mit den KollegInnen. Und im Endeffekt geht es darum, dem Publikum etwas zu geben. Wenn ich singe, dann nicht für mich, sondern ich möchte, dass das Publikum für ein paar Stunden den Alltag vergessen kann. Ich biete ihnen Träume an!

 

Vielleicht ist das genau der Schlüssel zu Ihrem Erfolg? Dass es Ihnen nicht darum geht, schön zu singen, sondern dass Sie den Zuhörern das Schicksal Ihrer Partie näherbringen wollen?

Jungen KollegInnen pflege ich zu sagen, dass der Klang der Stimme letzten Endes nicht das einzig Wichtige ist. Ein Sänger mit der schönsten Stimme wird das Publikum kalt lassen, wenn er keine Gefühle beim Zuhörer erwecken kann. Als hätte man zwar einen Ferrari, aber kein Benzin.
Meine Stimme ist sehr speziell, die mag man oder man mag sie nicht. Aber sie ist einzigartig.

 

Der Weg an die Spitze ist sehr schwierig, und die Luft da oben ist sehr dünn.

Und ich bin in meinem Leben schon einige Male wieder von der Spitze heruntergerollt – das ist wichtig, weil man nicht alles selbstverständlich nimmt. Es macht einen stärker.

In der Zeit an der Academia La Scala hatte ich meine Stimme ein ganzes Jahr lang verloren. Der Arzt meinte damals, mein Stimmapparat wäre nicht geeignet für eine professionelle Gesangskarriere. Das war natürlich niederschmetternd. Doch ich ließ mich nicht unterkriegen, ich beschloss, die Academia zu beenden. Dafür bin ich Luciana Serra sehr dankbar, denn sie hörte mich und wurde meine Mentorin. Ich nenne sie immer noch meine Fairy Godmother, meine gute Fee!

Ein halbes Jahr nach meinem Studienabschluss hatte ich ein Vorsingen bei Placido Domingo, der mich sofort zum Operalia-Wettbewerb einlud. Ich glaubte überhaupt nicht daran, zu gewinnen; In den Vorrunden trat man damals mit normaler Kleidung auf, erst das Abschlusskonzert gab man im Galakleid. Ich hatte keines eingepackt! Doch ich schaffte es bis zur Finalrunde, und als der Siegername ausgerufen wurde, mussten mich erst als meine Nachbarn rüttelten und als sie mir gratulierten, realisierte ich, dass ich gewonnen hatte!

 

Heute treten die vor allem die Teilnehmerinnen an Wettbewerben schon in den Vorrunden wesentlich gestylter auf!

Damals ging es in erster Linie um Stimme, heute geht wesentlich mehr um die Wirkung. Und vorher sagte ich, dass Stimme nicht alles wäre. Ich finde ein Mittelding optimal, eine gute Stimme UND ein wirkungsvolles Auftreten. Zum Beispiel finde ich Anja Harteros großartig. Das ist eine Sängerin, die ihre Zuhörer mit ihrer Stimme und mit ihrer Ausstrahlung in den Bann zieht. Und wenn das eine Sopranistin über eine andere sagt, will das etwas heißen! (lacht)

 

Sie singen oft tragische Partien wie die Liu, Mimi, Violetta, Leonora, Amelia oder Norma, sehr starke Frauenpersönlichkeiten. Sind dies die Rollen, die Sie bevorzugen?

Als Südländerin bin ich sehr temperamentvoll. Ich habe griechische Wurzeln, die in meinem Namen zu finden sind, der sich aus Johannes und Attanasius zusammensetzt. Ich habe die Tragödie also in meiner DNA. (lacht). Vielleicht kann ich mich durch meine Wurzeln wirklich tiefer in diese tragischen Rollen hineinfühlen! Aber wenn ich die Bühne verlasse, dann steige ich aus der Rolle.

Komische Rollen sind viel schwieriger zu spielen: Für die Alice habe ich viel mit David gearbeitet, das passende Timing, damit eine Stelle wirklich witzig kommt, ist unendlich schwierig.

 

Der Terminkalender einer Opernsängerin ist meist sehr dicht – wie gelingt es Ihnen, zu entspannen?

Mein Pilates-Yoga-Training ist mir wichtig, das hält mich fit, und ich kann dabei wunderbar abschalten. Außerdem mache ich gerne ausgedehnte Spaziergänge, durch den Wald, einfach in der Natur. In London, wo ich lebe, kann ich mich morgens entscheiden, ob ich in den Hyde Park oder in Kensington Gardens spazieren gehe.

Ich mag es, abseits der Bühne ein „normales“ Leben zu führen. Während eines Engagements fehlt mir die Zeit zu kochen. Deshalb liebe ich es, wenn ich ein paar Tage frei habe, Freunde einzuladen und sie zu bewirten, den Tisch zu dekorieren, dafür einkaufen zu gehen. Hauptsache, es wird dabei nicht über Musik oder Oper gesprochen!

Außerdem fotografiere ich gerne. Und ich liebe Malerei, ganz besonders Caravaggio und – Egon Schiele. Da bin ich hier in Wien genau richtig!

 

Welche Rollen stehen auf Ihrer Wunschliste?

Es gibt bereits Pläne für Tosca, 2018 debütiere ich mit dieser Partie in San Francisco in einer Neuproduktion.

Und mein Traum ist die Lady Macbeth, für die ich noch keine Verträge habe, doch das wird kommen. Zum einen möchte ich sie singen, weil ich einmal eine böse Figur verkörpern möchte, ansonsten singe ich immer die positiven Heldinnen. Der Grund, warum mir das besonders viel bedeutet, ist jedoch kein musikalischer. Sondern eines Tages erhielt ich nach einer Vorstellung einen hohen Besuch: Judy Dench, diese von mir hoch verehrte Schauspielerin, klopfte an meiner Garderobentür, um mir zu meiner schauspielerischen Leistung zu gratulieren. Ich war zu Tränen gerührt. Wir wurden Freundinnen, und da für mich ihre Lady Macbeth das Maß aller Dinge ist, erzählte ich ihr von meinem Traum. Und sie versprach mir, meine „Patin“ für diese Rolle zu sein, mir Tipps zu geben, und wo immer ich diese Rolle singen würde, würde sie mir aus der ersten Reihe zuhören. Und selbst, wenn das nicht eintreffen sollte – es lohnt sich, diesen Traum zu träumen!

 

Frau Giannattasio, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Premiere!

 

Diese Seite drucken