KS Carlos Alvarez: Ich will ich selbst sein – und nicht „Star spielen“!
(Juni 2019 / Renate Publig)
Bald 15 Jahre ist es her, dass KS Carlos Alvarez sein Debüt an der Wiener Staatsoper als Figaro im „Barbiere di Sevilla“ gab. Seither sang er um die zwanzig verschiedenen Partien, und nun fügt er seiner „Wiener Liste“ eine weitere Rolle hinzu: Baron Scarpia in „Tosca“.
Carlos Alvarez aktuell als „Scarpia“ an der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Neben den Tosca-Vorstellungen gibt es übrigens die Gelegenheit, den sympathischen Bariton beim Benefizkonzert für superar, „Musik (be)wirkt“ zu erleben, an dem unter anderem auch sein Kollege KS Piotr Beczala teilnimmt, der den Cavaradossi verkörpert.
https://muth.at/events/musik-bewirkt-20190617/
Herr Alvarez, vor zwei Jahren sprachen wir über Ihr Rollendebüt, Graf Almaviva in „Le Nozze di Figaro“. Heute geht es um Baron Scarpia in „Tosca“. Beiden Partien ist gemeinsam, dass es sich um Aristokraten handelt, die ihre Macht einsetzen, um eine Frau zu erobern. Und dennoch könnten beide Männer unterschiedlicher nicht sein …
Scarpia ist ein übler Charakter. Schlicht und ergreifend, verzeihen Sie den Ausdruck, ein Scheißkerl. Er weiß, er könnte attraktiv sein, doch nicht anziehend genug, um Tosca zu erobern. Also setzt er ein, was er gewohnt ist – Macht. Gleichzeitig ist er von seiner Sehnsucht, Lust getrieben. Er schert sich nicht um das Leben anderer oder um Recht, um Gerechtigkeit – für ihn zählt nur, was er will. Bis zu einem gewissen Grad trifft das tatsächlich auch auf Almaviva zu. Doch der hat ein Gewissen, er ist in der Lage zu bereuen. Das macht ihn vergleichsweise sympathisch.
Scarpia versucht zunächst, Tosca zu verführen. Als sie ihn abweist, weil sie von seinem Bedrängen abgestoßen ist, lässt ihn das kalt. Er will sie, und zwar sofort. Also setzt er all seine Macht ein, denn er weiß: Nur eine Geste von ihm, ein Fingerschnippen, und alles verändert sich.
Scarpia ist zumindest im Baritonfach eine der finstersten Figuren. Nun werden die Bösewichte interessant, wenn es mehrere Facetten gibt. Welche Aspekte finden Sie bei Baron Scarpia?
In all den Jahren habe ich gelernt, dass ich über meine Figuren nicht urteilen muss. Ich muss mit ihnen mitfühlen können. Also versuche ich, tief in ihre Gedanken einzudringen. Vom ethischen Standpunkt aus könnte ich diese Partie nicht singen, denn Scarpia ist ein scheußlicher Charakter – und zur gleichen Zeit so armselig! Wie erbärmlich, wenn man nur über das Einsetzen seiner Macht zu Erfolg gelangt! Doch wenn ich in die Rolle schlüpfe, muss diese Figur in der Oper „überleben“. Ich gebe ihr meine Stimme, meinen Körper, mein Wissen, meine Einstellung. Ich will privat keinesfalls dieser Mensch sein, aber auf der Bühne muss ich es. Und ich finde es wunderbar, wenn die Zuhörer nicht mich, sondern meine Rolle auf der Bühne wahrnehmen.
Aber, um ein Gefühl zu entwickeln, um diese dunklen Taten darzustellen, muss ich sehr tief in mir suchen – und da entdeckt man manchmal Züge, die man eigentlich gar nicht wahrhaben will. (lacht) Es bedarf oft nur einer einzigen Entscheidung, und – jeder Mensch ist nahezu zu allem fähig. Deshalb bin ich glücklich, den Bösewicht zu spielen, weil man von positiver zu total negativer Haltung wechseln kann – auf der Bühne! Und Scarpia, nun, der ist bösartig, aber intelligent. Für mich als Darsteller ist das der pure Luxus!
„Te Deum“ ist kompositorisch einer der eindringlichsten Momente, nicht nur innerhalb dieser Oper. Man könnte sogar fast glauben, dass Scarpia echte Gefühle für Tosca hegt?
Er kämpft gegen seine Triebe an! Er möchte das Richtige tun, aber sein Verlangen lässt ihn vergessen, wo er ist, wer er ist. Ich sang in einer Produktion in Italien, in der der Regisseur ihn fast masturbieren ließ – in der Kirche! Weil er sich vergisst. Nach Toscas Anblick in der Kirche rutscht ihm „Tosca, du lässt mich Gott vergessen!“ heraus. Ein starker Moment, mit unbeschreiblicher Musik. Man singt und … es ist überirdisch. Scarpia ist hin und hergerissen, diese Leidenschaft, aber er ist gezwungen, sich zu beherrschen – ich liebe das Finale1. Akt!
Andererseits ist die Szene im 2. Akt, in der Cavaradossi gefoltert wird, eine der emotional brutalsten Szenen. Nun erwähnten Sie einmal, dass Sie „in character“ die Bühne betreten, nicht als „Carlos“. Wie schwierig ist es dennoch, diese Szene durchzustehen?
Im Milgram-Experiment wurden Menschen aufgefordert, anderen Menschen, die sie gar nicht kannten, Stromstöße zu versetzen. Es gab keine Belohnung dafür, aber auch keine Strafe, wenn sie es nicht taten. Und sie drückten tatsächlich die Knöpfe! Die Distanz macht es möglich.
Scarpia befiehlt, Cavaradossi foltern zu lassen, er macht es nicht selbst. Er setzt ein Zeichen, das funktioniert. Er muss eiskalt agieren, denn bis zu einem gewissen Grad spielt auch er Tosca etwas vor. Er arrangiert diese Vorstellung, um sie zu überzeugen. Er … drückt einen Knopf.
Nicht nur diese Szene ist kompositorisch ein Meisterwerk!
Puccinis Meisterleistung, die diese Szene so grausam macht: Er beschreibt„nur“ akustisch – ohne etwas zu zeigen. Der Effekt ist umso erschütternder, weil die Vorstellung von Folter furchtbarer ist, als man sie auf der Bühne darstellen könnte. Puccini wusste damals noch nichts über Filme, aber im Prinzip hat er eine Filmszene komponiert.
Vielleicht ein Grund, warumTosca als Musik für den James-Bond-Film Quantum of Solace verwendet wurde – haben Sie den Film gesehen?
Mir gefiel der Film sehr gut! Es ist beeindruckend, wie derartige Musik funktioniert – und wie Filmregisseure damit umgehen können! Ein guter Regisseur weiß natürlich, dass Opernkomponisten Meister darin waren, Stimmung zu schaffen und Leidenschaft und Spannung heraufzubeschwören. Im Prinzip ist der Film mit Musik die logische Nachfolge zur Oper! Nehmen wir Korngold – der ging den Weg direkt, von der Oper zum Film. Natürlich aus historisch tragischen Gründen, dennoch wusste er, dass Film die Zukunft ist.
Wenn mir jemand erzählt, dass er Oper nicht versteht – nun, wir begegnen dieser Musik überall, in der Werbung, im Film, im Fernsehen!
Was halten Sie davon, Opernmusik auf diese Weise einzusetzen?
Sehr viel! Bei Bond ist das sehr klug eingesetzt, die Musik erklärt die Gefühle der Handlung, die Handlung spiegelt sich im Geschehen auf der Bühne wider. Die dramaturgische Entwicklung der Musik ist hier hervorragend eingesetzt! Natürlich gibt es hervorragende Filmkomponisten – die alle gewissermaßen von Wagner, Strauss, Puccini, Verdi „gelernt“ haben. Weil das Lehrmeister in dramaturgischen Belangen waren.
Ich träume seit langem davon, einen echten Opernfilm zu drehen. Nicht im Sinn der HD-Übertragungen, denn der Prozess des Singens nicht unbedingt für Großaufnahmen gedacht ist. Man muss den Mund aufreißen – das wirkt im Close Up nicht so vorteilhaft. Wir machen unsere Arbeit nicht für die Kamera, sondern um für die Zuhörer den optimalen Klang der Stimme zu erzeugen.
Doch es funktioniert nicht, wenn man nur den Mund bewegt, ohne zu singen. Man gibt nicht 100 Prozent. Opern-Schauspiel und die Gefühle, die man darstellt, kommen eben aus der gesungenen Musik. Dieses Problem gilt es zu lösen, bevor man einen Opernfilm dreht …
Zu Beginn des Jahres gaben Sie Ihr Rollendebüt als Falstaff – ein etwas kontroversieller Charakter. Ein Adeliger, heruntergekommen, verarmt, doch er weiß das Leben zu genießen.
Ich bin allein von der Statur kein „geborener“ Falstaff. Deshalb musste ich sehr ehrlich mit den Notentext umgehen. Verdi gelang es viel eindrücklicher als Shakespeare, Falstaff als Zentralfigur zu gestalten! Wenn man die Musik analysiert, haben Verdi und Boito einen Charakter geschaffen, der weder eine „komische“, noch eine sonderlich starke Person ist. Falstaff spürt seinen Verfall. Verdi war 80, als er Falstaff komponierte – und er setzte sich selbst ein Denkmal. Falstaff ist Verdi zu diesem Zeitpunkt.
Falstaff ist sentimental. Er grübelt darüber, wie mächtig er einst war, er war Freund des Königs! Nun trauert er darüber, dass er nichts mehr ist. Doch ja, er weiß nach wie vor, zu leben. Denn ihm ist klar, dass das Leben zu kurz ist, um es zu verschwenden. Also nützt er alles, was sein Leben verbessern kann. Ihm ist egal, ob er gewinnt oder verliert, denn er lebt relativ einfach – und er ist im Prinzip zufrieden. Allerdings macht er sich über andere lustig.
In den Aufführungen an der Wiener Staatsoper konnten Sie Falstaff nach Ihren Vorstellungen darstellen?
Es war eine wunderbare Gelegenheit, diese Figur weder schicksalsergeben, noch komisch zu gestalten. Die komische Figur ist Ford, nicht Falstaff! Ford hält große Stücke auf sich, er ist überzeugt, dass er alle ausspielen kann – und scheitert. Seine Frau und sogar seine Tochter machen, was sie wollen. Und führen ihn an der Nase rum.
KS Simon Keenlyside (Ford) und KS Carlos Alvarez (Falstaff) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Ich erinnere mich immer, wie ich Mutis Angebot für Rigoletto ablehnte. Ich konnte nicht annehmen, weil es mir an Erfahrung fehlte, um die Rolle des Rigoletto zu gestalten! Bestimmte Opernfiguren kann man erst ausfüllen, wenn man selbst eine Portion Lebenserfahrung gesammelt hat. Das trifft besonders auf Falstaff zu. Ich habe in der Zwischenzeit einiges erlebt, bin alt genug –jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen!
Auch heute versuchen wir, uns das Leben angenehmer zu gestalten –mittels Konsum. Wir „kaufen“ uns unser Glück, während Falstaff, philosophisch gesagt, den epikurischen Genuss lebt.
Absolut. Falstaff lebt nach dem Prinzip „Carpe diem“. Wir können uns Dinge kaufen, aber nicht Menschen. Oder, die man kaufen kann, sind in Wahrheit nicht interessant, nicht erfüllend.
Da Falstaff verarmt ist, muss er reich heiraten, um an Geld kommen. Natürlich war die Idee nicht sehr klug, genau den gleichen Brief an zwei Freundinnen zu schicken …?
Was er wirklich wollte, waren nicht die Frauen, sondern das Geld. Er wusste von ihren Ehemännern, von ihrem Reichtum – das wollte er stehlen. Der Brief war lediglich das Mittel, deshalb hat er sich keine Mühe gegeben. Wenn’s bei der einen nicht funktioniert, dann vielleicht bei der anderen?
Außerdem ist das ein klassisches Beispiel, wie die Gesellschaft über die Position der Frau dachte. Die zählten nichts! Man kann sie kaufen, sie vernichten – es war eine Männerwelt. Die Gefühle der Frauen waren egal.
Doch was uns die Oper umgekehrt ebenso zeigt, ist die Macht, die Frauen ausübten und ausüben. Männer meinen, die Frauen zu kontrollieren – und belügen sich dabei meistens. Denn oft treffen in Wahrheit die Frauen Entscheidungen! Ihr Frauen überzeugt in Wahrheituns, bei Shakespeare, bei Verdi – und in heutigen Zeiten! (lacht)
HatFalstaff diesen Spott verdient, dem er im Finale ausgesetzt ist?
Eine wahre Begebenheit dazu? In einer Produktion vor vielen Jahren, ich sang Ford, behandelt der Falstaff-Darsteller seine Umgebung nicht gerade vorbildlich. Einige Kollegen hatten seine Einstellung satt. – Bei einer Vorstellung waren seine Hosenträgergerissen. Was passierte? Nichts! Niemand machte ihn aufmerksam oder half ihm. Das gleiche passiert Falstaff. Wenn man sich schlecht benimmt oder ständig über andere lustig macht, ist man irgendwann selbst das Ziel des Spottes. Es ist immer eine Balance, man bekommt zurück, was man gibt, oder wie man sich benimmt.
Und, letzten Endes ist es eine Rache der Frauen an ihm. Nun kann Rache bedeuten, jemanden umzubringen – da ist Verspotten doch vergleichsweise die harmlosere Variante! Lachen ist immer der bessere Weg. Generell ist Humor meistens die bessere Methode, um Problemen zu begegnen …
Die Partien, die Sie allein in den letzten beiden Jahren gesungen haben, weisen darstellerisch, aber vor allem musikalisch/stimmlich eine enorme Bandbreite auf. Sulpice, Gianni Schicci, Simon Boccanegra, Hamlet, Rigoletto, Don Giovanni, Almaviva, Iago, Scarpia. Nun erwähnten Sie zwar einmal, dass Sie alles mit „Ihrer“ Stimme singen, ohne diese künstlich zu verändern. Dennoch, wie gelingt es Ihnen, schwere Verdipartien – und Mozart zu singen?
Zunächst bin ich den Komponisten dankbar, die so großartige Rollen geschaffen haben! Um sich diese Bandbreite zu bewahren, muss man den Terminkalender sehr gut planen. Man muss entscheiden, was man wann in welcher Reihenfolge singt, und dieser Regel folge ich seit 30 Jahren. In der Zwischenzeit ich bin gereift, als Sänger, als Person, als Darsteller. Und nach meiner Erkrankung (Anm: Siehe Merker-Interview 09/2017) überlege ich umso genauer, was ich mache.
Es hängt auch von stimmtechnischen Fähigkeiten ab, wieunterschiedlich das Repertoire ist, das man singen kann. Ich gehe von Anfang an auf sehr ehrliche Weise an eine Partitur heran. Wissen Sie, was heute „modern“ bedeutet? Wenn man sich exakt an die Noten hält, die in der Partitur stehen! (lacht)
Auf Youtube war es eine Zeitlang Mode, reine Vokalaufnahmen von Stücken zu posten, ohne Begleitung! Ich lachte mit meinen Kindern, dass heute a cappella modern geworden ist …
Wenn man sich an den Notentext hält, wenn man nicht forciert, bleibt die Stimme flexibel genug für ein breites Repertoire.
Nächstes Jahr dürfen wir Sie in Wien als Iago erleben, über den wir bereits im letzten Interview sprachen – und als Don Giovanni!
Nicht schlecht, was? (lacht) Meine Sicht auf Don Giovanni hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Als ich meinen ersten Giovanni sang, war ich nicht einmal noch dreißig. Da sah ich diese Figur als jungen Menschen, voller Energie und auf Abenteuersuche. Über 20 Jahre später hat der Don Giovanni, den ich nun verkörpere, mehr Erfahrung, wie er mit unterschiedlichen Situationen umgeht. Jetzt versucht Giovanni, aufgrund seiner Erfahrungen attraktiv zu wirken, nicht wegen seines Aussehens. Sein Denken vor allem über Freiheit macht ihn attraktiv. In der Szene beim Ball, wenn die drei Masken auf die Bühne kommen und Giovanni „Viva la libertà“ singt, streckte ich einmal die geballte Faust in die Höhe. Der Regisseur war sofort begeistert, „behalten Sie das bei!“
Don Giovanni funktioniert auf so viele unterschiedliche Arten, denn in Wahrheit ist die Figur ein Mythos, also zeitlos. Aber mit meinem Zugang fühle ich mich wohler. Es wäre es für mich fürchterlich, auf Biegen und Brechen einen jungen Don Giovanni zu markieren. Und für mich passt es nicht, ihn als „netten Kavalier“ zu skizzieren.
Ihr Terminkalender ist ziemlich dicht – haben Sie irgendwann Urlaub?
Dieses Jahr schon! Nach der Tosca geht es zunächst nach Rom, für eine neue Aufnahme von Otello, unter Antonio Pappano, mit Jonas Kaufmann als Otello. Damit fühle ich mich sehr wohl! Und dann haben wir fünf Wochen Ferien am Stück, was in den nächsten drei Jahren nicht mehr vorkommt. Das muss man ausnützen. Endlich ein bisschen Erholung daheim, und Zeit, Freunde zu besuchen!
Gar keine Musik?
Nein! Bis Ende August. Es gibt eine Kooperation mit einem akademischen Orchester in Málaga, bei der Studenten und Lehrer der Konservatorien gemeinsam musizieren. Jedes Jahr lädt das Orchester einen Musiker ein – und das darf heuer ich sein. Es gibt also ein Programm mit Vokalwerken. Und das Fantastische wird das gemeinsame Proben sein. Das Orchester bekommt Einsichten in die Perspektive der Sänger, das ist sehr wichtig. Darauf freue ich mich sehr! Das Projekt findet in der letzten Augustwoche statt, und am 1. und 2. September sind die Konzerte.
Gleich danach fahre ich nach München zu„I Pagliacci“, und dann geht es nach La Coruña, zu einer konzertanten Vorstellung von Don Carlo. Das funktioniert, weil die Musik so stark ist. Ich freue mich besonders darauf, weil ich den Posa seit rund 20 Jahren nicht gesungen habe. Posa ist in meinen Augen der einzige positive Charakter in dem ganzen Stück! Er ist Freund, er wäre ein guter Sohn, ein guter Politiker, und er gibt sein Leben für Freiheit und Freundschaft – eigentlich ist er ein Held!
Eine lange, höchst erfolgreiche Karriere, die Sie führen …
Mein Debüt jährte sich letzten März genau zum 30. Mal. Es ist, als wäre es gestern gewesen! Ich debütierte in Otello in Málaga, und im Chor singen heute noch viele Freunde und Kollegen von damals, ein schönes Gefühl, die Menschen zu kennen. Man kommt heim! Und so geht es mir auch in Wien – auch das ist meine Heimat. Wenn ich in eine Stadt komme und an einem Opernhaus vorbeigehe, in denen ich gesungen habe, scherze ich immer: Das ist eines meiner Büros! Und – es ist ein Privileg, zu tun, was wirklich Freude macht. Es hat natürlich auch seinen Preis, man muss sich an Termine halten, ist nicht immer unbedingt in der Stimmung, auf die Bühne zu gehen. Doch man tut es, nicht nur wegen der Verträge, sondern aus Überzeugung.
… und dabei sind Sie so unglaublich „auf dem Teppich“ geblieben!
Mir ist wichtig, dass ich von der Bühne alsich selbst gehe. Weder als Figur, die verkörpert habe, aber schon gar nicht alsKunstfigur. Ich will nicht in eine weitere Rolle schlüpfen und „Star spielen“. Glamour interessiert mich nicht. Denn was passiert mit diesen künstlichen Gestalten, wenn sie am Ende des Tages die Tür hinter sich schließen? Die Gefahr von Einsamkeit ist groß.
Dieser Zugang hält mich gesund, auch geistig. Auf der Bühne ist es etwas Besonderes, in eine andere Rolle zu schlüpfen – die ich ablege, sobald ich aus der Garderobe herausgehe. Denn ich versuche, im Wesen der gleiche zu bleiben, der ich zu Beginn meiner Karriere war.
Das Gespräch mit Carlos Alvarez führte Renate Publig im Juni 2019 in der Wiener Staatsoper